Der Rechtsstaat kann warten, Afrika darf hoffen – und die Nato rüstet auf

Die Watchlist EUropa vom 17. Februar 2022 –

Der umstrittene neue Rechtsstaats-Mechanismus der EU ist rechtskräftig und kann sofort angewandt werden. Dies hat der Europäische Gerichtshof (EuGH), das höchste EU-Gericht, am Mittwoch in Luxemburg entschieden. Dem EuGH-Urteil zufolge kann die EU-Kommission für Mitgliedstaaten bestimmte Finanzmittel einbehalten, wenn Verstöße gegen demokratische Rechte und Freiheiten vorliegen und dadurch Schaden für das EU-Budget droht.

Die Klagen aus Ungarn und Polen wurden zurückgewiesen. Dennoch müssen beide Länder, denen systematische Eingriffe in die Pressefreiheit und die Justiz vorgeworfen werden, noch nicht mit Finanzsanktionen rechnen. Denn die für die EU-Kommission lässt sich Zeit.

Bevor man gegen Rechtsstaats-Verstöße vorgehe, könnten noch „Wochen“ vergehen, sagte eine Sprecherin von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen in Brüssel. Auf einen Zeitpunkt wollte sie sich nicht festlegen.

Zunächst will die Brüsseler Behörde das Urteil eingehend prüfen. Danach sollen bereits vorhandene „Leitlinien“ für die Kürzung von EU-Geldern überarbeitet werden. Erst danach könne man an die Umsetzung des Urteils gehen.

Rücksicht auf Ungarn-Wahl?

Vor den Wahlen in Ungarn im April sei nicht mit einer Entscheidung zu rechnen, sagte die Europaabgeordnete Katarina Barley (SPD). Das von der Kommission vorgesehene Verfahren werde mindestens fünf Monate dauern, vielleicht sogar neun.

Die „Hinhaltetaktik“ der EU-Behörde sei nicht hinnehmbar, so die frühere Bundesjustizministerin. Sie verstoße gegen geltendes Recht. Nach Auffassung des Parlaments hätte von der Leyen sofort nach Inkrafttreten des Rechtsstaats-Mechanismus Anfang 2021 aktiv werden müssen.

Die Abgeordneten hatten im Herbst eine Untätigkeitsklage eingereicht, um die Kommission zum Handeln zu zwingen. Diese Klage werde erst zurückgezogen, wenn ein EU-Land förmlich notifiziert werde, sagte der grüne Abgeordnete Sergej Lagodinsky.

Eine Blockade droht

___STEADY_PAYWALL___

Prügel bezieht die Brüsseler Behörde auch aus den beiden betroffenen Ländern. Die EU wandele sich von einem Raum der Freiheit zu einem Verbund, in dem man rechtswidrig Gewalt anwenden könne, um den Mitgliedsstaaten die Freiheit zu nehmen, sagte der polnische Justizminister Zbigniew Ziobro.

“Die Entscheidung ist ein lebender Beweis dafür, wie Brüssel seine Macht missbraucht“, schrieb Ungarns Justizministerin Judit Varga auf Twitter.

Ungarn und Polen haben damit gedroht, die EU lahmzulegen, falls es tatsächlich zu Budgetkürzungen kommen sollte. Die rechtspopulistischen Regierungen in Budapest und Warschau könnten bei wichtigen, einstimmigen Entscheidungen ihr Veto einlegen.

Von der Leyen drückt sich

Die EU wäre dann blockiert. Beobachter in Brüssel vermuten, dass von der Leyen auch deswegen zögert.

Die CDU-Politikerin wich Nachfragen aus. Ursprünglich sollte sie am Mittwochnachmittag im Europaparlament in Straßburg Rede und Antwort stehen. Sie sagte den Termin jedoch kurzfristig ab und schickte ihren Haushaltskommissar Johannes Hahn vor.

Von der Leyen habe Wichtigeres zu tun, sagte eine Sprecherin: Sie müsse sich um die Ukraine-Krise kümmern…

Siehe auch Polen stürzt EUropa in Verfassungskrise

Watchlist

Kann die EU verlorenes Terrain in Afrika wieder wettmachen? Nach dem Vormarsch der Chinesen und dem Debakel in Mali versuchen die 27 Staats- und Regierungschefs, bei einem EU-Afrika-Gipfel wieder Anschluß zu gewinnen. Die Gäste hoffen u.a. auf eine bessere Versorgung des afrikanischen Kontinents mit Corona-Impfstoffen – doch die Freigabe der Patente bleibt tabu…

Was fehlt

Die Aufrüstung der Nato in Osteuropa. Obwohl die unmittelbare Kriegsgefahr in der Ukraine gebannt scheint, wollen die Allierten neue Battlegroups aufstellen und ihre Präsenz an der Grenze zu Russland verstärken. Moskau hatte das Bündnis vor der Stationierung zusätzlicher Truppen gewarnt und Verhandlungen über einen Rückzug der Nato gefordert. Nun geschieht das Gegenteil…