Kungeln mit Cameron

Beim Krisengipfel zum EU-Budget lagen Berlin und London auf einer Linie. Beide fordern weitere Kürzungen bei den Ärmsten und Schwächsten, bei Telekom und Transport, aber auch bei den EU-Beamten. Entsteht da eine neue „Achse“ gegen Brüssel und Paris? Oder platzt die neue Freundschaft genauso schnell wie der Gipfel, der ohne Ergebnis zu Ende ging?

David Cameron kam als erster. Schon im Morgengrauen landete der britische Premier in Brüssel, um in den „Beichtstuhl“ mit EU-Ratspräsident Van Rompuy und Kommissionschef Barroso zu klettern. Als er wieder heraus kam, gab sich Cameron kämpferisch. Der Kompromissvorschlag zum EU-Budget 2014 bis 2020 weise in die richtige Richtung, doch er gehe noch nicht weit genug. „Ich bin ganz und gar nicht zufrieden“, fügte der Premier hinzu. Das Reizwort „Veto“ sagte er nicht.

Das hatte Cameron auch gar nicht nötig. Denn zum einen war er schon vor Beginn des EU-Sondergipfels zum Popanz aufgebaut worden. „Die Briten nehmen Europa als Geisel“, schrieb „Le Monde“, Cameron sei die größte Gefahr für einen Gipfelerfolg, munkelten EU-Diplomaten in Brüssel. Zum anderen steht der Brite nicht allein.

Nicht weniger als zehn EU-Länder, darunter Frankreich, Italien, Schweden, Österreich und die Niederlande, haben mit einem Veto gedroht, wenn ihre Interessen nicht gewahrt werden.

Das verbale Trommelfeuer erlaubte es Kanzlerin Merkel, sich in ihrer Lieblingsrolle, nämlich als ehrliche Maklerin, zu präsentieren. „Jeder wird sicherlich ein Stück weit Kompromisse machen müssen“, sagte sie, um hinzuzufügen: „Deutschland möchte ein Ziel erreichen, aber es kann auch sein, dass wir eine weitere Etappe brauchen“.

Im Klartext: dieser Gipfel könnte scheitern, eine Wiederholung Anfang 2013 wäre denkbar. Das wäre „kein Beinbruch“, hatten Merkels Spindoktoren schon am Vormittag heraus posaunt. Und so kam es denn auch. “Rien ne va plus” hieß es schon am Freitag nachmittag; nicht einmal ein Eckpunkte-Papier oder eine “Roadmap” für das weitere Vorgehen hatten die 27 zustande gebracht.

Keine Entente mit Lieblingsfeind Hollande

Am Ende stand Merkel nicht mehr als Vermittlerin da, sondern als Hardlinerin. Erst verweigerte Merkel ihrem Lieblingsfeind, dem französischen Präsidenten Hollande, das übliche deutsch-französische Ritual, mit einer gemeinsamen Position in den Gipfel zu gehen – oder diese zumindest zu versprechen. Dann forderte sie harte Einschnitte in das EU-Budget. Statt um 80 Mrd. Euro, wie dies Van Rompuy vorgeschlagen hatte, müsse der 1,09 Billion Euro schwere Entwurf der EU-Kommission um rund 100 Mrd. Euro gekürzt werden.

Damit war Merkel weitgehend auf Cameron-Linie. „Da zeichnet sich eine Achse Berlin-London“ ab, twitterte der Korrespondent der französischen „Libération“, J. Quatremer, und britische Journalisten pflichteten ihm bei. Prompt wurden Spitznamen für das angeblich frisch gebackene Paar geprägt. In Anlehnung an das frühere „Merkozy“-Gespann (Merkel und Sarkozy) war von „Meron“ und „Camkel“ die Rede. Hollande hingegen wurde als Verlierer des Abends bezeichnet.

Völlig überraschend kommt die Annäherung zwischen Merkel und Cameron nicht.  Objektiv sitzen Berlin und London in der Budgetfrage in einem Boot. Beide wollen Brüssel kurz halten – Cameron mit Rücksicht auf die EU-Gegner in seiner Partei, Merkel mit Rücksicht auf FDP, CSU und die Springer-Presse.

Beide profitieren vom Briten-Rabatt, den Maggie Thatcher einst mit der Handtasche erkämpft hatte: Cameron ganz direkt über niedrigere EU-Beiträge, Merkel indirekt über einen Rabatt auf den Rabatt, der bewirkt, dass Berlin seinen Anteil an den von London verursachten Mehrkosten begrenzt. Der Nachlass macht stattliche 1,7 Mrd. Euro im Jahr aus – Merkel will ihn natürlich verteidigen.

Merkel rettet Cameron – vorerst

Merkel hat sich auf Cameron zubewegt und ihn damit – vorerst – aus der Verbannung gerettet, das ist das Fazit diese ärgerlichen Treffens. Allerdings dürfte sie ihn genauso schnell wieder fallen lassen, wenn dies ihren  Interessen entspricht. Ob dies auch die deutschen Interessen sind, steht auf einem anderen Blatt. Bisher gehörte Deutschland immer zu den großzügigen EU-Zahlern, schließlich hat es ja auch am meisten profitiert.

Doch davon ist jetzt keine Rede mehr. Bei diesem Gipfel zählt nur, wer am meisten für sein Land herausschlägt – und nicht, wer am meisten für Europa tut. Gerade deshalb ist die EU so unberechenbar geworden. Oder sollte man unregierbar sagen?

Dies ist die gekürzte und aktualisierte Fassung eines Artikels, den ich auf “telepolis” veröffentlich habe. Das Original steht hier.