Des-Integration, Teil 2
Beginnt mit dem Brexit die Des-Integration, also der Zerfall der EU? In Teil 2 der Sommerserie richten wir den Blick nach Österreich und Italien, wo der Union neue Härtetests bevorstehen.
[dropcap]E[/dropcap]rst Großbritannien, dann Österreich und Italien? Fest steht, dass im Herbst zwei neue Bewährungsproben auf die EU zukommen.
Zuerst (Anfang Oktober) wiederholen die Österreicher ihre umstrittene Präsidentschaftswahl. Wenn FPÖ-Mann Hofer gewinnt, wäre das bitter für Brüssel.
Schliesslich hat Kommissionschef Juncker bereits verkündet, mit Hofer und Seinesgleichen könne es keinen Kontakt und keine Verhandlungen geben.
Zwar gibt es da noch den neuen Kanzler in Wien, der auf EU-Kurs ist. Aber auch der müsste ja auf Hofer und seine Wähler Rücksicht nehmen.
Noch schwieriger wird es, wenn der italienische Premier Renzi im Herbst (Ende Oktober oder Anfang November) sein Referendum über die Staatsreform verliert.
Dann wären wohl Neuwahlen in Italien fällig, die die EU-feindliche Fünf-Sterne Bewegung gewinnen dürfte. Sie will auch raus aus dem Euro.
Eine Anti-Euro-Partei in der Macht – im drittgrößten Euroland: Das würde die gesamte Währungsunion in Frage stellen. Die Schuldenkrise in Griechenland wäre ein Klacks dagegen.
Der Clou ist, dass Brüssel gegen beide Risiken nichts tun kann. Allenfalls kann Juncker dem Italiener Renzi bei seiner umstrittenen Bankenrettung helfen.
Aber da ist Merkel vor, sie lehnt staatliche Hilfen für die strauchelnden Banken ab. Merkel war es auch, die Österreich mit ihrer Flüchtlingspolitik in die Arme der FPÖ getrieben hat.
So trägt die deutsche EU-Politik, wenn auch ungewollt, zur Des-Integration der EU bei. Und Juncker und den Brüsseler EU-Granden sind die Hände gebunden…
Teil 1 dieser Serie steht hier
Winston
28. Juli 2016 @ 23:21
Auch beim IWF scheinen sie langsam vom Euro Delirium aufgewacht zu sein.
IMF admits disastrous love affair with the euro, apologises for the immolation of Greece
Thanks Ambrose.
http://www.telegraph.co.uk/business/2016/07/28/imf-admits-disastrous-love-affair-with-euro-apologises-for-the-i/?utm_source=dlvr.it&utm_medium=twitter
Peter Nemschak
26. Juli 2016 @ 08:38
@ebo Diese Fehleinschätzung wurde mittlerweile korrigiert. Dazu bedarf es keines Regierungswechsels.
mister-ede
25. Juli 2016 @ 19:24
Was den Euro anbelangt, will ich dem Artikel nicht widersprechen. Was die Flüchtlingspolitik angeht aber schon. Merkel wird von der FPÖ zum Sündenbock gemacht, allerdings war sie nur die Überbringerin der schlechten Botschaft. Als Merkel öffentlich aktiv wurde, waren nämlich schon mindestens 200.000 Flüchtlinge in die EU eingereist – mit stark steigender Tendenz.
Peter Nemschak
25. Juli 2016 @ 20:53
Danke, dass Sie an die Wahrheit erinnern. Manche von rechts- und links-außen reimen sich ihre Geschichten so zusammen, wie es gerade in ihr Weltbild passt.
ebo
25. Juli 2016 @ 20:57
@mister-Ede Nein, ganz so war es nicht. Zuerst kamen Hunderttausende vom Balkan, vor allem aus Kosovo. Sie kamen nicht in „die EU“, sondern gezielt nach Deutschland. Das hat Berlin unterbunden. Danach sprach Merkel ihre Einladung an die Syrer aus, und dann kamen nochmal Hunderttausende. Österreich war aktiv beteiligt, Faymann hat ja sogar Merkels „Koalition der Willigen“ in seine EU-Vertretung in Brüssel geladen!
