“Die Europawahl europäischer machen”
Die Spitzenkandidaten bei der Europawahl 2014 waren erst der Anfang. Jetzt ist es Zeit für den zweiten Schritt: europaweite Wahllisten. Das fordert der SPD-Europaabgeordnete Jo Leinen – ein Interview.
Großbritannien scheidet im März 2019 aus der EU aus, also kurz vor der nächsten Europawahl. Wäre das nicht eine gute Gelegenheit, endlich mehr Demokratie zu wagen?
Der Brexit bringt viele unangenehme Dinge. Aber was die Neuaufstellung des Europäischen Parlaments angeht, bietet er tatsächlich eine einmalige Chance. Und das gleich in drei Dimensionen: Wir können die Sitze unter den Mitgliedsstaaten gerechter verteilen, wir können Platz lassen für künftige Erweiterungen der Kandidatenländer, und wir können die Europawahl europäischer machen, indem wir europäische Wahllisten einführen.
Was stellen Sie sich darunter vor, und wie soll es zu diesen europäischen Listen kommen?
Wir haben bisher keine echten Europawahlen, sondern 27 bzw. 28 nationale Wahlgesetze und nationale Wahllisten. Das passt nicht mehr in die Zeit. Von daher sollte der Bürger bei der nächsten Europawahl 2019 zwei Stimmen haben – eine für die jeweilige nationale Liste und eine für die Europaliste der europäischen Parteienfamilien.
Wie soll das gehen? Es ist ja nicht wie bei der Bundestagswahl – mit Direktkandidaten und Bundeslisten.
Wir haben 13 registrierte europäische Parteienfamilien von ganz links bis ganz rechts. Sie sollen künftig europäische Listen aufstellen und auch den oder die SpitzenkandidatIn für das Amt des Kommissionspräsidenten benennen. Das war ja eine Neuerung bei der letzten Europawahl 2014. Aber damals gab es ein Dilemma: Die Spitzenkandidaten mussten auf einer nationalen Liste kandidieren. Künftig sollen sie eine Europaliste anführen und in allen Mitgliedsländern Wahlkampf machen.
Wird es die Spitzenkandidaten denn 2019 überhaupt noch geben? Frau Merkel möchte sie am liebsten wieder abschaffen…
Diesen Machtgewinn wird sich das Europaparlament nicht mehr nehmen lassen. Wir haben ja 2014 eine echte Verschiebung der Macht vom Europäischen Rat der Staats- und Regierungschefs hin zum Europäischen Parlament erlebt, das den siegreichen Spitzenkandidaten zum Kommissionspräsidenten gemacht hat. Daran wird das Parlament festhalten. Aber das war nur ein erster Schritt – jetzt ist es Zeit, auch den zweiten zu machen.
Wer steht denn hinter dieser Idee? Kommissionspräsident Juncker hat sich in seiner Rede überraschend zu paneuropäischen Listen bekannt, doch im zuständigen Parlamentsausschuss scheint es Probleme zu geben?
Wir haben eine große Mehrheit für europäische Listen. Das geht von den Liberalen bis zu den Linken. Eigentlich sind alle dafür – bis auf die CDU/CSU, die seltsamerweise auf der Bremse steht.
Wie ist dieser Widerstand zu erklären? Nutzen CDU/CSU die starke Stellung Deutschland in der EU aus, um Reformen zu verhindern?
Eine solche Reform braucht Mut und Weitblick. Doch nicht alle wollen Änderungen, deshalb sind sie ja Konservative.
Teil 2 des Interviews folgt am Mittwoch. Siehe auch: “EU-Parlamentschef gegen EU-Wahllisten”
hintermbusch
31. Oktober 2017 @ 14:26
Europäische Listen sind Quatsch, allein schon wegen der Sprachbarrieren. Auf europäischer Ebene liegen die demokratischen Vorteile des Mehrheitswahlrechts noch offener zutage als ohnehin schon.