Deutsche Reisewarnung trifft deutschen EU-Vorsitz
Das kann man sich nicht ausdenken: Berlin warnt wegen ansteigender Coronazahlen vor Reisen nach Brüssel – und trifft damit die EU und den deutschen EU-Vorsitz. Der Wahnsinn mit den Reisewarnungen nimmt absurde Züge an.
Die neue deutsche Reisewarnung wurde am Freitag erlassen – einen Tag nach einer Sitzung des belgischen Krisenkabinetts um Premierministerin Wilmès. Bei dieser Sitzung wurden keine neuen Maßnahmen beschlossen – denn die Coronalage in Brüssel stabilisiert sich.
Das hindert das RKI und Auswärtige Amt aber offenbar nicht daran, von Reisen abzuraten. Die Warnung beruft auf einer deutschen Risikoabschätzung, und ist offenbar auch nicht mit den Behörden in Brüssel oder der EU abgestimmt.
Ergebnis: Kurz vor Beginn der “heißen Phase” des deutschen EU-Vorsitzes mit zahlreichen Ministertreffen warnt Berlin vor Reisen nach Brüssel. Das trifft auch die Ratstreffen in Deutschland, denn ab sofort müssen Reisende aus Brüssel bei der Ankunft in Quarantäne.
Allerdings gibt es eine Ausnahme für Politiker und Diplomaten. Sie dürfen am Treffen der Verteidigungsminister und der Außenminister in der nächsten Woche nach Berlin reisen – ohne Auflagen. EU-Korrespondenten aus Brüssel hingegen müssen sich testen lassen.
Das zeigt, wie widersprüchlich und kontraproduktiv die (deutschen) Reisewarnungen sind. Sie sorgen für ein Zwei-Klassenrecht – “normale” Bürger können kaum noch reisen – und machen nun sogar den EU-Profis in Brüssel das Leben schwer.
Bereits in der vergangenen Woche habe ich die EU-Kommission gefragt, ob sie sich wegen der steigenden Corona-Zahlen in Brüssel Sorgen mache. Nein, die Arbeit gehe wie gewohnt weiter, man stehe zum “Standort” Brüssel, lautete die Antwort.
Ich bin mal gespannt, ob das nun auch noch gilt. Ab sofort müssen sich die EU-Beamten an den Entscheidungen des RKI und des AA ausrichten, der Reiseverkehr im Brüsseler Europaviertel wird von Berlin aus geregelt. Welcome back im deutschen EUropa…
Siehe auch “Der Wahnsinn mit den Reisewarnungen” und “Maskenpflicht in Brüssel – Warnung für die EU”
P.S. Natürlich hat Deutschland nicht das Monopol für absurde Reisewarnungen. In Belgien gilt z.B. eine Warnung vor Reisen nach Düsseldorf. Dabei liegt die sog. Inzidenz dort nur bei 22,6 – rund ein Drittel des Brüsseler Werts. Was die Frage aufwirft, warum die EU nicht endlich für klare, verbindliche Regeln sorgt. Dazu sollte auch gehören, dass die Zahl der erkrankten Rückkehrer aus einem Reiseland in die Höhe schnellen muß, bevor eine Warnung ausgesprochen wird. Das ist derzeit weder für Brüssel noch für Düsseldorf der Fall – wohl aber für die Türkei. Doch dort hat das AA eine Ausnahmegenehmigung für Urlaubsreisen erteilt, natürlich ohne Absprache mit Brüssel…
Peter Nemschak
24. August 2020 @ 10:34
Ohne Konsumenten mit “imperialen” Bedürfnissen funktioniert die “imperiale” Wirtschaft nicht. Stupid: it’s humans.
Ute Plass
24. August 2020 @ 11:57
Umso notwendiger, die ‘imperiale Wirtschaft’ in eine solidarisch-ökologische zu transformieren, sprich: “Die Wirtschaft zur Vernunft bringen”, wie hier beschrieben:
https://www.akademie-solidarische-oekonomie.de/books/die-wirtschaft-zur-vernunft-bringen/ 🙂
Peter Nemschak
24. August 2020 @ 13:38
Konsumenten sind Wähler.