Peter Nemschak
26. Juli 2016 @ 07:03
Das war eben ein Fehler, den es zu korrigieren gilt. So oder so wären zu viele Migranten gekommen als die einheimischen Bevölkerungen bereit sind zu akzeptieren. Ohne zeitweise Einladungspolitik hätten wir halt ein paar hundert tausend weniger, was im Grunde nichts daran geändert hätte, dass die EU bis heute keine intelligente (quantitativ und qualitativ) Zuwanderungspolitik hat. Diese beharrlich einzufordern wäre sinnvoller als medial von einem Aufreger zum nächsten zu jagen.
mister-ede
26. Juli 2016 @ 16:03
@ebo
Von Januar bis Juni 2015 verzeichnete das „Refugee Emergency Response System“ des UNHCR 75.000 Schutzsuchende, die alleine von der Türkei nach Griechenland einreisten. Im Monat Juli 2015 (Das war die Zeit von Merkel streichelt – also nix Einladung, sondern Eiskanzlerin) kamen dann auf dieser Route schon 55.000 Flüchtlinge in die EU und im August sogar 107.000.
http://data.unhcr.org/mediterranean/country.php?id=83
Erst Ende August, als bereits über 200.000 Schutzsuchende alleine von der Türkei aus in Griechenland bzw. in die EU eingereist waren (mit stark steigender Tendenz), kam es zur Situation in Budapest. Ich weiß das, weil es nur zwei Tage war, nachdem ich einen Artikel geschrieben habe, der sich heute liest, wie die Leitlinien für die Bundesregierung zum Umgang mit der Situation.
http://www.mister-ede.de/politik/gedanken-eu-asylpolitik/4303
P.S. Ich sprach extra von der FPÖ und nicht von Österreich. Faymann wurde ja auch zum Sündenbock gemacht – obwohl er später seinen Kurs sogar änderte. Nur es entbehrt halt jeder Grundlage, weil die Schutzsuchenden schon längst mitten in der EU waren.
GS
27. Juli 2016 @ 18:03
Klar, mister-ede, wer von der Türkei nach Griechenland übertritt, sucht Schutz. Orwellscher Neusprech vom feinsten.
Peter Nemschak
24. Juli 2016 @ 20:40
@anonymous „Krisenland Italien“, Thomas Mayers Weltwirtschaft in der FAZ. Ich kenne Italien seit 50 Jahren: politisch und wirtschaftlich undiszipliniert mit ungelöstem Nord-Südproblem, schon in den 1970-iger Jahren ein finanzieller Sanierungsfall für die damalige EWG. Den damaligen Sanierungskredit, für den die anderen EWG-Mitglieder solidarisch die Haftung übernommen haben, habe ich für unsere Bank selbst unterschrieben. Was wollen Sie von einem Land und einer Gesellschaft, in der sich jahrelang ein Berlusconi an der Macht halten konnte.
astras
24. Juli 2016 @ 23:55
Es ist immer wieder faszinierend zu lesen, wie gewisse Herrschaften ihre (offenbar seit Jahrzehnten) feste verankerte Meinung hinausposaunen und den Inalt der Posts auf diesem Blog mehr oder minder ignorieren…
alex
25. Juli 2016 @ 14:39
@Peter Nemschak: da der Einwand von „Anonymous“ von mir stammt, noch folgende Anmerkung: auch Thomas Mayer hat das in der FAZ so wie sie nicht gesagt – denn es ist empirisch schlichweg falsch. Das sie Italien als (Zitat:) Sauhaufen bezeichnen ist einfach nur nationalistisch-menschenverachtend. Und wenn sie sich über Berlusconi echauffieren, dann sollten sie sich zuerst an die eigene disziplinierte Nase fassen und an den Politiker Jörg Haider denken, der mit seinen xenophoben kriminellen Machenschaften rund um die Hypo ihrem Land ein zweistelliges Milliardenloch hinterlassen und Kärnten in den Bankrot getrieben hat. Ja auch über ihren makrökonomischen Sachverstand will ich hier lieber nichts sagen.
