Was bringt der Corona-Hilfsfonds wirklich? (1/2)

Nun ist er beschlossene Sache – der 750 Mrd. Euro schwere, schuldenfinanzierte Corona-Hilfsfonds. Er soll wahlweise Italien, den Binnenmarkt oder gleich ganz EUropa retten – dabei hat der Plan einige bedenkliche Risiken und Nebenwirkungen.

Es soll etwas Großes werden, etwas Einmaliges – eine Art Wunderwaffe gegen die Coronakrise und den drohenden Kollaps des Binnenmarkts in Europa. Deswegen dürfe man den geplanten, bis zu 750 Milliarden Euro schweren „Recovery Fund“ der EU auch nicht „verzwergen“, sagte Kanzlerin Merkel vor dem “historischen” Beschluß des EU-Gipfels.

Aber darf man ihn noch kritisieren? Ist die Frage erlaubt, ob das schuldenfinanzierte Hilfsprogramm ausreicht, um die schlimmste Rezession seit dem 2. Weltkrieg zu lindern? Ist das Ziel der Hilfen mit „Wiederaufbau“ richtig beschrieben, müsste es nicht vielmehr um einen Umbau oder Neustart gehen? Und was ist mit den Konditionen bei der Mittelvergabe? Um diese Probleme ist es merkwürdig still geworden. Der „Recovery Fund“ wird als alternativlos dargestellt – oder sogar zu einem Meilenstein und Wendepunkt der EU-Geschichte verklärt.
Ein Hamilton-Moment?
Besonders weit holte Bundesfinanzminister Olaf Scholz aus. Er sprach – in Anspielung auf die Gründung der USA – von einem „Hamilton Moment“. Gemeint ist ein fiskalpolitischer Quantensprung, der die EU auf eine neue Integrations-Stufe heben könnte. Man werde dem Wiederaufbauplan nicht gerecht, wenn man ihn nur als Notnagel gegen die Coronakrise betrachte, so der SPD-Politiker. Auch der französische Politikberater Jean Pisani-Ferry weckt große Erwartungen. Wenn der Plan funktioniert und die Wirtschaft wiederbelebt, dann könne er einen Präzedenzfall schaffen, meint der Vertraute von Staatschef Emmanuel Macron. Eine aktive Wirtschafts- und Finanzpolitik könnte dann ebenso selbstverständlich werden wie gemeinsame Schulden oder EU-Steuern.
Das Problem ist, dass Merkel genau diese Signalwirkung verhindern will. Sie hat den Wiederaufbaufonds weder als ständigen Finanztopf noch als Einstieg in eine europäische Wirtschaftsregierung konzipiert – im Gegenteil. Eine einmalige Ausnahme soll es sein, und jeder Cent an Finanzhilfen soll an Reformauflagen gebunden werden, damit die Hilfsempfänger dem „Modell“ Deutschland nacheifern mögen. Ein weiteres Problem ist, dass niemand weiß, ob der Plan überhaupt funktioniert. Daran gibt es erhebliche Zweifel – nicht nur bei den „sparsamen Vier“ und neoliberalen Gegnern einer „Schuldenunion“. Auch EU-Politiker und Ökonomen, die sich für eine solidarische Wirtschafts- und Finanzpolitik einsetzen, warnen vor überzogenen Erwartungen sowie versteckten Risiken und Nebenwirkungen. Die Kritiker argumentieren auf drei Ebenen:
  • Der Wiederaufbau-Fonds sei zu klein und komme zu spät, um die Wirtschaft zu stützen und die Krise zu lösen.
  • Die Ziele des Wiederaufbaus seien an sich fragwürdig, der fällige Umbau der Wirtschaft komme zu kurz.
  • Der Plan könne die EU auf Dauer schwächen und zu einer neuen, harten Austeritätspolitik führen.
Beginnen wir mit dem makroökonomischen Argument. „Too little, too late“ heißt es fast wie zu Zeiten der Eurokrise. Die jüngsten Schätzungen der EU-Kommission scheinen den Kritikern Recht zu geben. Statt – wie bisher erwartet – um 7,7 Prozent werde die Eurozone in diesem Jahr um 8,7 Prozent schrumpfen, warnt EU-Wirtschaftskommissar Paolo Gentiloni. 2020 wird zum Horrorjahr. Die Hilfen aus dem Wiederaufbau-Programm dürften aber erst 2021 fließen – also viel zu spät, um den aktuellen Einbruch abzufangen. Sie dürften auch nicht ausreichen, um alle Krisenländer zu stabilisieren. Nach einer Berechnung des Brüsseler Thinktanks Bruegel könnte der Stimulus zwar bis zu 16 Prozent des GNI betragen. Doch diese beeindruckende Zahl wird nur in einem einzigen Land erreicht – in Bulgarien, das bisher wenig von der Coronakrise betroffen war. Im schwer getroffenen Italien liegt der Effekt bei 5,2 Prozent, im ebenfalls Corona-geschädigten Frankreich nur bei 1,8 Prozent. Bezogen auf alle 27 EU-Länder und den vorgesehenen Programm-Zeitraum von drei bis vier Jahren schrumpft der Wert weiter.
Ein symbolischer Stimulus
Der „FT“-Kolumnist Wolfang Münchau rechnet letztlich nur mit 0,56 Prozent – ein eher symbolischer Stimulus. Und Mujtaba Rahman von der Eurasia Group bemängelt, dass die Hilfe viel zu spät komme – vor allem für Italien, das sie besonders nötig hat. Der Wiederaufbau-Plan sei zwar wichtig, um die wackelige „Fiskal-Architektur“ der EU zu stärken. Doch für einen schnellen Aufschwung in Krisenländern wie Italien werde er nicht sorgen. Morgen folgt der zweite und letzte Teil. Alles zum Wiederaufbau hier