Arbeitslose: Was Junckers Rückzieher bedeutet
Kommissionschef Juncker ist mal wieder ins Fettnäpfchen getreten. In einem Interview sprach er sich vage für eine europäische Arbeitslosenversicherung aus – musste kurz danach jedoch zurückrudern. Wurde er aus Berlin zurückgepfiffen?
Dies legt der Verlauf des PR-Debakels nahe. Erst bringt die “Welt am Sonntag” vorab einige Zitate Junckers, dann greifen die Agenturen das Thema auf. So weit, so normal. Doch dann kommt eine eilige “Klarstellung” aus der Kommission:
Die Europäische Kommission nimmt zu Medienberichten Stellung, laut denen Präsident Jean-Claude Juncker eine europäische Arbeitslosenversicherung “wolle” oder “fordere”. Diese verkürzte Darstellung verzerrt den Wortlaut des Interviews von Präsident Juncker mit der “Welt am Sonntag”. Tatsächlich handelt es sich nicht um eine Forderung nach einem neuen Kriseninstrument. Die Juncker-Kommission hat bereits mit ihrem Entwurf für die mittelfristige Finanzplanung nach 2020 einen Mechanismus für die Abfederung von asymmetrischen, externen Schocks vorgeschlagen, der auch Rückversicherungen für nationale Arbeitslosenversicherungen beinhalten kann.
Man darf also nicht sagen, dass Juncker eine Arbeitslosenversicherung “wolle” oder “fordere”. Er will nur etwas wollen, was er schon vorgeschlagen hat, was aber noch existiert, weil es erst “nach 2020” kommt – vielleicht!
Und wer kann die Realisierung verhindern? Kanzlerin Merkel! Sie tut dies sogar bereits in Berlin. Dort hindert sie ihren Finanzminister Scholz, eine “Rückversicherung für nationale Arbeitslosenversicherungen” vorzubereiten!
Scholz hat zwar einen Plan ausarbeiten lassen, der keine direkten Finanztransfers an andere EU-Länder vorsieht, also mit dem deutschen Dogma vereinbar wäre. Doch Merkel hat verhindert, dass er zum Regierungsprogramm wurde.
Ob die Kanzlerin nun auch Juncker zurückgepfiffen hat, ist schwer nachzuweisen. Die hastige “Klarstellung” lässt es jedoch vermuten. Wenn andere EU-Chefs hüsteln, gibt es nie eine Klarstellung aus Brüssel 🙂
So oder so ist der Rückzieher lehrreich. Er zeigt, wie sehr Juncker politisch geschwächt ist, und wie wenig von seinen sozialpolitischen Versprechen zu halten ist. Seine “soziale Säule” steht nur auf dem Papier!
Der Vorfall zeigt aber auch, wie schwach die SPD und ihr Finanzminister ist. Scholz schweigt – dabei wäre Junckers Panne eine Steilvorlage, in den Europa-Wahlkampf einzusteigen und die Schwarzen vorzuführen…
Last not least lehrt uns die Affäre, dass sich am “System Juncker” seit der Selmayr-Affäre nichts geändert hat: Es stützt sich immer noch auf Merkel und das “deutsche Europa”, sogar seine Interviews gibt er ständig in Berlin…
Siehe auch “Was wir über das System Juncker gelernt haben”
Oudejans
7. Januar 2019 @ 16:23
>>“So oder so ist der Rückzieher lehrreich. Er zeigt, wie sehr Juncker politisch geschwächt ist, und wie wenig von seinen sozialpolitischen Versprechen zu halten ist.“
Die Frage ist, wieso sich Juncker wenige Monate vor seinem Ausscheiden noch um Machtstützen sorgen soll. Seine Krücke Merkel knickt ihrerseits bald.
Baer
7. Januar 2019 @ 10:00
Merkel wird ihren Metaplan,Deutschland dem Erdboden gleichzumachen ,doch hoffentlich noch zu Ende bringen bevor sie endgültig abtritt.
Aber wohin will sie mit diesem Erbe gehen ,um vor dem Mob geschützt zu werden?
ebo
7. Januar 2019 @ 10:34
Was für ein Unsinn! Merkel hat doch ein Veto eingelegt! Sie hindert Scholz und Juncker daran, das soziale Europa voranzubringen.
Peter Nemschak
7. Januar 2019 @ 23:34
Wenn es um das Soziale geht, ist der Nationalstaat einer supranationalen Struktur bei weitem überlegen. Nationalismus ist eine gemeinschaftsbildende Kraft, stärker als der von den Linken imaginierte Universalismus und sollte daher nicht in Grund und Boden verdammt werden. Das Stammesdenken ist typisch für menschliche Gesellschaften. Nationalismus schlägt Liberalismus, wenn es eng wird. Es scheint, als würden die Linken an den Bedürfnissen der Menschen vorbeiproduzieren.
Baer
7. Januar 2019 @ 09:36
Vielleicht kann man mir mal erklären was eine gemeinsame Arbeitslosenversicherung verbessern oder verändern sollte?