Peter Nemschak
25. Juli 2016 @ 16:49
Ich war nie ein Anhänger von Haider, im Gegenteil. Dass ihm so lange so viele Menschen nachgelaufen sind, zeigt nicht von der Intelligenz des Wählervolks. Trotzdem darf ich mir eine Meinung über die italienischen Verhältnisse, die ich aus eigener Anschauung kenne, erlauben. Sie mögen eine andere haben. Was lässt Sie konkret an meinem makroökonomischen Sachverstand zweifeln? Hinsichtlich der Beurteilung des Euro und seiner Schwächen stimme ich mit den Professoren Weder di Mauro (ehemals im Sachverständigenrat der deutschen Bundesregierung), Feld und Sinn überein.
Peter Nemschak
24. Juli 2016 @ 20:18
@anoynmous Habe ich entweder in der NZZ oder FAZ gelesen. Sie werden doch nicht behaupten, dass Italien ein politisch und wirtschaftlich gut geführtes Land ist. Den italienischen Sauhaufen kenne ich seit 50 Jahren (die Zeit der Benzingutscheine für ausländische Touristen).
GS
24. Juli 2016 @ 18:26
Hofer ist doch egal. Der ist nicht der Regierungschef. Und ob es Kontakt zu Hofer gibt, wird sicher nicht Juncker entscheiden.
Italien ist aber der eigentliche Elefant im Porzellanladen. Und natürlich Frankreich.
Peter Nemschak
24. Juli 2016 @ 18:14
Nur wegen der Rechtspopulisten kann man staatliche Hilfen für die Banken ohne Gläubigerbeteiligung nicht einfach zulassen. Damit macht man sich unglaubwürdig. Wenn die Italiener so dumm sind und sich gegen die überfällige Staatsreform aussprechen, verdienen sie kein besseres politisches System. Sie würden sich damit ins eigene Fleisch schneiden. Wie der BREXIT gezeigt hat, sind die Bürger allerdings einfältig genug, um gegen ihre wirtschaftlichen Interessen zu stimmen. Von rational choice kann keine Rede sein. Letztlich muss Juncker mit demokratisch gewählten Mehrheiten, auch wenn sie ihm nicht passen, zusammenarbeiten.
S.B.
24. Juli 2016 @ 19:06
@Peter Nemschak: Ich meine, Sie sind auf dem Holzweg, was die weitere wirtschaftliche Entwicklung der Briten angeht. Das hat wohl (EU-) ideologische Gründe.
http://www.bloomberg.com/news/articles/2016-07-22/johnson-says-u-k-approached-by-australia-india-for-trade-deals
Im Übrigen: Es kann dahinstehen, ob die Italiener ein besseres politisches System verdient haben oder nicht. So lange IT in EU und Euro ist, werden die anderen Euro-Mitglieder, allen voran D, per EZB für die „Rettung“ Italiens zahlen. Das ist der eigentliche Skandal an dieser absurden Währungsunion: die defacto-Haftungsgemeinschaft, die (angeblich) nie gewollt war.