Ute Plass
24. August 2020 @ 16:14
“Konsumenten sind Wähler” und nicht wenige engagieren sich deshalb
für MEHR DEMOKRATIE, die über das Vierjahreskreuz hinausgeht.
“Parteien-Demokratie” wie wir sie kennen ist mehr als reformbedürftig.
Ute Plass
23. August 2020 @ 23:23
@Nemschak: “Das Problem unsere Wohlstandsgesellschaft besteht darin, dass die Menschen nicht bereit sind auf Annehmlichkeiten und sei es bloß temporär zu verzichten und sich auf das Lebensnotwendige zu beschränken bis ein Impfstoff entwickelt wurde.
Klingt fast so, als würden Sie zum Beratungsteam unserer neoliberal denkenden und handelnden Kanzlerin gehören. Die erhebt auch gerne den schwarz-pädagogischen
Finger um die Bevölkerung fürsorglich zu entmündigen.
Vielleicht missverstehe ich Sie auch, und Sie wenden sich gegen einen imperiale Lebensweise unserer, vom Profit getriebenen, Wirtschaft? 😉
Holly01
24. August 2020 @ 09:39
.. dabei besteht das Problem nicht aus dem Konsum von 9 Milliarden Menschen sondern aus dem exorbitanten Ressourcen Verbrauch von genau einem Land mit seinen 200 beknackten Familien……
vlg
Peter Nemschak
24. August 2020 @ 11:58
Gäbe es nur die besagten 200, würden wir in einer Ressourcenüberschussgesellschaft leben. Die Masse macht es….
Holly01
24. August 2020 @ 15:59
Woher nehmen Sie nur immer diese Weisheiten?
Die Masse hat verschwindend geringe Vermögen, kaum Einkommen, um Miete und Leben zu finanzieren und fährt auf Pump in den Urlaub oder finanziert den fahrbaren Untersatz.
Wo ist denn da der Konsum?
Konsum findet dort statt, wo die Mittel dazu da sind.
Die 0,001% haben Mittel und laufende Einkommen. Die stehen für den Konsum.
Die Masse macht es … made my day ….
vlg
Peter Nemschak
22. August 2020 @ 23:03
Reisewarnung ist kein Reiseverbot. Man reist auf eigenes Risiko und hat keinen Anspruch auf Gratis-Rückholung und ggf. andere Benefizien wie Gratistests bei der Rückkehr. Das Reisefieber und der unbändige Drang sich unter die Masse zu mischen scheinen stärker als das Coronafieber zu sein.
Kleopatra
23. August 2020 @ 08:13
Menschen sind von Natur aus Massenwesen. “Social distancing” wäre, wenn Menschen Zootiere wären, eindeutig als eine nicht artgemäße Haltungsweise abzulehnen; es kann deshalb nur kurze Zeit durchgehalten werden (und selbst dann wird es verstöße geben). Die Rückholungen waren nicht gratis, mussten aber vom Staat organisiert werden, weil es anders nicht ging. Gratistests dienen der Allgemeinheit mindestens so sehr wie dem Individuum; die Alternative zu Gratistests sind deshalb große Zahlen an Menschen, die ungetestet einreisen.
Letztlich ist eine totale Infektionskontrolle nur um den Preis totalitärer Steuerung der Gesellschaft zu haben, und das funktioniert deshalb im wesentlichen nur in China (und die haben ihre totalitäre Überwachung nicht aus Menschenfreundlichkeit eingeführt).
Peter Nemschak
23. August 2020 @ 16:34
Das Problem unsere Wohlstandsgesellschaft besteht darin, dass die Menschen nicht bereit sind auf Annehmlichkeiten und sei es bloß temporär zu verzichten und sich auf das Lebensnotwendige zu beschränken bis ein Impfstoff entwickelt wurde. Generationen vor uns haben es aus Not schaffen müssen und waren weniger wehleidig als wir es sind. Die Einstellung vieler, dass ihnen die Gesellschaft etwas schulde, ist nicht hilfreich. Kein Wunder, dass asiatische Gesellschaften, nicht nur China, zu einer Konkurrenz für den Westen geworden sind.
Holly01
23. August 2020 @ 18:26
Da haben Sie Recjt Hr. Nemschak.
Den Reichen soll man nicht nur geben können, sie sollten sich auch nehmen dürfen.
