Warum die SPD auf Distanz zu Russland geht

Ex-Außenminister Gabriel wollte die Russland-Sanktionen lockern, sein Nachfolger Maas fordert Strafaktionen gegen Moskau. Wie konnte es zu dieser außenpolitischen Wende kommen? Dahinter steckt der „Atlantic Council“, meint unser Gastautor.

Von Norbert Häring*

SPD geht auf Distanz zu Russland, hieß am 9.4.2018 eine treffende Überschrift im „Handelsblatt“ zur Außenpolitik von Heiko Maas und der ostpolitischen Kehrtwende der SPD. In den eineinhalb Jahren dazwischen ist einiges passiert. Die Schlüsselwörter heißen Nord Stream 2 und Sanktionen.

Ich hatte ein Pamphlet* des Atlantic Council namens The Kremlin’s Trojan Horses ausgegraben und schrieb am 20.11.2016 darüber folgendes:

Der Atlantic Council, ein eminent wichtiger Lobby- und Politikberatungsverein in Washington* hat eine Studie herausgebracht, in der er Politiker verschiedener Parteien, einschließlich Sigmar Gabriel, zu Putins Fünfter Kolonne erklärt und Medien, Geheimdienste und Zivilgesellschaft zur Hatz auf diese auffordert. Martin Schulz hat offenbar mächtige Unterstützer bei seinem erstaunlichen Wunsch nicht nur Außenminister, sondern – statt Gabriel – auch SPD-Kanzlerkandidat zu werden.

Als prominente Deutsche sind in den Gremien des „Thinktanks“ aus Washington Wolfgang Ischinger (Münchener Sicherheitskonferenz) und Thomas Enders (Airbus) vertreten.

 

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Das Cover der Atlantic-Council-Veröffentlichung zierte ein Foto von Gerhard Schröder mit schwarzem Balken über den Augen. Als pro-russische Schlüsselakteure in Deutschland wurden aus dem SPD-Lager zuvorderst aufgeführt, Sigmar Gabriel und Gerhard Schröder, aus dem CDU-Lager Ronald Pofalla und aus dem Unternehmenslager Wolfgang Büchel und Klaus Mangold.

Für keinen der Genannten lief es ab da karriere- und PR-mäßig gut. Bahn-Vorstand Pofalla scheiterte im folgenden Frühjahr mit der Ambition, Bahnchef Grube nachzufolgen, aufgrund mangelndem Rückhalts bei CDU und SPD, wie es in der Presse hieß. Linde-Chef Büchele kam nur zwei Wochen später seinem Rauswurf durch Rücktritt zuvor. Vorher hatte er seinen Platz auf der Schwarzen Liste des Atlantic Council gerechtfertigt, indem er in einem Gastkommentar im Handelsblatt am 21.11. unter dem Titel Zeit für Alternativen die Aufhebung der Sanktionen gegen Russland forderte. Zeitgleich mit der Veröffentlichung der Liste der russischen Einflussagenten, steckte jemand der Presse, dass TUI-Aufsichtsratschef Mangold EU-Kommissar Öttinger im Privatjet zu einem Treffen mit Victor Oerban in Budapest mitgenommen hatte. Ein Jahr später kam Mangold  in einem Tagesschau-Bericht zu den Paradise-Leaks auf unangenehme Weise groß heraus. Schröder und er bekamen die beiden längsten Einträge. Bei Mangold war das Vergehen, dass er Geschäfte mit dem russischen Milliardär Berezovsky gemacht hatte, der schon seit 2013 tot war.

Weil es im Lichte dieser Entwicklungen interessant sein könnte, will ich die Aufforderung des Atlantic Council zur Hatz auf die genannten „russischen Einflussagenten“ im länglichen Original zitieren:

The transatlantic community must do more to defend its values and institutions. To that end, Western governments should encourage and fund investigative civil society groups and media that will work to shed light on the Kremlin’s dark networks. European Union member states should consider establishing counter-influence task forces, whose function would be to examine financial and political links between the Kremlin and domestic business and political groups. American and European intelligence agencies should coordinate their investigative efforts through better intelligence sharing.

Hat ja ganz gut geklappt.

Am schlechtesten erging es dem prominentesten „nützlichen Idioten Russlands“, Sigmar Gabriel. Er hatte sich seinen Platz auf der Schwarzen Liste der zur Strecke zu Bringenden verdient, indem er im Mai 2016 einen schrittweisen Abbau der nach der Krim-Annexion verhängten Sanktionen verlangte. In den USA war man not amused. Vizepräsident Joe Biden äußerte sich laut EUObserver (zitiert nach Deutsche Wirtschaftsnachrichten) besorgt. Er gehe davon aus, dass „mindestens fünf EU-Staaten“ bereit seien, die gegen Russland bestehenden Sanktionen zu lockern. Die ukrainische Regierung mache sich deshalb berechtigte Sorgen. Der EUObserver verwies in diesem Zusammenhang auf die neue, weichere Linie der SPD und schrieb, dass die SPD eine Lockerung der Russland-Sanktionen zu ihrem Wahlkampfprogramm für die Bundestagswahlen machen möchte.

