Die Sorgen der Anderen
Flüchtlinge, Flüchtlinge, Flüchtlinge! In Berlin scheint es kein anderes Thema mehr zu geben. Ganz anders in Paris: Dort diskutiert man über Krieg, Terror und den Verlust der Souveränität im deutschen EUropa.
Wer dieser Tage nach Paris reist, glaubt sich in einer anderen Welt: Schwer bewaffnete Gendarmen bewachen alle öffentlichen Gebäude und jüdischen Einrichtungen – die Folgen des Attentats auf Charlie Hebdo.
Während Polizei und Militär in Deutschland im “humanitären Friedenseinsatz” für die Flüchtlinge sind, wähnt sich Frankreich weiter im “Krieg gegen den Terror.” Die Flüchtlinge spielen nur eine Nebenrolle.
Diesen Eindruck bestätigt ein Blick in die Zeitungen: “Libération” fordert einen “Plan B” für Syrien, um den Vormarsch des IS zu stoppen und Assad zu stürzen. “Wir müssen schnell handeln”, warnt der Leitartikel.
Machtverlust im deutschen EUropa
Kurz darauf “Le Monde”, ein großes Interview mit Verteidigungsminister Le Drian: Wieder geht es um Syrien, um Frankreichs “Recht auf Selbstverteidigung”, aber auch um den Ausnahmezustand im eigenen Land.
Neben Terror und Krieg gibt es eigentlich nur noch ein großes Thema: Frankreichs Machtverlust im deutschen EUropa und den scheinbar unaufhaltsamen Aufstieg des rechtsextremen Front National.
Denn die Frontisten um M. Le Pen beuten jede Niederlage von Präsident Hollande in Brüssel und Berlin gnadenlos aus. Selbst noch sein Einlenken bei der geplanten Flüchtlingsquote wird ihm als Schwäche ausgelegt.
Hofiert die Linke jetzt Le Pen?
Und sogar auf der Linken hat eine Debatte über den Verlust der Souveränität und das ungeliebte Euro-Regime begonnen. Linke Intellektuelle wie M. Onfray scheinen dabei neuerdings sogar Le Pen zu hofieren.
Klingt alles ziemlich abgedreht, wie aus einer anderen Welt? Stimmt. Doch Paris ist nicht allein. Auch Athen, Rom, Warschau oder London haben ganz andere Sorgen als das hochmoralische Berlin.
Deutschland muss aufpassen, sich mit seiner Fixierung auf die Flüchtlinge nicht zu isolieren – und andere Probleme nicht zu vergessen. Krieg und Terror sind nicht weit weg, die Eurokrise auch nicht…
Justinia
22. September 2015 @ 21:46
Auszug aus der staatsrechtlichen Analyse “Merkels Einwanderungspolitik ist verfassungswidrig” von Prof. Dr. Karl Albrecht Schachtschneider:
„’Da nach der derzeit geltenden Rechtslage (Art. 16 a Abs. 2 Satz 1 GG und Anlage I zu § 26a AsylVfG) alle an die Bundesrepublik Deutschland angrenzenden Staaten sichere Drittstaaten sind, ist ein auf dem Landweg in die Bundesrepublik Deutschland einreisender Ausländer von der Berufung auf Art. 16 a Abs. 1 GG ausgeschlossen, auch wenn sein Reiseweg nicht im einzelnen bekannt ist’.
Die Einreise aus allen Nachbarstaaten ist somit durchgehend illegal und wird nicht durch ein Asylbegehren gerechtfertigt. Sie ist zudem strafbar. Sie geschieht dennoch massenhaft und wird geradezu gefördert.”
Daraus ergibt sich Folgendes:
Da die Bundesregierung mit ihrer grundgesetz- und EU-Rechts-widrigen Politik schon seit längerer Zeit unbeirrt und fortgesetzt gegen die Interessen des Souveräns der Bundesrepublik Deutschland, die Gesamtheit der Bürger dieses Landes – das deutsche Volk-, handelt und mit ihrer Politik nicht nur die innere Sicherheit gefährdet, sondern die Staatsbürger der Bundesrepublik ohne Not in finanzieller, sozialer und bürgerrechtlicher Hinsicht schädigt, ist wohl – insbesondere vor dem Hintergrund, dass die Bundesregierung nicht die geringsten Ansätze zeigt, sich eine Zustimmung des Souveräns für die massenhafte Duldung bzw. Legalisierung von illegalen Grenzverletzungen erteilen zu lassen und sogar andere souveräne EU-Staaten ebenfalls in die Rechtsbeugung drängen möchte – der Fall eingetreten, für den das Widerstandsrecht des Grundgesetzes (Artikel 20, Absatz 4) formuliert wurde:
„Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.“
Das heißt, dass wir Bürger vor dem Hintergrund der fortgesetzten Beschädigung unseres Rechtsstaats durch die Bundesregierung zum Widerstand gegen die Mitglieder der Bundesregierung verpflichtet sind, da die üblichen Wege zur Wiederherstellung des Rechtsstaates (Misstrauensvotum nicht möglich wegen Großer Koalition sowie Unterstützung des Regierungskurses durch die entscheidenden anderen Oppositionsparteien; Anklage der Regierungsmitglieder wegen ihrer Immunität nicht möglich; Volksentscheid auf Bundesebene nicht möglich) versperrt sind.
