Wird die Europawahl zur Farce?
Bisher ist noch keine Entscheidung gefallen. Dennoch verdichten sich die Anzeichen, dass der Brexit verschoben werden soll – bis Juni oder sogar bis Jahresende. Damit würde der EU-Austritt nach der Europawahl erfolgen – was bisher als undenkbar galt. Wird die Wahl zur Farce?
Für eine Verschiebung spricht nicht nur eine Interview von EU-Verhandlungsführer Barnier, der erstmals Bedingungen für einen Aufschub genannt hat – vor allem müsse es eine “stabile Mehrheit” in London geben, sagte er.
Dafür spricht auch, dass sich die britische Premierministerin May öffentlich gegen eine Verschiebung ausgesprochen hat. So etwas macht man nur, wenn man dafür einen triftigen Grund hat!
Für ein “Nachspiel” beim Brexit hat sich bereits Frankreichs Präsident Macron ausgesprochen. Die Briten könnten “sich etwas mehr Zeit nehmen” und “vielleicht die Europawahl überbrücken”, sagte er laut “Le Monde”.
In Brüssel wird sogar schon überprüft, ob eine Verschiebung des Austritts Großbritanniens auf die Zeit nach der Europawahl (Ende Mai) rechtlich möglich wäre. Dabei stellen sich drei Probleme:
- Müssten die Briten dann im Mai neue Europaabgeordnete wählen? Bisher sollte genau das ausgeschlossen werden!
- Wenn nein, könnte das Europaparlament die freiwerdenden Sitze auf andere verteilen (wie bereits beschlossen)?
- Was passiert, wenn die Briten am Ende doch in der EU bleiben? Wird die Europawahl 2019 dann ungültig?
Aber es stellt sich noch eine ganz andere, politische Frage: Welchen Wert haben die Wahlen zum europäischen Parlament eigentlich noch, wenn die Wähler nicht wissen, ob der Brexit kommt und wie die EU damit umgeht?
Anders ausgedrückt: Was soll das Ganze, wenn man nicht einmal weiß, wie die Union aussieht, für die man Abgeordnete wählt? Und wozu ist ein Europaparlament gut, das keinen Einfluss auf den Gang der Dinge hat?
Bisher haben die EU-Abgeordneten noch nicht einmal den aktuellen Brexit-Deal ratifiziert…
WATCHLIST:
- Das griechische Parlament stimmt Donnerstagabend über die Umbenennung von Mazedonien in Nord-Mazedonien ab. Die EU und die Nato hoffen, dass alles gut geht – damit das Land endlich der “westlichen Gemeinschaft” beitreten kann. Doch es könnte auch schiefgehen. Dann hätte der Balkan eine neue Krise – und Griechenlands Premier Tsipras könnte stürzen. Folgt man dpa, das sich auf “zahlreiche Beobachter” beruft, wird aber alles gut gehen. Das hat man beim Brexit auch gesagt…
WAS FEHLT:
- Die Merkel-Rede in Davos. Sie sei sehr kämpferisch gewesen, lobt SPON. Tatsächlich hat die Kanzlerin (wieder einmal) die multilaterale Weltordnung verteidigt und US-Präsident Trump kaum verhüllt angegriffen. Allerdings ist Merkels Warnung vor “nationalen Alleingängen” nicht sehr glaubwürdig. Ich sage nur: deutscher Atomausstieg, deutsches Diktat in Griechenland, Merkels Flüchtlingspolitik, der Türkei-Deal – und zuletzt sogar der Ausstieg aus der EU-Mission Sophia!
Kleopatra
25. Januar 2019 @ 13:16
Mir ist keine Bestimmung bekannt, die eine Verlängerung der Austrittsverhandlungen nach Artikel 50 über eine Europawahl hinweg ausschließt. Und da die EU-Mitgliedschaft von Großbritannien erst mit dem Austritt enden wrde, müsste natürlich in GB eine ganz normale Europawahl durchgeführt werden. Wo soll da ein Problem liegen? Und warum soll es für die Wähler anderswo problematisch sein, sich zu entscheiden, wenn sie nicht wissen, ob GB austritt? Niemand kann zu Beginn einer fünfjährigen Wahlperiode wissen, was innerhalb derselben passieren wird. Und für alle diejenigen, die in erster Linie ihren heimischen Politikern Denkzettel verpassen wollen, ist die gesamte EU-Politik eh egal.
Die Verlängerung der Austrittsfrist setzt die Zustimmung aller übrigen EU-Mitgliedstaaten voraus. Da aber die Mitgliedstaaten die “souveränen Herren der Verträge” sind, wie es so schön heißt, könnten sie – wenn sie sich einig sein sollten, was aber, s.o. ohnehin vorausgesetzt werden muss – auch mit einem Federstrich das Europäische Parlament abschaffen oder die Wahl um zwei Jahre verschieben oder noch ganz andere Dinge tun.
ebo
25. Januar 2019 @ 13:57
Sie glauben doch nicht im Ernst, dass die Briten noch einmal EU-Abgeordnete wählen, bevor sie die EU verlassen? Wem wäre das denn noch zu vermitteln? Wenn sie aber keine wählen, und dann doch in der EU bleiben, gibt es ein riesiges Problem.
