Der Postillon bringt’s auf den Punkt
Das war keine Diplomatie, sondern eine Demütigung. Präsident Erdogan und seine Vasallen in der türkischen Regierung ließen den künftigen deutschen Bundespräsidenten Steinmeier auflaufen. Warum tut der sich das an?
[sociallocker id=36021]Warum reist er nicht einfach ab und beendet den sogenannten “Dialog” mit der Türkei, der schon lange keiner mehr ist? Wenn Steinmeier und die deutsche Regierung den Werten verpflichtet wären, die sie ständig beschwören, wäre das jetzt fällig.
Doch es passiert nicht. Denn die deutschen Interessen, in der Wirtschaft und am Flüchtlingsdeal, sind wichtiger als die europäischen Werte. Es geht hier um nationale Interessen, nicht um Europa, um Nationalismus, nicht um EU-Beitritt.
Dabei legt es Erdogan doch regelrecht darauf an, den Bruch herbeizuführen. Der “Postillon” bringt es auf den Punkt, Zitat:
“Ich bin gerade dabei, die Todesstrafe einzuführen, ich lasse täglich neue Gegner meiner Regierung verhaften, schränke die Presse ein”, flucht Erdoğan, während er gerade vor dem Spiegel sein Bärtchen stutzt. “Worauf zum Teufel warten die in Brüssel denn noch? Das müsste doch locker reichen, dass die Türkei hochkant rausfliegt!”
Ja, worauf zum Teufel? Nicht nur Erdogan ist ratlos, was er noch machen soll, damit die EU endlich die Beitrittsgespräche beendet. Auch ich bin ratlos, was ich noch zu dieser Farce schreiben soll…
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kaush
16. November 2016 @ 17:05
Ach so, man wollte die Türkei noch nie in der EU haben. Verstehe…
“Die Türkei wurde 1949 Mitglied des Europarates und bewarb sich 1959 um eine Mitgliedschaft in der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG). 1963 wurde zwischen der Türkei und der EWG ein Assoziierungsabkommen geschlossen, das sogenannte Ankara-Abkommen. Der Vertrag stellte der Türkei erstmals auch eine Mitgliedschaft in Aussicht…”
https://de.wikipedia.org/wiki/Beitrittsverhandlungen_der_T%C3%BCrkei_mit_der_Europ%C3%A4ischen_Union
Hat man dann die Türkei etwa über 50 Jahre an der Nase herumgeführt?
Könnte man aus türkischer Sicht nicht den Eindruck haben, dass die EU der Türkei auf der Nase herum getanzt ist?
Wenn man vor 10 Jahren der Türkei den Beitritt ermöglicht hätte, wäre da nicht der Einfluss der EU auf die Prozesse in der Türkei deutlich größer?
Warum hat man nicht ein so stark wirtschaftlich wachsendes Land und NATO-Mitglied in die EU geholt und macht stattdessen z.B. dem Armenhaus Ukraine jetzt Hoffnungen?
Ich finde da gibt es so einiges zu hinterfragen und vor allem gibt es nicht nur eine EU-Zentrierte Sicht auf die Dinge.
Erdogan hat den EU-Beitritt ganz offensichtlich at acta gelegt. Die EU sollte das auch tun, das Thema ist durch.
Merkel hat sich von dem entsprechenden Thiktank aufs falsche Pferd setzen lassen. So geht’s einem, wenn man das Denken anderen überlässt.
GS
16. November 2016 @ 22:47
@kaush
“Wenn man vor 10 Jahren der Türkei den Beitritt ermöglicht hätte, wäre da nicht der Einfluss der EU auf die Prozesse in der Türkei deutlich größer?”
Da wäre ich mir nicht so sicher. Stichworte Orban und Kaczysnki. Auch Länder wie Bulgarien und Rumänien kommen etwa im Bereich der Korruptionsbekämpfung überhaupt nicht voran. Jetzt, da alle diese Staaten aber bereits in der EU sind, gibt es im Prinzip keine Hebel mehr, überhaupt irgendetwas zu unternehmen.
Wenn die EU einen Hebel hat, irgendwo Veränderungen zu erreichen, dann in der Zeit vor der Mitgliedschaft. Voraussetzung dafür ist freilich, dass eine Mitgliedschaft in der EU überhaupt attraktiv ist. Daran muss man aktuell leider berechtigte Zweifel haben. Und mit der Türkei hat man es gründlich vermasselt. Ich bin da allerdings nicht böse, weil ich deren Mitgliedschaft in der EU noch nie als wünschenswert empfunden habe. Und mir scheint, dass in vielen Ländern große Vorbehalte bestehen, schon in der Zeit vor Erdowahn. Freilich muss man einräumen, dass das Beitrittsversprechen einfach leichtfertig gegeben wurde. Der Klassiker mal wieder: Die Eliten wollten was, können es aber im Prinzip nicht durchsetzen.
OXIgen
16. November 2016 @ 15:29
@kaush
Ich bin prinzipiell auch gegen Sanktionen, sprich gegen diese Art der modernen Kriegsführung, aber ich habe auch die double standards der EU/USA bis obenhin satt. Bei Russland und Syrien setzt man die Sanktionswaffe hemmunglos ein um einen regime change herbei zu führen, von Erdogan läßt man sich dagegen auf der Nase rumtanzen, weil Merkel sich so übel verkalkuliert hat.
Natürlich will man die Türkei nicht in der EU haben, wollte man noch nie. Es sind die USA, die darauf drängen, damit sich die Türkei nicht doch noch mit Russland verbünden kann, sondern vor die Brüsseler Karre gespannt und damit von Berlin und Washington gelenkt wird. Deshalb wird antichambriert, was das Zeug hält, deshalb muss unsere herzallerliebste Mutti immer wieder mal auf des Sultans güldenen Sesseln sitzen.
