Vestager hat sich verrannt – Google rettet das EU-Budget

Die einen sehen sie als Watsche für US-Präsident Trump, die anderen als Beweis für die Tatkraft von EU-Kommissarin Vestager: Die Rekordstrafe gegen Google läßt keinen kalt. Dabei ist sie fachlich schwer zu begründen.

Der Streit kreist um die Frage, ob Google seine Marktmacht zulasten von Smartphone-Herstellern und Verbrauchern ausnutzt und über das mobile Betriebssystem Android die Konkurrenz ausschaltet.

Die Hersteller würden verpflichtet, neben Android auch den Google Play Store zu installieren, so Vestager. Außerdem werde der Wettbewerb durch Googles vorinstallierte Internet-Suche und den hauseigenen Chrome-Browser behindert.

Den Einwand, dass die Nutzer aus dem Play Store problemlos andere Apps installieren können – darunter auch bessere Suchmachinen und alternative Browser – ließ Vestager nicht gelten.

Nur ein Prozent der rund 450 Millionen Android-Nutzer in der EU hätten eine andere Such-App heruntergeladen, nur 10 Prozent einen neuen Browser. Zudem seien Hersteller wie Samsung vertraglich an Google gebunden.

„Die Entscheidung ignoriert, dass Android-Telefone mit iOS-Telefonen (auf Apples iPhones) konkurrieren“, konterte Google-CEO Sundar Pichai in einem Blogpost.

Dank Android könnten die Kunden heute zwischen mehr als 24.000 verschiedenen Smartphone-Modellen wählen. Zu den Herstellern zählten auch Firmen aus Deutschland, Frankreich und anderen EU-Ländern.

Ganz ähnlich sieht es die „NZZ“. Eine kürzlich veröffentlichte Studie habe gezeigt, dass Konsumenten im Internet mehrheitlich bei Amazon nach Produkten suchen und nicht mehr bei Google.

„Die Konkurrenz hat also die Möglichkeit, mit guten Leistungen zu überzeugen. Dazu braucht es nicht Milliardenbussen als Schützenhilfe der EU-Kommission.“

Mit anderen Worten: Vestager hat sich verrannt. Sie hat die technologische Entwicklung verschlafen und bestraft noch dazu den Falschen – denn das iPhone von Apple ist viel stärker abgeschottet als Android-Handys…

WATCHLIST:

  • Wird Erdogan Wort halten? Der nach dem Putschversuch vom Juli 2016 verhängte Ausnahmezustand in der Türkei soll heute  auslaufen. Ob er erneut um drei Monate – und damit zum achten Mal – verlängert wird, ist noch unklar. Sollte der Sultan das Sonderrecht aufheben, dürfte er bald wieder in Brüssel anklopfen und auf neue EU-Zugeständnisse drängen.
  • Wird Montenegro den 3. Weltkrieg auslösen? Das suggerierte US-Präsident Trump, als er auf das neue Nato-Mitglied angesprochen wurde. Nun macht man sich bei der Nato erneut Sorgen, dass Trump nicht zu den Bündnis-Verpflichtungen stehen könnte. Dabei lautet die eigentliche Frage: Wozu braucht die Nato ein winziges Land wie Montenegro?

WAS FEHLT:

  • Visafreiheit fürs Kosovo. Der Separatistenstaat, der gewaltsam von Serbien abgespalten wurde und bis heute nicht von allen EU-Ländern anerkannt wird, soll aber nicht mehr lange warten müssen. Kosovo habe alle Konditionen erfüllt, erklärte Innenkommissar Avramopoulos. Wir freuen uns schon auf den Besuch in Deutschland, denn da wollen sie alle hin…
  • Eine plausible Erklärung für die Rekordsumme, die Google als Strafe für Wettbewerbsverstöße bei Android zahlen soll. „Wir haben Richtlinien, die uns dabei helfen, die Strafe zu kalkulieren“, sagte EU-Kommisarin Vestager. „Und dann packen wir das in unsere Matrix, legen den Hebel um und – puff! – heraus kommt eine Zahl.“ Der „Soir“ aus Belgien hat eine andere Erklärung: Es gehe schlicht darum, die Löcher im EU-Budget zu stopfen, die u.a. vom Türkei-Deal gerissen wurden!