Peter Nemschak
24. Juli 2016 @ 20:21
Was Italien betrifft, gebe ich ihnen recht: wie man sich bettet, so liegt man. Es ist unmoralisch, es auf Kosten der anderen zu tun.
alex
24. Juli 2016 @ 17:51
Ebo, ich glaube es gibt (leider) nur noch eine Chanche die EU zu retten. Man müsste Italien und Frankreich (und allen anderen €-Ländern, die es benötigen) einen zumindest befristeten und institutional begleiteten Ausstieg aus dem € erlauben – wurde in einem anderen Post (über den ECU) hier von mir kurz angerissen. Die Lücke bei den nationalen Lohnstückkosten der €-Länder ist mittlerweile zu gross, die verlieren jeden Tag im Binnen- und Aussenhandel. Dafür müsste man natürlich in Brüssel/Berlin auch viele andere Fehler, die gemacht (und oben erwähnt) wurden, eingestehen. Kaum zu glauben, dass dies je passiert. So spielt die Politik der „Schlafwandler“ allen EU-Feinden in die Hände. Schade um dieses so wichtige (einstige) Friedensprojekt.
Peter Nemschak
24. Juli 2016 @ 18:18
Nicht erst seit der Krise sondern bereits seit Einführung des EURO ist das BIP/Kopf in Italien gefallen. Das wirtschaftliche Versagen Italiens ist zum großen Teil hausgemacht. Ein Gutteil der heutigen Bankenkrise in Italien ist darauf zurückzuführen.
Anonymous
24. Juli 2016 @ 19:00
@Peter Nemschak: Laut Eurostat oder AMECO ist das BIP/Kopf in Italien seit €-Einführung bis zur Finanzkrise 2008/9 stetig gestiegen (http://www.sozialpolitik-aktuell.de/tl_files/sozialpolitik-aktuell/_Politikfelder/Europa-Internationales/Datensammlung/PDF-Dateien/abbX2.pdf).
Klaus
25. Juli 2016 @ 13:16
Nicht die Gesamtökonomie ist das Problem sondern die Verteilungsfrage und der Druck auf die Arbeitseinkommen. Die Schuldenfrage lassen wir als weltweites gesamtkapitalistisches Grundproblem mal außen vor.
Die politischen Systeme brauchen reinigende (nationale) Gewitter. Die politische Klasse muß erkennen daß die Mechanismen des alten Krisenmanagements nicht mehr funktionieren
S.B.
24. Juli 2016 @ 18:56
@Alex: Die EU ist genauso wenig, wie der Euro ein Friedensprojekt. Beide haben die teilnehmenden Staaten im Ergebnis auseinanderdividiert und nicht näher aneinander herangeführt, wo es im Sinne eines solchen Projektes erforderlich (gewesen) wäre. Das bestätigten die nackten Fakten. Friedensprojekte waren die flexiblen Vorreiter von EU und Euro, EWG und Ecu, die dem sehr heterogen Europa genug Luft zum Atmen gelassen haben. Dahin muss es logischerweise zurück gehen. Allerdings werden die „glühenden Europäer“, also die EU-Betonköpfe, ihre kapitalen Fehler mit EU und Euro niemals selbst korrigieren. Genauso wenig, wie die Ostblockführer es vor 1989 von sich aus gemacht hätten.
asisi1
26. Juli 2016 @ 07:58
der sinn und zweck der euro-übung ist und war einzig und allein, das bei schwierigkeiten deutschland bezahlen wird. mag kommen was will, die deutschen zahlen den ganzen mist.
nicht umsonst sitzen an allen wichtigen positionen nicht deutsche, sondern irgendwelche nieten aus , z.b. belgien. belgien ist , gemessen an seiner einwohnerzahl, ein niemand.
Peter Nemschak
25. Juli 2016 @ 20:57
@alex Die EU wird als Wirtschaftsunion mit hoher Wahrscheinlichkeit erhalten bleiben, weil die wechselseitigen vorteile evident sind. Die österreichischen Rechtspopulisten, die für ein ÖXIT waren sind nun dagegen, weil die österreichische Volksmeinung, was immer diese wert ist, nach dem BREXIT gegen ein ÖXIT ist. In den anderen Mitgliedsländern wird es nicht viel anders sein.