Die EU wird sich erst an dem Tag ehrlich machen, an dem sie eingesteht, dass sie selber fertig ist und schleunigst abgewickelt werden muss.
kana
16. November 2016 @ 13:34
Zunächst mal sollten die USA die Todesstrafe abschaffen, ihre diversen Guantanamos schliessen und ihre terroristische globale Agenda beenden. Bis dahin sollten sich die Europäer um ihre eigenen und nicht die Probleme / Befehle der USA Oligarchen kümmern. DANN kann man anfangen, von europäischen Werten zu sprechen die es zu verteidigen lohnt. Sind die Journalisten europäischen System-Presse wirklich so blind, naiv oder dumm, den Leuten so einen offensichtlichen Blödsinn und ihre andauernden Spaltereien abzukaufen? Die Menschen wollen keine New World Order! Die wollen in all ihrer Unterschiedlichkeit miteinander leben und sich austauschen und sich nicht ihre Werte von der Finanzelite zerstören lassen.
OXIgen
16. November 2016 @ 11:47
Ich kann diese Floskel oder dieses sinnentleerte Mantra von den “europäischen Werten” einfach nicht mehr hören! Es gibt sie einfach nicht mehr – falls es sie überhaupt je gegeben hat. Das europäische Sozialmodell ist völlig erodiert, gnadenlose Austerität zugunsten einer maßlos überfressenen Elite wird als Erfolgsmodell verkauft und die Meinungsfreiheit kuscht vor dem Mainstream.
Beschwört werden solche Sachen wie Gender Politik, Ökogesäusel oder die vielbeschworene Toleranz – denn das ist einfach, einlullend und kostet nichts. Das europäische “Wohlfühlmodell” für jene, die zwar kaum noch wissen wie sie trotz dreier Minijobs ihre Miete bezahlen sollen, dafür aber auf Facebook abends ihre Followers zählen und ihre virtuelle Freiheit ausleben dürfen, ist eine Farce.
Erst mal muss sich Europa erneuern und zu den zwar alten, aber echten sozialen Werten zurückkehren, bevor es diesen Begriff wieder und nicht mehr so inflationär gebrauchen kann. Alles andere ist einfach nur Geschwätz oder Beschwörungsformel für jene, die noch nicht wissen, wo der Hase im Pfeffer liegt und die nicht auf dumme Gedanken kommen sollen. Wie zum Beispiel die Idee, diese so gepriesenen Werte mal konkret einzufordern.
Der Türkei mit solchen Floskeln zu kommen, ist auch nicht hilfreich, denn der Sultan weiß selber, wie hohl diese sind. Dem kann man nur mit konsequenter Härte entgegen treten: Aussetzung der Beitrittsverhandlungen für die nächsten Jahre, Grenzen sichern und massive Wirtschaftssanktionen nicht nur androhen, sondern einführen. Geht bei Russland ja auch, so hirnrissig das in diesem Fall auch ist. Und dann kann man ja auch hoffen, dass sich die EU selber noch rechtzeitig auflöst, bevor der wieder vor der Tür steht und Eintritt zu seinen Bedingungen verlangt. Die Türkei muss ihren eigenen Weg gehen und ihre Zukunft selbst gestalten.
kaush
16. November 2016 @ 14:34
Was Du zu den s.g. europäischen Werten schreibst – volle Zustimmung.
Aber ich will keinen Krieg gegen irgendein anderes Land führen. Und Wirtschaftssanktionen ist Neusprech für Wirtschaftskrieg, oder Hunger-Blockade. Oder gehört das zu den europäischen Werten?
Die EU soll sich endlich ehrlich machen und sagen dass sie die Türkei nicht dabei haben will. Fertig.
Und sich nicht auf das Niveau von Erdogan begeben.
Peter Nemschak
16. November 2016 @ 09:36
Die wirtschaftlichen Werte sind das Fundament der europäischen Werte und dürfen nicht schlecht gemacht werden. Ein leerer Magen ist keine guter Ausgangspunkt für das Moralische. Die deutsche und europäische Außenpolitik sollten sich derzeit auf ihre zukünftige geopolitische Positionierung konzentrieren. Die verfügbaren Optionen sind voller Widersprüche, diplomatische Erfahrung und Geschicklichkeit gefragt aber rar. “Realpolitik” is back ! Talente wie seinerzeit die eines Genscher gibt es wenige. Diese wenigen – Frankreich könnte aus seinem Fundus an Erfahrung beisteuern – sollten ins Licht der Öffentlichkeit treten, wenn Steinmeier weg ist.
S.B.
16. November 2016 @ 09:26
Das unsinnige, krampfhafte Festhalten an den klar gescheiterten Beziehungen zur Türkei, ist vergleichbar mit dem krampfhaften Festhalten an EU und Euro, die ebenfalls komplett gescheitert sind. Die “Eliten” wissen offenbar nicht mehr, wie sie den Unfug, den sie angerichtet haben, wieder halbwegs in geordnete Bahnen lenken können, ohne dass der ganz Laden ad hoc zusammenbricht. Wobei ich davon ausgehe, dass ihnen der Zusammenbruch an sich und die Folgen für die von ihnen seit Jahrzehnten ver……ten Bürger vollkommen egal sind. Dummerweise wäre aber auch ihr äußerst privilegiertes Auskommen auf Kosten der Steuerzahler damit sogleich erledigt. Darum das krampfhafte Festhalten der “Eliten” am unerträglichen Missstand und der täglich sich scheinbar in Endlosschleife wiederholende, sinnfreie Wahnsinn. An was erinnert mich das gleich noch? Ach ja, an die unmittelbare Zeit vor 1989 in der DDR.