Ausbeutung Ost – Aufstand West
Bisher war die “soziale Säule” der EU nur ein vages Versprechen. Das soll sich nun ändern: Eine neue Behörde soll gegen die Ausbeutung von “entsendeten” Osteuropäern vorgehen. Vor allem in Deutschland gibt es Probleme.
Weniger Geld, kein Urlaub, keine Sozialabgaben: Für viele Arbeitnehmer aus Osteuropa ist das Alltag, wenn sie von dubiosen Leiharbeitsfirmen nach Westeuropa geschickt werden. Doch nun will die Europäische Union der Ausbeutung und dem Sozialbetrug einen Riegel vorschieben.
Am Mittwoch geht die neue Europäische Arbeitsbehörde (ELA) in Brüssel an den Start. Sie soll dem Missbrauch auf die Spuren kommen und helfen, die Rechte der entsendeten Arbeitnehmer durchzusetzen. Das wird nicht leicht, warnen die europäischen Gewerkschaften.
Die Arbeitnehmervertreter haben mehrere Fälle von Missbrauch dokumentiert. Die Beispiele, die uns vorliegen, werfen ein Schlaglicht auf die dunkle Seite der Arbeitnehmer-Freizügigkeit im Binnenmarkt – und lassen erahnen, wie viel Arbeit auf die neue EU-Behörde zukommt.
„In den letzten Jahren hat sich eine regelrechte Industrie entwickelt, die von der Ausbeutung von Arbeitern durch Entsendung und Scheinselbständigkeit profitiert“, klagt Werner Buelen von der Europäischen Bauindustriegewerkschaft EFBWW.
Die meisten dokumentierten Fälle spielen in Deutschland. So wurden zehn bulgarische Arbeitnehmer von Januar bis August 2019 zum Hausbau in das größte EU-Land entsendet. Seit Juni wurde ihnen jedoch kein Lohn mehr gezahlt. Nachdem sich die Gewerkschaften eingeschaltet hatten, bekamen sie 1350 Euro – statt der fehlenden 9766 Euro.
Die Gewerkschaften haben die neue EU-Behörde aufgefordert, in diesen und anderen Fällen Ermittlungen aufzunehmen. „Wir fordern, dass die EU gegen betrügerische Arbeitgeber durchgreift, die Profit aus Sozialdumping schlagen“, sagt Per Hilmersson, der für die Gewerkschaften im Management der neuen Behörde sitzt.
Den Ton dürften allerdings die EU-Staaten angeben, die gemeldete Missbräuche auch ahnden und abstellen müssen. Vor allem die Osteuropäer dürften sich mit der neuen EU-Behörde schwer tun. Sie fordern, dass Arbeitnehmer-Mobilität erleichtert wird – und nicht erschwert.
Mehr zum sozialen Europa hier
Watchlist
- Kommt der Durchbruch beim Brexit? Zuletzt standen die Zeichen bei den Verhandlern in Brüssel auf Annäherung. Es gebe “erste Anzeichen für Fortschritte”, sagte Irlands Regierungschef Varadkar. Doch ob es für ein Abkommen reicht, dürfte sich erst am Mittwochabend zeigen, wenn EU-Verhandlungsführer Barnier den Mitgliedstaaten berichtet. Erst dann wird auch die Marschlinie für den EU-Gipfel am Donnerstag ausgegeben…
- Wann startet die neue EU-Kommission? Nach dem Scheitern der französischen Kandidatin Goulard ist der 1. November kaum noch zu halten. Doch die künftige Kommissionschefin von der Leyen weigert sich, einen neuen Termin zu nennen. Sie ist abhängig von Frankreichs Staatschef Macron – und der wiederum fordert eine stabile Mehrheit im Europaparlament, bevor er einen neuen Namen nennt. Das kann noch dauern… Mehr hier
Was fehlt
- Der neue Aufstand in Katalonien. Anhänger der Unabhängigkeits-Bewegung blockierten am Dienstag mehrere Straßen und Zugverbindungen. Für den Abend waren Protestaktionen vor Büros der spanischen Zentralregierung in mehreren katalanischen Städten geplant. Auch der Flughafen Barcelona ist betroffen.
- Angeheizt werden die Proteste von der Repression der spanischen Zentralregierung in Madrid. Sie hat nun einen weiteren internationalen Haftbefehl gegen den früheren Separatisten-Führer und gewählten Europa-abgeordneten Puigdemont erlassen. Ihm wurde daraufhin der Zugang zum Parlament in Brüssel verwehrt.
- Die EU folgt also den Befehlen aus Spanien – und tut gleichzeitig so, als gehe sie der Konflikt nicht an. Das das Recht für einen politischen Konflikt instrumentalisiert wird, ist in Brüssel kein Thema. Auch die meisten Medien schweigen. Eine rühmliche Ausnahme ist mal wieder Libération, siehe z.B. hier. Auch wir haben berichtet...
Charly
17. Oktober 2019 @ 19:03
Ja wir leben im Raubtier-Kapitalismus, kürzlich von Eurostat, dem statistischen Amt der EU, veröffentlichten Zahlen zeigen, dass 109 Millionen Menschen in der Staatengemeinschaft an der Armutsgrenze leben, das sind 22 Prozent der gesamten EU-Bevölkerung.
Kleopatra
16. Oktober 2019 @ 08:22
Soviel ich weiß, hat das Parlament sich von vornherein geweigert, Puigdemont als Abgeordneten anzuerkennen, weil er die formalen Voraussetzungen der spanischen Wahlordnung nicht erfüllt (zu denen gehört, in Spanien einen Eid auf die spanische Verfassung abzulegen). Was ich daran absurd finde, ist dass zumindest nach einigen Auffassungen die MdEP Vertreter der EU-Bürger sind und nicht der Einzelnationen und deshalb die Forderung, sie sollten gegenüber der Verfassung eines Einzelstaates loyal sein, fragwürdig ist. (Ein in Spanien gewählter Abgeordneter muss nicht spanischer Bürger sein und seine Wähler müssen das genausowenig sein). Wo ist der Zusammenhang mit dem neuen Haftbefehl? Der neue Haftbefehl ist etwas dreist. Die versuchen es offenbar immer wieder.
Nachdem einige Abgeordnetensitze aus diesem Grund faktisch unbesetzt sind, fragt sich übrigens, wie man mit sehr knappen Ergebnissen umgeht.
ebo
16. Oktober 2019 @ 08:49
Der Fall Puigdemont zeigt wieder einmal, wie absurd das Wahlrecht der EU ist – ein Flickenteppich aus nationalen Gesetzen. Zudem zeigt es “double standards” im Umgang mit dem Rechtsstaat. Die EU will ein Land wie Albanien ohne funktionierendes Rechtssystem aufnehmen, und sie schweigt zu einer politischen Justiz in Spanien. Bin gespannt, was passiert, wenn wir in Barcelona Verhältnisse kriegen wie in Hongkong. Der neue EU-Außenvertreter Borrell, ein Hardliner, könnte dann in Erklärungsnot kommen…