Es bildete sich umgehend ein Arbeitskreis Neue Ostpolitik von SPD-Mitgliedern gegen Gabriels zahme Russlandpolitik,  der „die Pro-Russland-Connection in der SPD aufarbeiten“ wollte.

Im Gegensatz zu Gabriel war Martin Schulz ein verlässlicher Transatlantiker. Im März 2014 war er noch voll auf der Entspannungslinie seines Parteifreunds Gabriel gewesen und wollte das Ukraine-Krim-Problem mit Russland vor allem durch Gespräche lösen, nachzulesen etwa in einemInterview mit profil.at. Ein Jahr später war er schon voll auf Antirussenkurs eingeschwenkt und trommelte für Härte in den Sanktionsfrage und äußerste Wachsamkeit an der Propagandafront: Er sagte der Zeit:

Wir müssen uns dem Versuch Putins, die EU zu spalten und im Innern der EU Einfluss auszuüben, mit allen Mitteln entgegenstellen. Das geschlossene Auftreten der EU in der Sanktionsfrage ist in der Tat ein großer außenpolitischer Erfolg.

Bei dieser Linie blieb Schulz. Kurz nach Gabriels Moskau-Reise, aber vor Erscheinen der Atlantic-Council-Studie, fuhr er seinem Parteifreund mit einem Interview mit dem Deutschlandfunk in die Parade, in dem er noch einmal betonte: „Wir müssen hart in unserer Gegenstrategie sein.“

Am 23.11., rund eine Woche nach Veröffentlichung des Atlantic-Council-Papiers, verkündete Schulz via Süddeutsche Zeitung seine Absicht, von Brüssel nach Berlin zu wechseln. Gabriel zierte sich noch eine Weile, zugunsten von Schulz abzutreten. Am 24.1.2017 schließlich mchte er über den Stern bekannt, dass er vom Parteivorsitz zurücktrete und Schulz als Kanzlerkandidat vorschlage. Offenbar als Gegenleistung durfte er Außenminister werden.

Es folgte eine der schrägsten Episoden der deutschen Mediengeschichte. Einige Monate lang wurde der langweilige Europapolitiker aus Würselen in den meisten maßgeblichen Medien in regelrechten Begeisterungsstürmen zum charismatischen Retter der SPD verklärt, der Merkel stürzen könne. Das gipfelte im legendären Messias-Cover des Spiegel.

Bei der Bundestagswahl holte der Messias dann 20,5% für seine Partei. Trotz dieses Desasters historischen Ausmaßes wollte er nicht von der Parteispitze abtreten, sondern sie selbst „erneuern“. Doch mit seinem letzten Dienst an der transatlantischen Freundschaft brauchte er sein verbleibendes politisches Kapital und seine Nützlichkeit für die transatlantische Sache auf und musste gehen. Gabriel war in seiner neuen Funktion als Außenminister ein transatlantisches Ärgernis geblieben. So schreib die Welt Ende November 2017 unter der Überschrift Gabriel kritisiert EU-Widerstand gegen Nord Stream 2  resümierend:

Sigmar Gabriel nutzt als Außenminister jede Chance für einen Kontakt mit Russland. Beim vierten Besuch in diesem Jahr stärkt er den Investoren eines umstrittenen Erdgas-Projekts den Rücken.

Durch Intrigenspiel kegelte Schulz den transatlantisch-unbotmäßigen Gabriel, aus dem Amt des Außenministers. Gabriel schlug mit einer öffentlichen Attacke gegen den aus seiner Sicht wortbrüchigen Schulz zurück und zog diesen mit hinunter ins politische Nirwana.

Von Gabriels Nachfolger als Außenminister, Heiko Maas, ist schon nach wenigen Wochen im Handelsblatt treffend zu lesen, dass mit ihm die SPD auf Distanz zu Moskau gehe:

Schon in seiner Antrittsrede gab er das Signal, dass er aus den Fußstapfen seiner sozialdemokratischen Vorgänger Gabriel und Frank-Walter Steinmeier heraustreten will. Und das ausgerechnet in der für die SPD so heiklen Frage der Russlandpolitik. Im Gegensatz zu seinen Vorgängern verfolgt Außenminister Maas einen kritischen Kurs gegenüber Russland – und erhält Unterstützung von aufstrebenden Kräften in der SPD.

Der neue außenpolitischen Sprecher der SPD, Nils Schmid, brach ganz in diesem Sinne in Sachen Nord Stream 2 mit der bisherigen Linie der SPD und Gabriels, als er nun verkündete:

Wegen der politischen Brisanz tun wir gut daran, das Projekt Nord Stream 2 in die EU-Erdgaspolitik einzubinden und uns gerade mit den Osteuropäern abzustimmen.

Die ostpolitische Wende der SPD scheint geschafft.

*Norbert Häring arbeitet beim „Handelsblatt“, der Originalbeitrag von seinem Blog steht hier