„Die Eurokrise ist vorbei“
Eurogruppenchef Dijsselbloem hält die Eurokrise für beendet. Zwar gebe es verschiedene Definitionen, doch „an sich“ sei die Krise vorbei, sagte der Niederländer. Dabei schwächelt sein eigenes Land immer noch. Auch Deutschlands Lieblings-Partner Finnland und Österreich haben Probleme.
Die deutschen Medien haben es nicht berichtet, die niederländischen umso größer. „Het ligt eraan hoe je het definieert, maar op zichzelf is de crisis voorbij”, meldet „De Telegraaf“.
Pünktlich zur Europawahl ruft der niederländische Finanzminister also das Ende der Krise aus. Das war natürlich vor allem innenpolitisch motiviert. Denn ökonomisch ist es kaum begründet.
Fangen wir mit Dijsselbloems eigenem Land an: Die Niederlande erholen sich mühsam von der schweren Krise. Nach minus 0,8 Prozent in 2013 soll das Wachstum 2014 gerade mal 1,2 Prozent betragen.
2015 bleibt Holland laut EU-Kommission mit 1,4 Prozent Wachstum hinter dem Eurozonen-Schnitt (1,7) zurück. Die Immobilien- und Bankenkrise – beide selbst verschuldet – hinterlassen ihre Spuren.
Noch bitterer sieht es in Finnland aus, dem zweiten wichtigen Partner Deutschlands in der Eurogruppe. Gerade mal um 0,2 Prozent soll das Land dieses Jahr wachsen – selbst Griechenland steht besser da.
Und auch Österreich, das hierzulande als Musterschüler Deutschlands gilt, hat Probleme. Wegen der Bankenkrise um Hypo Alpe Adria wachsen die Schulden rasant, die Eurogruppe ist besorgt.
Nimmt man dann noch die beiden Schwergewichte Frankreich und Italien hinzu, die beide langsamer wachsen als die Eurozone (vor allem wegen der Austeritätspolitik), dann ist der Befund klar:
Die Krise ist keineswegs vorbei – im Gegenteil: sie hat nun den Kern der Eurozone erfasst. Derweil wachsen in der Peripherie die Schuldenberge in ungeahnte, alles andere als nachhaltige Höhen.
Vorbei ist eigentlich nur die Vertrauenskrise der Anleger und Spekulanten, wie die rasant sinkenden Renditen für Staatsanleihen zeigen. Dagegen wird die Vertrauenskrise der Bürger immer schlimmer.
Dazu nach der Europawahl mehr…
Andres Müller
7. Mai 2014 @ 19:59
Ja, die Systemkrise ist in Eropa keineswegs vorbei. -Im Gegenteil.
In Frankreich zum Beispiel liegt der Output der Industrie auf dem Stand von Ende der 80er Jahre -und das trotz grösserer Bevölkerung (plus ca. 10 Millionen seither). In Portugal liegen die Schulden auf Rekordhöhe von ca. 210 Milliarden Euro. Auch in Spanien, Irland, Griechenland und Italien liegt das Damoklesschwert der Überschuldung. Die Beruhigung an den Wertpapiermärkten kommt nur unter dubiosen Garantien der EZB zustande, die Bankenstresstest kommen auch noch. Den Banken stehen noch schwerere Zeiten bevor, egal ob sie von Draghi und Dijsselbloem geschont werden oder nicht.
Der gesamte Westen liegt sowohl Wirtschaftlich als auch Politisch darnieder -nur den Reichen geht es immer besser. Vor allem die Demokratie und somit das Bürgervertrauen befindet sich in ihrer schwersten Krise seit dem Sturz der Weimarer Republik. In Österreich wünschen sich 1/4 der Bevölkerung nach neuer Umfrage gar einen Diktator und die Zeit des Nationalsozialismus wird zunehmend verklärt und beschönigt.
In Wirtschaftsfragen ist die Bevölkerungen des Westens überall praktisch entmachtet -sie hat hier kaum mehr etwas zu sagen. Auch in Sicherheitsfragen sind wir in einem Zustand der totalen Überwachung -die Datenbestände der Überwacher sind weitaus grösser als zur Zeit des Faschismus.
Die soziale Sicherheit der Bürger verschlimmert sich ebenfalls weiter, in einigen Ländern ist das Gespenst des Hungers zurückgekehrt.
Peter Nemschak
7. Mai 2014 @ 22:06
Warum sich viele Menschen in Österreich einen Diktator wünschen: weil die Angebote an demokratischen Parteien unattraktiv sind. Ihren grundlegenden Pessimismus kann ich allerdings nicht nachvollziehen, wenn ich die vollen Restaurants und Kaffeehäuser und die Tourismusmassen im Zentrum Wiens sehen. Sie scheinen vom Leben sehr frustriert zu sein, während die schweigende Mehrheit der Menschen recht gut zu recht kommen dürfte.
ebo
7. Mai 2014 @ 22:11
Lieber Herr Nemschak, bitte schieben Sie doch nicht alles auf den angeblichen „Frust“ der Leute. Es geht um eine verfehlte Politik und – in Österreich – offenbar um einen braunen Bodensatz.