Wo wäre denn sonst der Sinn des Lebens?
Früh krümmt sich was ein Würmchen werden soll ….
” .. Always looking for the bright side of life ….. ”
vlg
Peter Nemschak
23. August 2020 @ 22:46
Menschen mögen wie Tiere Herdentiere sein. Sie haben aber im Unterschied zu diesen die Fähigkeit zur Selbstreflektion, Bedürfnisaufschub und Selbstdisziplin. Man muss nicht zwingend mit der Herde mitmarschieren.
Holly01
24. August 2020 @ 07:09
Hr. Nemschak,
wir haben Militär, eine Grenzverteidigung, ein Strafrecht und Polizei, um körperliche Gewalt einzuhegen.
Ich frage mich immer öfter ob das Handelsgesetzbuch ein adäquater Schutz vor Reichen und Bankern ist.
Ein bekloppter Reicher oder ein asozial, entfesselter Banker können mehr gesellschaftlichen Schaden anrichten, als eine Division Soldaten.
Wir müssen das Geldwesen und die Waren noch einmal ganz neu überdenken. Dazu müssen wir erst die Wissenschaft und die Bildung ganz neu aufstellen.
Das DENKEN müssen wir verändern, die WAHRNEHMUNG muss sich verändern.
Dann kommen wir auch wieder dazu: “Fähigkeit zur Selbstreflektion, Bedürfnisaufschub und Selbstdisziplin”
Im Moment werden wir extrem fremdgesteuert. Aber da gibt es bereits einen Kipppunkt.
Nun brauchen wir mehr als nur die Ökonomie. Da hat das Umdenken eingesetzt.
Wir brauchen unsere intelligenten Leute und weniger “es könnte doch sein” ….
vlg
Kleopatra
24. August 2020 @ 16:03
@Peter Nemschak: Ich bestreite nicht, dass “Social distancing” eine Weile durchgehalten werden kann, genau wie man auch eine Weile aufs Essen verzichten kann. Ich behaupte nur, dass das Bedürfnis nach sozialer Interaktion und Nähe zu anderen Menschen genauso ein biologisch bedingtes Bedürfnis ist, das nur kurzzeitig in den Hintergrund gestellt werden kann. Isolationshaft gilt nicht umsonst als eine schlimme Art der Folter. Im übrigen stirbt etwa in Österreich seit mehr als zwei Monaten an COVID-19 weniger als ein Mensch pro Tag, und damit ist das Risiko, daran zu sterben, so hoch oder gar niedriger, als im Straßenverkehr einen tödlichen Unfall zu erleiden (410 Verkehrstote im Jahr 2019). Trotz der mittlerweile wieder zunehmenden Fallzahlen in Österreich also im Grund eine wenig gefährliche Krankheit.
Kleopatra
22. August 2020 @ 15:21
Nicht zuletzt muss man aufhören, auf “Infektionszahlen”, die aus exzessiv durchgeführten Tests resultieren, hektisch mit Maßnahmen zu reagieren, wenn sie willkürliche Grenzwerte erreichen oder übersteigen. Politik besteht im Abwägen eineander widerstrebender Prioritäten. Deshalb muss man einen Gipfel im Zweifelsfall durchführen, auch wenn irgendwelche Grenzwerte erreicht werden (wobei ich zur Durchführung auch die ungehinderte Ein- und Ausreise akkreditierter Journalisten – also nicht nur der Politiker und Beamten – rechnen würde!) Die Festlegung von Grenzwerten, “Corona-Ampeln” und ähnlichem ist nur ein Zeichen dafür, dass die Verantwortlichen zu feige sind, Entscheidungen zu treffen. Sie müssten sonst entweder Einschränkungen vertreten oder erklären, dass ein gewisses Risiko nicht um jeden Preis vermieden werden kann oder sollte. Ich finde es nicht skandalös, dass bestimmte Beziehungen zwischen konkreten Ländern bevorzugt behandelt werden. Im Fall der Türkei ist z.B. nicht nur der dortige Tourismussektor betroffen, sondern v.a. auch Arbeitsmigranten auf Familienbesuch. Vom seuchenhygienischen Standpunkt gesehen ist letzteres gefährlich; aber es gibt Dinge, die man den Menschen nicht verbieten sollte.