Die Feier der eigenen Scholle

In Europa grassiert der Separatismus und viele finden ihn gut. Gerade emanzipatorische Kräfte sollten jedoch vorsichtig sein –  aber nicht so vorsichtig, dass sie ihn einfach als überkommenen Irrationalismus abtun und dann zur Tagesordnung übergehen.

Von Moritz Rudolph

Es gibt einen separatistischen Affekt. Er mäandert durch Europa, im vergangenen Jahr wollten sie sich in Schottland loseisen, nun also Katalonien. In Lauerstellung befinden sich Bewegungen in Flandern, Südtirol, Venetien, Korsika, dem Baskenland … – werden bald auch die Bayern unruhig?

Viele finden das ganz putzig: der kleine, kauzige, aber darum auch irgendwie sympathische Eigenbrötler, der sein Ding gegen den großen Zentralstaat durchzieht, David gegen Goliath.

Dazu ein bisschen Folklore, Sardana-Tanz in Girona, lachende Menschen schwenken die Estrelada blava am Strand; und Pep Guardiola finden ohnehin alle gut. Ist das nicht die gelebte Vielfalt, die zu betonen der Gute-Laune-Liberalismus nicht müde wird?

Den ersten Essig gießt in den Wein, wer auf praktische Probleme verweist: Was geschieht mit der EU-Mitgliedschaft eines unabhängigen Kataloniens? Was mit dem Euro?

Der fröhlich-identitäre Lack der Unabhängigkeitsbewegung bekommt Sympathierisse, wenn man auf die Wirtschaftszahlen schaut: 16 % der Spanier sind Katalanen, sie erwirtschaften aber ein Fünftel der spanischen Sozialprodukts und zahlen 24 % der spanischen Steuern. Das katalanische Durchschnittseinkommen lag 2014 bei gut 28.000 Euro, während Restspanien auf weniger als 22.000 Euro kommt.

Also wollen die reichen Nordostiberer vielleicht doch bloß ihre Solidarität aufkündigen, den Finanzausgleich torpedieren und ihren Besitz verteidigen? Das ist hässlich. Richtig unangenehm wird der Separatismus aber, wenn man ihn nach seinem emanzipatorischen Gehalt befragt. Da ist nämlich kaum etwas zu holen.

Volk statt Klasse

Im Kern überspielt der Separatismus den Klassenwiderspruch durch einen zwischen „imagined communities“ (Anderson). Die Kämpfe, die er austrägt, folgen einer Grammatik des Nationalen.

Im katalanischen Taumel, berauscht von der kollektiven Identität, bildete sich eine Querfront, die beinahe alles absorbiert: „Junts pel Sí“ (Gemeinsam für das Ja) vereint nationalistische Kräfte, Konservative, Liberale, Linke und Promis wie Pep Guardiola, angeführt wird sie von einem Grünen.

Politische Differenzen treten dahinter zurück – „Ich kenne keine Parteien mehr“, rief Wilhelm Zwo, als der Krieg ausbrach, er kannte fortan nur noch Deutsche. Heute kennt auch die die Querfront nur noch Katalanen, keine Klassen mehr; alles verschwimmt hinter der Flagge der Einheit.

Aber so einfach ist es dann doch nicht, denn linke Kräfte haben durchaus ein Wörtchen mitzureden im katalanischen Gemenge; Spitzenkandidat  Raül Romeva gibt das Ziel aus, eine „Antwort auf die soziale Krise zu geben und denen zu helfen, die am meisten leiden“.

Unterstützt wird die Front auch von der antikapitalistisch-nationalistischen Partei „Candidatura d´Unitat Popular“ („CUP“), deren erklärtes Ziel es ist, mit der Austeritätspolitk zu brechen.

Viele Linke machen also gemeinsame Sache mit den katalanischen Autonomiebestrebungen. Wer könnte es ihnen verdenken? Die Erpresserbande aus dem Norden, aus Berlin und Brüssel, hat Griechenland ein knallhartes Sparpaket diktiert, das den ökonomisch Vernünftigen den Atem raubt.

Der US-Mainstream ist dagegen, Stiglitz und Krugman, selbst der IWF hat Bauchschmerzen. Dass Athen nun diese Kröten schlucken muss, gilt immer mehr Linken als Folge fehlender nationaler Souveränität.

Doch sie bearbeiten das hermeneutische Material, das da ausgebreitet vor ihnen liegt, nur zur Hälfte. Denn gerade das Beispiel Griechenland müsste den Mythos möglicher Nationalsouveränität in Zeiten der Globalisierung zerstören und die politische Linke für größere Zusammenschlüsse öffnen; hier in Katalonien macht sie aber das Gegenteil.

Sie zieht sich zurück ins Schneckenhaus und macht sich was vor. Als müsste man das Spardiktat nicht auch ohne Madrid umsetzen, als gäbe es in Katalonien keine Korruption, keine Immobilienblase.

Separatismus ist ein romantischer Reflex auf einen realen Mangel, im Grunde ein hilfloser Appell, der aufschreit, wo „etwas fehlt“ (Brecht), aber nicht genau benennen kann, was es denn ist, das einem da fehlt. Darin äußert sich eine Ohnmacht den Verhältnissen gegenüber – oder der Unwille, diese wirklich zu ändern; radikal ist die separatistische Antwort überhaupt nicht, nichts wird an der Wurzel gepackt.

(Fortsetzung hier)