Peter Nemschak
8. Mai 2014 @ 08:51
@ebo den braunen Bodensatz in Österreich gibt es sicher. Nur hat der nichts mit den von mir angeführten Problemen zu tun. Mir scheint, Sie haben eine Braunallergie, auch was Europa betrifft, da Sie so heftig gegen den Rechtspopulismus zu Felde ziehen. Es gibt ihn in verschiedenen Ausprägungen mit Schwerpunkt Fremdenfeindlichkeit, und er wird in wirtschaftlich schwierigen Zeiten naturgemäß stärker. Viele Menschen erwarten einen quick fix, den es nicht gibt. Ob Ihre und diverse linke Politikvorschläge eine Wende zum Besseren bringen, ist auch nicht bewiesen. Vielleicht überschätzen wir insgesamt die Einflussmöglichkeiten der Politik. Zukunftsoptimismus, der Voraussetzung für Investitionen und Wachstum ist, lässt sich, wie es scheint, nicht im Reagenzglas zusammenmischen.
popper
7. Mai 2014 @ 13:30
@Peter Nemschak
Denken Sie doch mal ein bisschen nach, wenn Sie solche Sätze hinschreiben, wie … Eurokrise hat bloß Systemschwächen verstärkt etc…. und dann das übliche Bashing auf die angeblichen Missstände in den Ländern (hier Österreich). Aber Systemschwächen erklären sich nicht diesen unterschiedlichen gesellschafts- und wirtschafts- oder steuerpolitischen Entwürfen einzelner Länder, sondern aus der auf den Hund gekommenen Wirtschafts- und Finanzwissenschaft unserer „modernen“ Welt. Diese huldigt seit Jahrzehnten einem modellbasierten Monetarismus und leitet hieraus Parameter ab für eine funktionierende Marktwirtschaft, die theoretisch fundiert, aber praktisch kläglich scheitert.
Anstatt dies zu realisieren und daraus die notwendigen Schlüsse zu ziehen, gelingt ja schon deshalb nicht, weil die verantwortlichen Kräfte in der Währungsunion (Europäische Kommission, EZB und insbesondere Deutschland) nicht bereit sind, zuzugeben, dass ihr Modell nichts taugt und nur temporär Heilsversprechen imaginiert hat, und deren Misserfolg sich nur deshalb hinauszögern lässt, weil die „Zitronen“ des privaten Sektors in den Volkswirtschaften noch Saft hergeben, dessen letzter Rest quasi in einem Allokationsprozess von unten nach oben in die bereits prall gefüllten Taschen umzuleiten.
Da sind Schuldzuweisungen, wie Sie sie präsentieren wohlfeil, weil sie den schwindelerregenden geistigen Sumpf einer ganzen Zunft am notwendigen Austrocknen hindern. Nicht die Schulden sind das Problem, sondern das Sparen. Eine Wirtschaft in der alle nur noch Sparen wollen/sollen ist ein Popanz, der die Volkswirtschaften dieser Eurozone da hingebracht hat, wo wir heute sind. In eine deflationäre Abwärtsspirale, deren Ende nur mit ökonomischer Vernunft und Logik zu erreichen ist. Der neoliberale Hegemon unserer Zeit, dessen größter Befürworter ausgerechnet Deutschland ist. mit seiner abstrusen Vorstellung, alle könnten wettbewerbsfähig sein, wenn sie ihre Löhne senken, wird nur durch einen völligen Paradigmenwechsel zu beseitigen sein.
Peter Nemschak
7. Mai 2014 @ 21:51
Ich wäre auf Ihre Alternativen neugierig.
Peter Nemschak
7. Mai 2014 @ 10:42
Die Eurokrise hat bloß Systemschwächen verstärkt und sichtbar werden lassen, die schon zuvor existiert haben. Für Österreich: ineffiziente Verwaltung in einem reformbedürftigen föderalen System, Staatsausgaben nach dem Gießkannenprinzip, seit Jahrzehnten aufgeschobene Pensionsreform (effektives Antrittsalter 58 Jahre !), ein Bildungssystem, das mit den heutigen gesellschaftlichen Realitäten nicht zu Rande kommt, ein leistungsfeindliches Steuersystem….
So gesehen ist es irrelevant, ob die Eurokrise vorbei ist oder nicht. Wir dürfen nicht die EU für Probleme verantwortlich machen, die hausgemacht sind und von den nationalen Regierungen angepackt werden müssten. Die EU wird allzu oft als Ausrede für heimische Versäumnisse herangezogen.