Englische Krankheit – Deutsche Abwehrarbeit

Drei Jahre nach dem Brexit-Referendum hat die englische Krankheit Europa erfasst. Die EU hat das Virus verschleppt und wirkt schwer angeschlagen. An der neuen Krise ist auch Deutschland schuld, bilanziert die Europäische Bewegung. Und dann ist da noch der Streit um den Rechtsstaat in Polen.

Man kann es drehen und wenden, wie man will: Der Streit um den Brexit und den Austrittsvertrag hat nicht nur Großbritannien, sondern die gesamte EU in eine tiefe Krise gestürzt. Beim EU-Sondergipfel zum Brexit wurde zwar noch ein Kompromiss gefunden (neue Deadline Ende Oktober). Doch zuvor haben sich Deutschland und Frankreich ein heftiges Gefecht geliefert.

Bundeskanzlerin Angela Merkel appellierte an die “historische Verantwortung” der 27 verbleibenden EU-Staaten. Sie müssten alles unternehmen, um einen geordneten Austritt Großbritanniens möglich zu machen.

Vor Journalisten sprach sie sich für eine “offene und konstruktive” Diskussion über einen neuerlichen Aufschub aus. In einem Hintergrundgespräch warb sie danach erneut für ihre überaus softe Position.

Wesentlich härter zeigte sich Frankreichs Staatschef Emmanuel Macron. Er warnte Großbritannien, dass eine Verschiebung des Brexit-Datums keineswegs sicher sei – und blockierte stundenlang einen Beschluß.

Die EU-27 müssten deutlich machen, dass nun die Zeit der Entscheidung gekommen sei, weil man schon seit 2016 verhandele. Einen neuen Aufschub könne es nur unter Auflagen geben.

Nur knapp schrammten Merkel und Macron an diesem Abend am deutsch-französischen Achsbruch vorbei. Doch das ist kein echter Trost – denn kein einziges Problem ist gelöst.

Denn nun wird die Europawahl endgültig vom Brexit überschattet. Für die EU-Gegner ist das ein Konjunkturprogramm. Die Abstimmung im Mai wird zu einem zweiten Referendum über den Brexit.

Zudem wird der seit 2016 versprochene “Neustart” der EU weiter verschoben. Immer offener versuchen Ratspräsident Donald Tusk und Irlands Premier Leo Varadkar die europapolitische Restauration – der Brexit soll ganz abgesagt werden, oder UK soll trotz Austritts ein Mitspracherecht bei der Handelspolitik erhalten.

Beides liefe auf neue Sonderrechte und Privilegien für Großbritannien hinaus – und nicht auf eine demokratische und soziale Union, wie sie eine Zeitlang möglich schien.

Die britische Krankheit ist auf den Kontinent übergesprungen – eine schnelle Heilung ist nicht in Sicht…

Mehr auf der Brexit-Sonderseite

Watchlist

  • Heute fällt eine Vorentscheidung im Streit um die Justizreform in Polen. Es geht um die Senkung des Pensionsalters für Richter auf 65 Jahre sowie die Neuerung, dass der polnische Präsident die Amtszeit der Richter nach freiem Ermessen verlängern kann. Der zuständige Generalanwalt des Europäischen Gerichtshofs legt dazu sein Gutachten vor.

Was fehlt

  • Die vernichtende Zwischenbilanz der Europäischen Bewegung Deutschland. Die deutsche Europapolitik bestehe vor allem aus Abwehrarbeit, bilanziert die EBD: “Das europapolitische ‘catenaccio’ Deutschlands verhindert eine moderne Europapolitik, die sich durch ein für die Bevölkerung und die europäische Gesellschaft attraktives Spiel nach vorne auszeichnen könnte. Es gab und gibt sechs Wochen vor der Europawahl keinen substantiellen deutschen Beitrag für eine Strategische Agenda für die nächste Legislaturperiode des Europäischen Parlaments. Auf Basis der Erfahrungen aus dem ersten Jahr der Koalition ist weiterhin nur mit einem reaktiven Gestaltungswillen zu rechnen.” 

Zu einem ähnlichen Schluß komme ich in meinem aktuelle E-Book “Der verhinderte Neustart”