Wer zahlt sie an wen ,und wer bemüht sich um Mitarbeiter ,wenn die Arbeitslosenversicherung sowieso extern bezahlt wird?
Die Einführung einer jeweils landeseigenen ALV wäre effiuienter und unbürkratischer.
Aber wer will das schon.
Eine weltweite Arbeitslosenversicherung wäre natürlich noch effizienter,die kommt dann halt etwas später,wenn man sich an die EU ALV gewöhnt hat.(Verschwörungstheorie)
ebo
7. Januar 2019 @ 09:55
Es geht um eine RÜCKversicherung, also um eine Versicherung der Versicherungen. Sie soll sicherstellen, dass die nationalen Systeme im Fall einer Krise nicht kollabieren und so Schocks abmildern. Finanziert würde sie durch eine Umlage, also nicht durch Transfers von Land A nach B. Eine solche Umlage hätte sich auch für Deutschland gerechnet, wenn es sie 2008 schon gegeben hätte, sagen Experten. Wenn man das Ganze natürlich auf die Zeit nach 2020 verschiebt und im EU-Budget vergräbt, wie es Juncker nun propagiert, wird es nicht mehr viel bringen. So geht es derzeit allen EU-Reformen: sie werden von Merkel erst kleingeredet, dann auf die lange Bank geschoben, und irgendwann sind sie “von selbst erledigt”…
Peter Nemschak
7. Januar 2019 @ 18:12
Wer hätte die Umlage zu bezahlen gehabt?
ebo
7. Januar 2019 @ 19:32
Alle, wie bei jeder Rückversicherung. Die Vorteile hätten auch alle, da es nicht mehr zu so einem großen Nachfrage – Ausfall kommt, wenn ein Land in die Krise rutscht.
Kleopatra
7. Januar 2019 @ 08:18
Sicher könnte die SPD mit der Forderung nach einer europäischen Arbeitslosenversicherung und nach direkten Finanztransfers zwischen den EU-Mitgliedstaaten den Wahlkampf für die Europawahlen bestreiten. Sie macht sich wohl nur keine Illusionen darüber, wie populär diese Forderung bei ihrer Stammklientel ist. Schon in Deutschland kann man den Länderfinanzausgleich für Gehässigkeiten im Wahlkampf nutzen, bei Europawahlen wäre das noch schlimmer. Man kann der SPD vieles vorwerfen, aber dass sie nicht Selbstmord begehen will, doch whl eher nicht.
ebo
7. Januar 2019 @ 09:07
Wie gesagt, es geht NICHT um direkte Finanztransfers. Es geht darum, ein System zu etablieren, wie es in Deutschland während der Finanzkrise existierte: Die Arbeitslosenkassen finanzieren Kurzarbeit, um Massenentlassungen zu verhindern. Dafür werden gemeinsam Rücklagen gebildet – es geht um eine Rückversicherung wie beim Auto. Natürlich wäre das ALLEIN kein Wahlkampfknüller. Doch das tumbe Nein von Merkel und den ängstlichen Rückzieher von Juncker könnten die Genossen schon nutzen, um Wahlkampf gegen das EUropa der Besitzstandswahrer zu machen!
Peter Nemschak
7. Januar 2019 @ 09:54
Auch wenn es nicht um direkte Finanztransfers geht, wie würden die risikoadequaten Prämien aussehen? Hochrisikoländer müssten mehr als andere einzahlen. Wie wird das Risiko gemessen? Wer gewinnt, wer verliert, ist letztlich stets die Frage, wenn es ums Geld geht. Gibt es Alternativen zu der geplanten europäischen Arbeitslosenversicherung? Sollte ein Land in finanzielle Schwierigkeiten geraten und Hilfskredite benötigen, könnten die Gläubiger in Zukunft darauf verzichten, dass das betroffene Land Einschnitte beim Arbeitslosengeld machen muss, um die Kreditbedingungen zu erfüllen und alternativ Einschnitte beim Militäretat oder anderen Budgetposten verlangen. Jedenfalls, auch wenn es keine direkten transnationalen Transfers bei diesem Projekt gibt, riecht das Projekt nach Umverteilung und müsste in seinen finanziellen Auswirkungen transparent gemacht werden. Die Zurückhaltung Deutschlands ist verständlich. Feuer und Flamme für sozialpolitische Initiativen sind immer jene, die mehr daraus zu erwarten als einzuzahlen haben.
MisterEde
7. Januar 2019 @ 08:12
Es muss doch zunächst darum gehen, die aktuell vorhandene Ungleichgewichte abzubauen – durch Investitionen in Infrastruktur und Bildung, durch Arbeitsmarktprogramme, durch Forschungs- und Entwicklungsförderung. Da hilft eine Arbeitslosenrückversicherung überhaupt nichts! Das wäre reine Symbolpolitik – sicher gut gemeint, aber ökonomisch zurzeit halt Mumpitz. Es ist daher gut, dass Politiker*innen das inzwischen erkennen und anderen Maßnahmen den Vorzug geben, z.B. dem Eurozonen-Budget.