Kleopatra
25. Januar 2019 @ 14:08
Wenn GB erst deutlich nach dem Wahltermin austritt, ist es verpflichtet, Wahlen zum EP durchzuführen. Daran ist nichts zu ändern. Übrigens haben sie bekanntlich bis kurz vor knapp das Recht, ihre Austrittserklärung zurückzuziehen.
Was ich glaube, hat auf das Europarecht keinen Einfluss. Ich halte allerdings eher einen ungeplanten Austritt durch Zeitablauf am 29. März für wahrscheinlich. Die Stimmung auf beiden Seiten ist unangenehm aufgeheizt.
Peter Nemschak
24. Januar 2019 @ 10:13
Die Europawahl darf kein Hindernis für die Verschiebung des BREXIT sein. Wäre das Referendum bezüglich BREXIT ein paar Monate später erfolgt, würde für die Europawahl dasselbe Problem bestehen. Nachdem die Mitgliedsländer nach wie vor die Kontrolle über den überwiegenden Teil der Staatseinnahmen und -ausgaben haben und auch in Zukunft behalten wollen, welche für die wirtschaftspolitische Steuerung notwendig sind, darf man, wie Ehm ausführt, den Einfluss des Europaparlaments nicht überschätzen. Allerdings reflektiert dieses einen politischen Stimmungsmix, dem sich die Mitgliedsstaaten nicht gänzlich entziehen können. Selbst wenn die politischen Ränder an Gewicht gewinnen sollten – vielleicht kommen die Gelbwesten dazu – wird das Europaparlament auf Grund des Interessensmix der von den Mitgliedstaaten aufgestellten Abgeordneten zu einer Status Quo-Politik neigen. Revolutionen sind von dort nicht zu erwarten.
ebo
24. Januar 2019 @ 10:36
Nicht das Referendum ist für das Brexit-Datum entscheidend, sondern die Austritts-Erklärung nach Artikel 50. Danach läuft die Zwei-Jahres-Frist, die am 29.3.2019 endet. May hätte mit ihrer Artikel-50-Erklärung lieber länger warten sollen, denn sie war offenbar nicht gut vorbereitet.
Peter Nemschak
24. Januar 2019 @ 14:39
Warum hätte May die Zweijahresfrist mit Blick auf die Europawahlen festlegen sollen? Derzeit scheint mehr Supranationalität angesichts nationalistischer Tendenzen Wunschdenken zu sein. An diesem Mangel wird die EU nicht zerbrechen.
ebo
24. Januar 2019 @ 14:58
Wer hat das behauptet? May macht ihr Ding, leider spricht sie fast nur noch für sich. Sie ist ein Premier ohne Abgeordnete und ohne Volk. Immerhin kommt nun mal was Vernünftiges von Kanzlerin Kurz: Er hat sich gegen eine Verlängerung bis nach der Europawahl ausgesprochen. Da stimme ich ihm ausdrücklich zu!
Rudi Ehm
24. Januar 2019 @ 11:58
Also ehrlich! Wenn das für Sie schon Demokratie ist, dass ein Herr Juncker seine Meinung wechselt.
ebo
24. Januar 2019 @ 12:26
Es ist ein demokratischer Prozess, bis zur vollständigen Demokratisierung ist es noch ein weiter Weg. Aber in der EU hat sich durch die Europawahl 2014 mehr geändert als durch die letzte Bundestagswahl in DE 🙂
Rudi Ehm
24. Januar 2019 @ 08:01
Es ist wohl bis jetzt nicht aufgefallen, dass Wählen in der EU-Blase noch nie einen Wert darstellten. Also ist dieses scheindemokratische Gerede um diese Veranstaltung nur Zeitverschwendung.
ebo
24. Januar 2019 @ 09:16
Da liegen Sie aber falsch! Bei der letzten Europawahl 2014 ging es um das Ende der Austeritätspolitik, und es gab erstmals eine Wahl zwischen Spitzenkandidaten, die Schulz (SPD) gegen den Willen von Merkel (CDU) und ihrem damaligen “best friend” Cameron durchgesetzt hat. Gewonnen hat Juncker – aber da er auf die Stimmen der Sozis angewiesen war, hat auch er einen Kurswechsel in der Wirtschaftspolitik und ein Investitionsprogramm gefordert. Wie man an dieser kurzen Erläuterung (hoffentlich) sieht, kommt es sehr wohl auf jede Stimme an. Diesmal ist allerdings alles viel komplizierter…
Rudi Ehm
24. Januar 2019 @ 15:04
Es wird von den EU-Befürwortern immer um den heißen Brei geredet, wenn es um die reale Demokratie in der EU geht. „Wird bald kommen oder besser wie gar nichts“. So werden die Hinterzimmerentscheidungen gerechtfertigt. Oder noch schlimmer mit einem Smiley abgetan. Ein Orban ist demokratisch legitimierter als ein Juncker, aber ein Juncker darf Orban schurigeln. Das ist einfach krank. Auf alle Fälle nicht demokratisch legitimiert, da die Wähler Orbans dadurch nicht ernst genommen werden, obwohl sie ihn doch in freier Wahl gewählt haben. Anderes Beispiel sind diese Volksabstimmungen bis das Ergebnis stimmt und sich dann über Wahlen in Russland aufregen. Das passt alles logisch nicht zusammen. Das muss man nicht mehr mitmachen und noch weniger verstehen. Da wird man ja zur gespaltenen Persönlichkeit. So ein Konstrukt kann nie bestehen.