Deutsches Rollback

Beim Juni-Gipfel musste Kanzlerin Merkel mehrere wichtige Zugeständnisse machen. Nun, beim Herbstgipfel, rudert sie zurück: Die im Juni beschlossene gemeinsame Bankenaufsicht soll aufgeschoben werden, marode spanische Banken sollen doch kein Geld aus dem ESM erhalten, und die EU-Reform soll nach deutschem Gusto laufen. Das Rollback ist teilweise gelungen – dennoch ist Merkel geschwächt.

Es war ein ungewöhnlicher Gipfelauftakt. Fast alle EU-Granden sowie die Chefs aus Frankreich, Italien, Spanien und Österreich drängten die deutsche Kanzlerin, die beim letzten Europäischen Rat getroffenen Vereinbarungen einzuhalten.

Kommissionspräsident Barroso forderte Geld für den Wachstumspakt, Ratspräsident Van Rompuy will die EU-Reform voranbringen, Frankreichs Hollande mahnte einen Beschluss zum Start der Bankenaufsicht an. Zudem stellte sich Österreichs Faymann gegen ein separates Euro-Budget, das Merkel als Zuckerbrot für folgsame Eurostaaten nutzen möchte.

Die Differenzen waren so groß, dass Merkel schon froh war, dass Hollande sie vor dem Gipfelauftakt zu einem bilateralen Treffen empfing. Denn an Hollande, der sich mit der EU-Kommission, aber auch mit Italien und Spanien einig weiß, kommt sie nicht mehr vorbei.

Vor dem Gipfel hat er unverhohlen damit gedroht, die deutsche EU-Reformagenda zu blockieren, wenn Merkel sich nicht auch bewegt. Der Franzose weiß – und sagt es auch noch laut -, dass in Deutschland der Bundestagswahlkampf begonnen hat, und dass Merkels Position vor allem innenpolitisch motiviert ist.

Für Streit sorgte vor allem die Bankenaufsicht, denn da geht es um viel Geld, und sie ist nach Auffassung fast aller EU-Chefs sowie der meisten Experten der unverzichtbare zweite Baustein zur Krisenlösung nach dem Fiskalpakt. Dass Merkel hier mauert, wird vor allem als Zugeständnis an die deutschen Sparkassen und  den deutschen Mittelstand gewertet, der um seine Ersparnisse fürchtet.

Am Ende gab es einen typischen EU-Kompromiss. In einer improvisierten Nachtsitzung, die Merkel nicht vorgesehen hatte („ein ruhiger Gipfel, hier fallen keine Beschlüsse“), einigten sich die 27 Staats- und Regierungschefs zwar erstmals auf einen Zeitplan für die neue Behörde. Nach dem Ende des Gipfels machte Merkel aber viele Vorbehalte.

„Es sind noch schwierige Fragen zu klären“, sagte sie. Zunächst müssten die rechtlichen Grundlagen geschaffen werden. Dies sollen die Finanzminister bis Ende des Jahres erledigen. Danach müsse man die Behörde, die bei der Europäischen Zentralbank (EZB) in Frankfurt angesiedelt werden soll, aufbauen. Dies werde wohl einige Monate dauern. Wann der offizielle Startschuss fallen werde, könne sie nicht sagen, betonte Merkel.

Hollande wollte erreichen, dass die Bankenaufsicht – wie beim EU-Gipfel im Juni anvisiert – bereits am 1. Januar ihre Arbeit aufnimmt. Damit wäre nach französischer Lesart auch die Möglichkeit geschaffen, marode Banken direkt aus dem neuen Euro-Rettungsfonds ESM zu stützen.

Dies könnte vor allem Spanien, aber auch Irland helfen. Beide Länder hatten vor Beginn der Finanzkrise ausgeglichene Haushalte, gerieten dann aber wegen der überschuldeten Privatbanken in eine finanzielle Schieflage. Diesen „Teufelskreis“ aus Banken- und Schuldenkrise wollten die Eurochefs eigentlich mit ihrem Beschluß vom Juni brechen. Doch auch diese Hoffnung dämpfte Merkel nun schon wieder.

„Wenn die Bankenaufsicht installiert ist, haben wir kein Problem mehr mit spanischen Banken“, sagte sie in Brüssel. Denn dann sei die aktuelle Notlage der spanischen Institute überwunden, und rückwirkend gebe es keine Hilfe. Ob und wann der ESM überhaupt zur Stützung von Banken eingesetzt werden kann, blieb nach dem Gipfel offen. Dafür sei eine neue Rechtsgrundlage nötig, sagte Merkel.

Dies braucht jedoch noch mehr Zeit – vor der Bundestagswahl im Herbst 2013 wird es wohl nichts mehr.

Mit Blick auf Spanien und den ESM ist das deutsche Rollback also gelungen. Der britischen FT ist dies nicht entgangen, die Märkte reagierten enttäuscht.

Europapolitisch ist Merkel aber in die Defensive geraten.  Ähnlich wie im Juni wurde sie von Hollande und den Südländern unter Druck gesetzt und konnte ihre Ziele nur mühsam verteidigen. Die Kanzlerin gilt nach diesem Gipfel nicht mehr als das Zugpferd, das Europa entschlossen aus der Krise holt. Sie gilt als Bremserin, die mit Rücksicht auf CSU und FDP überfällige Entscheidungen verhindert. Um die Bankenunion auszubremsen, die die Eurozone so dringend braucht, musste sie sich mit Nicht-Euro-Ländern wie Schweden verbünden. Ein Zeichen von Stärke ist das nicht…

Siehe zu diesem Thema auch meinen Artikel auf Cicero online