Rolle rückwärts
Mir san mir – auch wenn gar keine Neger mehr kommen
Die EU-Innenminister wollen wieder Grenzkontrollen wieder einführen. Bis zu zwei Jahre kann ein Schengen-Land künftig seine Übergänge dicht machen, wenn “ernste Defizite an den Außengrenzen” bestehen. Damit setzen sich Deutschland und Frankreich gegen die EU-Kommission durch, die das letzte Wort haben wollte. Sowohl der Zeitpunkt der Entscheidung als auch die Begründung sind befremdlich, um nicht zu sagen suspekt.
Zunächst zum Zeitpunkt: der Schengen-Coup kommt mitten in der Eurokrise, also in einem Moment, wo selbst der deutsche Außenminister davor warnt, die Leute könnten wieder mit Geldkoffern über die Grenzen fliehen. Das führt nicht nur zerohedge zu dem bösen Gedanken, die EU bereite sich in Wahrheit auf Bankruns und Europanik vor. In diesem Falle wäre es allerdings sinnvoller gewesen, auch gleich Kapitalverkehrskontrollen einzuführen…
Merkwürdig ist der Zeitpunkt noch aus einem anderen Grunde: die umstrittene Verschärfung war noch von Frankreichs Ex-Präsident Sarkozy auf den Weg gebracht worden. Damals war dies vor allem ein Wahlkampfmanöver, um Wähler am rechten Rand zu ködern. Doch Deutschland machte mit, und offenbar ist es Innenminister Friedrich nun auch noch gelungen, die Rolle rückwärts über die Wahlzeit in Paris zu retten.
So ist dies nun die erste deutsch-französische EU-Initiative nach dem Amtsantritt von Präsident Hollande – wie peinlich…
Noch peinlicher ist allerdings die Begründung, es gehe ja nur um “Notfälle”, wenn eine Flüchtlingswelle rollt und ein EU-Staat (sprich Griechenland) seine Außengrenzen nicht richtig sichert. Nun, die Flüchtlingströme aus Afrika sind weitgehend versiegt. Doch Griechenland ist immer noch nicht in der Lage, seine Grenze zur Türkei dicht zu machen; die Griechen haben derzeit anderes zu tun, und Geld haben sie auch keins mehr.
Ist dies also der Notfall oder nicht? Wird er vielleicht nach dem angeblich nahenden Austritt Griechenlands aus dem Euro erklärt? Und gilt danach der permanente Ausnahmezustand?
In einem Punkt muss ich Friedrich & Co. aber Recht geben. Die Außengrenzen müssen unter nationaler staatlicher Kontrolle bleiben, die EU-Kommission wollte sich durch die Hintertür über das Schengen-Abkommen zu viele Befugnisse anmaßen. Wieso man aber auch das Europaparlament ausgrenzen will, bleibt das Geheimnis des CSU-Innenolitikers. Sogar der CSU-Europaabgeordnete Weber warnt vor diesem “Rückschritt in die Prä-Lissabon-Ära”, in der das Parlament nichts zu sagen hatte…
kostenloser Counter
Twittern
Eric B.
7. Juni 2012 @ 19:43
Danke für die völlig richtige Einordnung. Mein Leadsatz ist in der Tat zu kurz geraten; natürlich geht das Ganze ins Gesetzgebungsverfahren, spätestens im EP werden sich die Minister eine blutige Nase holen. Das weiß natürlich auch Friedrich. Umso erstaunlicher, dass er es trotzdem drauf anlegt – vielleicht mit Blick auf die Bundestagswahl?
Ron
7. Juni 2012 @ 19:40
Dieser Beschluss ist lächerlich. Wenn man zwei Jahre seine eigenen Außengrenzen sichern kann, könnte man auch ein Jahr die Grenzsicherung an möglicherweise problematischen Außengrenzen finanzieren. Und im Falle eines Bankruns in Griechenland wäre ja Bulgarien die erste EU-Binnengrenze, die betroffen wäre, nicht die deutschen oder französischen Grenzen. Und dass die Massen in Flugzeugen ausreisen, ist ja eher unwahrscheinlich.
Manuel Müller
7. Juni 2012 @ 16:13
“Die EU-Innenminister führen die Grenzkontrollen wieder ein”?Nur die Ruhe – das können sie überhaupt nicht. Jedenfalls nicht allein, denn die Freiheit der Binnengrenzen fällt schon seit langem unter das ordentliche Gesetzgebungsverfahren, wo der Ministerrat und das Europäische Parlament gleichberechtigt sind. Entsprechend schreibt die Süddeutsche auch halbwegs treffend, die Minister hätten einen “Entwurf zur Neufassung des Schengener Abkommens” verabschiedet. Noch genauer wäre es, statt vom Schengener Abkommen vom Schengener Grenzkodex zu sprechen, denn um den geht es eigentlich. Und dabei handelt es sich um eine ganz gewöhnliche EU-Verordnung.Was Deutschland und Frankreich jetzt geschafft haben, ist, die anderen nationalen Minister auf ihre Seite zu ziehen. Als Nächstes wird aber das Europäische Parlament zu der Frage Stellung beziehen, und wenn es sich (wie zu erwarten ist) gegen den Standpunkt des Rats ausspricht, geht das Verfahren in den Vermittlungsausschuss. Dort könnte es dann zu einem Kompromiss kommen – oder die Reform wird einfach scheitern. Auf jeden Fall aber wird in dieser Frage nichts ohne oder gegen das Europäische Parlament beschlossen werden, und das ist auch gut so.Mehr zum Thema siehe hier:http://foederalist.blogspot.de/2012/04/schengen-und-die-nationale-souveranita…