Webers letzte Chance – Erdogans erste Krise
Jetzt spielt er sich auch noch zum Vorkämpfer des Parlamentarismus auf: Nach der doppelten Niederlage im Europaparlament und beim EU-Gipfel lanciert der deutsche Spitzenkandidat für die Europawahl, Manfred Weber (CSU), einen letzten Appell.
“Nun ist die Stunde des Parlaments“, sagte Weber der “Welt am Sonntag”. “Es wäre ein riesiger Rückschlag, wenn die Entscheidungen in der EU nun wieder in die Hinterzimmer der Diplomaten wandern”, warnte der Favorit von Kanzlerin Angela Merkel (CDU).
SPD und FDP müssten sich nun hinter ihn stellen und “zeigen, dass sie zur Parlamentarisierung Europas stehen”.
Breaking: Manfred WEBER, the man who killed EU transnational lists, suddenly embraces parliamentary democracy (insofar as it happens to overlap with his Europarty’s apparatchik). This is actually tragic @ManfredWeber https://t.co/VCrPqSSzpg
— Alberto Alemanno (@alemannoEU) June 23, 2019
Leider kommt dieser Aufruf etwas spät. Die Stunde des Parlaments hätte nämlich gleich nach der Europawahl schlagen müssen. Als (relativer) Wahlsieger war Weber gefordert, eine Mehrheit für seine Kandidatur zu sichern.
Doch das hat er nicht geschafft. Sozialdemokraten und Liberale (nicht die deutschen, sondern die europäischen) hatten am Donnerstag klar gemacht, dass sie Weber nicht mittragen werden.
Deshalb ist Weber gescheitert – und nicht, weil Frankreichs Staatschef Emmanuel Macron oder andere EU-Politiker ” brutal” gegen ihn vorgehen, wie deutsche Zeitungen behaupten.
#Weber konnte keine Mehrheit im EP hinter sich sammeln, so hat er verloren! Macron hat ihn nicht geschlagen, aber das Parlament! Vor 5 Jahre konnte Juncker gegen Merkels massiven Widerstand eine EP Mehrheit organizieren & dadurch Widerstand neutralisierenhttps://t.co/ci7a4YMOgH
— Franziska Brantner (@fbrantner) June 23, 2019
Webers letzte Hoffnung liegt nun in einer Art Koalitionsvertrag, der diese Woche im Parlament vorgelegt werden soll – und (wie in diesem Blog schon berichtet) bei den Grünen.
Der Chef der Europa-Grünen, Reinhard Bütikofer, veröffentlichte sogar einen Gastbeitrag im “Handelsblatt” – zusammen mit CDU und CSU. Überschrift: “Bei der Frage um die Juncker-Nachfolge gibt es keinen Platz für ein Diktat des EU-Rats”.
Offenbar planen CDU, CSU und Grüne, die SPD und die FDP (wieder die deutschen Parteien) zu einem Bekenntnis zu Weber zu bewegen. Wenn die deutsche GroKo in Brüssel steht, so die Hoffnung, könnte er vielleicht doch eine Mehrheit bekommen.
Doch auch dieses Kalkül geht – bei aller Sympathie für den Parlamentarismus – an der Realität vorbei. Denn bei Sozialdemokraten und Liberalen geben – jetzt wieder auf EU-Ebene – die Deutschen nicht mehr den Ton an.
Und selbst wenn man sich noch auf eine Art Koalitionsvertrag einigen sollte – dann heißt das noch lange nicht, dass Weber eine Mehrheit im Europaparlament hat!
Viel besser geeignet für das Amt des Kommissionspräsidenten wären nämlich die Kandidaten der Sozialdemokraten und der Liberalen – Frans Timmermans und Margrethe Vestager…
Watchlist
- Wie reagiert Sultan Erdogan auf die zweite Wahlniederlage in Istanbul? Der Kandidat Ekrem Imamoglu von der oppositionellen Republikanischen Volkspartei (CHP) gewann die Wahl am Sonntag klar mit 54 Prozent. Damit schlittert Erdogan in die erste Krise seit seiner Ernennung zum allmächtigen Präsidenten.
- Was sagt die EU-Asylbehörde EASO zur Flüchtlingspolitik? Zuletzt war die Zahl der Migranten wieder angestiegen; vor allem aus Venezuela kommen immer mehr Aslysuchende nach Europa.
Was fehlt
- Die größte Massendemonstration in Tschechien seit dem Ende des Kommunismus. Dabei haben am Sonntag laut Organisatoren rund 250.000 Menschen den Rücktritt von Regierungschef Andrej Babis gefordert. Sie zogen am Sonntag durch das Zentrum der Hauptstadt Prag. Der 64-jährige Milliardär Babis steht im Verdacht, als Unternehmer unrechtmäßig von EU-Subventionen profitiert zu haben. Die EU in Brüssel schweigt…
Kleopatra
24. Juni 2019 @ 08:42
Eignung ist kein Kriterium, weil jeder behaupten kann, sein Favorit sei besonders gut geeignet und die anderen nicht. Allerdings ist jemand wie Weber, der kein Französisch und nur mit relativ dickem Provinzakzent Englisch kann, wirklich keine für den Posten des Kommissionspräsidenten vorstellbare Besetzung.
Die Idee der Spitzenkandidaten leidet darunter, dass sie ständig willkürlich neu definiert wird. Vor der Wahl 2014 hatten Sozialdemokraten und Christdemokraten gemeinsam vereinbart, dass der “S.” der stärksten Partei Kommissionspräsident werden sollte. Da beide zusammen eine Mahrheit der Mandate im EP hatten, konnten sie das auch bequem durchdrücken, vor allem weil die Sozialdemokraten davon nach ihrem Martin-Schulz-Wahlkampf in Deutschland nicht mehr herunterkamen. Schon 2014 war allerdings nicht verständlich, warum die anderen Parteien sich auf dieses kuriose Verfahren einließen (Grüne, Liberale etc. hatten ja nicht den Hauch einer Chance). Außerdem ist es fast unmöglich, dass eine andere Partei mehr Abgeordnete zusammenbringt als die Christdemokraten; daher lief das Verfahren von 2014 darauf hinaus, der EVP (und damit indirekt Angela Merkel) das Recht zur Ernennung des Kommissionspräsidenten zu geben.
Die gegenwärtigen Versuche im EP, die Regeln des Verfahrens nach der Wahl neu zu definieren, sind allerdings absurd. Ein Wahlverfahren muss vor der Wahl klar definiert sein, und daran haben alle gemeinsam es vor der Wahl fehlen lassen.
Es kann also nur bleiben, so vorzugehen, wie es in den Verträgen steht, d.h. dass der Rat sich auf einen Kandidaten einigt und diesen dem Parlament vorschlägt. Und das Parlament sollte sich davor hüten, einen solchen Kandidaten abzulehnen; denn es ist im Gesetzgebungsverfahren auf der schwächeren Seite, und das Parlament kann zwar nicht die Mitgliedstaaten abschaffen, aber die letzteren können das Parlament mit einem Federstrich abschaffen. Und schließlich sollte man den Kandidaten im Rat einstimmig nominieren. Die letzte Nominierung mit qualifizierter Mehrheit wurde zwar von der deutschen Presse bejubelt, hat aber mit dazu beibetragen, dass ein Mitgliedstaat seinen Austritt beschlossen hat. Allzu oft sollte die EU sich diese billige Freude nicht leisten.
Summerhill
24. Juni 2019 @ 08:17
“Vor allem aus Venezuela kommen immer mehr Asylsuchende nach Europa.”
Das ist genau mein Humor.
Wahrscheinlich in der Business-Class.