Wie könnte der im Artikel 20 beschriebene Widerstand aussehen?
GS
21. September 2015 @ 17:33
Interessant ist nach wie vor die Stabilität bei den Wahlumfragen in Deutschland. Es tut sich bisher genau nichts. Union 40 %, SPD knapp 25 %, usw. Ich habe den Eindruck, dass durchaus eine gewisse Unzufriedenheit und Skepsis in der deutschen Bevölkerung mit dem Kurs vorhanden ist, aber es schlägt sich nicht wieder. In den Medien wurde bisher auch sehr geschickt.
Anders sieht es bereits in Österreich aus, das ja im wesentlichen im deutschen Fahrwasser fährt. In den Wahlumfragen führt die FPÖ aktuell mit weitem Abstand und scheint mit jeder weiteren Woche zuzulegen. Selbst in schwarzen und roten Hochburgen wie Oberösterreich und Wien, in denen in den nächsten Wochen gewählt wird, wackeln die Seriensieger. Auf Bundesebene würde die “große” Koalition keine Mehrheit mehr zustande bekommen. Die SPÖ unterbietet mittlerweile sogar die SPD!
In vielen anderen Ländern stehen die Kräfte der Mitte immer stärker unter Druck. Frankreich ist ja nun auch das beste Beispiel dafür. Nur Deutschland schwebt in der eigenen Seifenblase. Und weil das so ist, schwindet auch das gegenseitige Verständnis für die politische Dynamik in den verschiedenen Ländern.
Peter Nemschak
21. September 2015 @ 21:44
Sie haben absolut recht. Die schwache Politik der österreichischen großen Koalition ist mit der von Deutschland nicht zu vergleichen. Traditionell sozialistische Wähler sind zum Rechtspopulismus übergelaufen, ein Phänomen, mit dem Österreich nicht alleine dasteht. In Frankreich scheint sich ähnliches abzuspielen.
Peter Nemschak
21. September 2015 @ 14:00
@ebo Hätten sich die anderen mit einer besseren Flüchtlingspolitik vorgedrängt, hätten sie jetzt weniger zu kritisieren. Wer initiativ ist und sich als Erster bewegt, muss immer mit Kritik von den Zuschauern rechnen, die es immer besser wissen und vor allem im nachhinein gewusst haben wollen. Wer sich über deutsche Hegemonie beklagt, hätte ihr schon längst etwas entgegensetzen können.
ebo
21. September 2015 @ 14:37
Italien und Griechenland fordern seit Jahren eine andere Flüchtlingspolitik, Frankreich legte vor zwei Jahren eigene Vorschläge vor. Berlin und wien haben immer nein gesagt – bis es sie selbst traf. Können Sie alles in diesem Blog nachlesen…
Peter Nemschak
21. September 2015 @ 16:47
Haben sie ihre eigenen Vorschläge wenigstens national umgesetzt? Österreich hat, um dies klarzustellen, keine eigene Flüchtlingspolitik. Der jüngste Vorschlag mit “Asyl auf Zeit” diente hauptsächlich dazu, etwas Wind dem Rechtspopulismus aus den Segeln zu nehmen. Im Zuge der massiven Zu- bzw. Durchwanderung hat Österreich lediglich deutsche Schritte nachvollzogen. Ganz Europa hat sich vor diesem Thema gedrückt bis es nunmehr akut geworden ist. Da ein Großteil der syrischen Flüchtlinge gut ausgebildete Menschen sind, könnte Deutschland und alle jene, die bei einer Quotenverteilung mitmachen, von der jüngsten Flüchtlingswelle durchaus allen Unkenrufen von rechts zum Trotz profitieren
winston
21. September 2015 @ 12:54
Für mich ist Merkel Psychisch stark angeschlagen. Sie hat die Lage (Eurokrise und Flüchtlingskrise) nicht mehr unter Kontrolle. Das Management der Eurokrise war und ist weiterhin ein totales Desaster auf ganzer Linie.
Bei der Flüchtlingskrise wirkt sie völlig Wirr und abwesend. Schon bei der jüngsten Griechenlandkrise war sie völlig abwesend. Glaube sie ist stark überfordert und ausgelaugt.
Aber auch EU Kommission und Parlament und sämtliche Nationalparlamente geben ein völlig Wirres und konfuses Bild ab.
Fazit:
EU und vor allem die EZ funktionieren nicht und sollten aufgelöst werden. Die verantwortlichen werden das niemals zugeben und Europa ins totale Chaos stürzen.
ebo
21. September 2015 @ 13:06
@winston Verwirrt? Nein, alle Akteure verfolgen ihre eigenen nationalen oder institutionellen Interessen. Deutschland möchte sich jetzt auch noch zum Moralapostel aufschwingen, Juncker will Macht über die Asylpolitik, mit eigener Quote etc.
Freiberufler
21. September 2015 @ 10:49
Das Potemkinische Europa-Dorf fällt zusammen.
Peter Nemschak
21. September 2015 @ 09:14
Statt Nabelschau aus bequemer Distanz zu betreiben – E.Todd ist ein herausragendes Beispiel für einen frustrierten französischen Linksintellektuellen – und die arroganten Beleidigten angesichts eigenen Unvermögens (Reformstau!) zu spielen, sollten die Franzosen und andere lieber mit anpacken, wenn es darum geht, die finanziellen Mittel für die Flüchtlingslager im Nahen Osten aufzustocken oder sich in die Diskussion einzubringen, um den Kampf gegen den IS zu optimieren – mit oder ohne Assad. Durch Wegschauen wird sich die Situation vor Ort nicht bessern. Sollte der Krieg ernsthaft geführt werden, wird auch Europa sich mit Bodentruppen beteiligen müssen. Durch palavern allein wird sich die Situation nicht zum Besseren wenden.
ebo
21. September 2015 @ 09:20
Frankreich beschäftigt sich schon etwas länger mit Nahost und Nordafrika als Österreich. Sarkozy wollte die Mittelmeerunion, Hollande wollte Italien helfen – vor Jahren. Wer Nein sagt, wissen Sie so gut wie ich. Jetzt geht es darum, den Krieg in Syrien zu beenden und den IS zu besiegen. Was sagen Merkel und Faymann dazu? Eben…
Peter Nemschak
21. September 2015 @ 12:22
Eine Mittelmeerunion wäre gut für das Ego von Sarkozy aber nicht für Europa geworden. Zu unterschiedlich von Europa sind die kulturellen und sozialen Bedingungen in diesen Ländern. Allein das Beispiel Ost- und Südosteuropa zeigt, wie schwierig es ist, einen gemeinsamen Nenner zu finden. An der Stelle sei daran erinnert, wie begeistert manche französische Intellektuelle den Luftkrieg Frankreichs zum Sturz Gaddafis unterstützt haben. Auf die intellektuellen Ratgeber ist jedenfalls kein Verlass. Merkel und Faymann wissen um ihre begrenzten politischen und militärischen Möglichkeiten als Einzelstaaten, die EU als gesamteuropäische Institution ist planlos. Russland und die USA werden in Syrien den weiteren Gang der Ereignisse bestimmen, England und Frankreich am Rande mittun. Selbst die Großen tun sich mit dem Bodentruppeneinsatz schwer, weil sowohl in Russland wie in den USA das Thema Bodentruppen aus historischer Erfahrung höchst unpopulär ist. Ich rechne damit, dass die Frage Assad oder nicht auf die lange Bank geschoben wird und es letztlich zu einem gemeinsamen Vorgehen von Russland und den USA unter dem Banner der UNO kommen wird. Lokale Hegemonialmächte wie die Türkei, der Iran und Saudiarabien werden von den Großen im Schlepptau mitgenommen werden müssen. All das wird noch einige Zeit dauern. Die jetzigen Flüchtlingsbewegungen mögen groß erscheinen, sind es aber im Vergleich der Migrationsbewegungen der letzten 25 Jahre nicht. Flüchtlings- und Migrationspolitik voneinander zu trennen wäre geboten, für erstere einheitliche Standards in Europa einzuführen. Hinsichtlich Migration waren, so eine Studie, die anglosächsischen Länder USA, Kanada und Australien jedenfalls selektiver als Europa. Schön langsam nimmt auch die Quotenregelung zur Aufteilung der Flüchtlinge Gestalt an. In der EU geht alles halt ein wenig langsam voran, aber es geht.
ebo
21. September 2015 @ 12:52
Mir scheint, Sie sind der einzige, der alles gut und richtig findet. Wann waren Sie zum letzten Mal in Paris – oder in Rom oder Warschau? Die deutsche oder dt-österr. Flüchtlingspolitik überzeugt niemanden in der EU, im Gegenteil, sie schafft täglich neue Probleme.
Andreas
21. September 2015 @ 08:36
Selbstgewählte intellektuelle Isolation oder einfach nur das Treiben von Dummköpfen (siehe dazu Taleb und seinen Fat Tony, das Gegenteil eines Dummkopfes). Solange Dummköpfe Mehrheiten bekommen, werden sich Menschen “aus dem Nichts” in Truthähne verwandeln sehen… Und ich nehme hier mal eine nationale Perspektive ein, meine also explizit die dt. Truthähne…, deren “Sicherheit” darin besteht, Insasse eines Komfortgefängnis zu sein…
jörg
20. September 2015 @ 19:07
marginal revolution brachte zur innerfranzösischen Verfassung und zum französchen war on terror einen interessanten Hinweis auf Emmanuel Todds Buch ‘Who is Charlie’.
http://marginalrevolution.com/marginalrevolution/2015/09/who-is-charlie-by-emmanuel-todd.html?utm_source=feedburner&utm_medium=feed&utm_campaign=Feed%3A+marginalrevolution%2Ffeed+%28Marginal+Revolution%29
Auch eine Debatte, die in Deutschland völlig untergeht.