Merkel spielt falsch
So ein Blatt hätte die Dame gerne – doch die Karten sind gezinkt
Beim heute beginnenden EU-Gipfel will Deutschland endgültig die Kontrolle über die Eurozone übernehmen. Kanzlerin Merkel will den 17 Euroländern die deutschen Stabilitätsregeln aufoktroyieren – per EU-Vertrag und sogar noch in den nationalen Verfassungen. Deutsche, Franzosen und die übrigen Eurobürger werden nicht gefragt, das EU-Parlament wird übergangen. Dies ist umso schlimmer, als Merkel falsch spielt – und zwar in vieler Hinsicht.
Fassen wir Merkels Position kurz zusammen. Sie will den EU-Vertrag ändern, um die Regeln des Stabilitätspaktes rechtsverbindlich und einklagbar zu machen. Nur so, so behauptet sie, lasse sich das Vertrauen der Märkte und Bürger in den Euro wieder herstellen. Alle anderen Reformvorschläge – gemeinsame Anleihen (Eurobonds), eine Ausweitung des Euro-Rettungsfonds, Interventionen der EZB etc. – lehnt sie ab. „Keine faulen Kompromisse“, lautet ihre Devise.
Dummerweise sagt Merkel nicht die ganze Wahrheit. Sie pokert im Kasino Euroland mit vollem Einsatz und maximalem Risiko – doch dabei sitzt sie offenbar am falschen Tisch. Bei ihrem waghalsigen Spiel verletzt sie massiv und bewußt die Regeln – und am Ende dürfte sich auch noch herausstellen, dass “Madame Non” mit gezinkten Karten gespielt hat…
Aber der Reihe nach:
1. Sie sitzt am falschen Tisch, und sie spielt das falsche Spiel. In der Eurozone gelten bereits strikte Regeln für „Schuldensünder“, die EU-Kommission hat sie gerade erst massiv verschärft. Eine Änderung des EU-Vertrags ist also gar nicht nötig. Dieser Meinung ist übrigens auch der von Merkel eingesetzte EU-Ratsvorsitzende Van Rompuy. Zudem wurde die Schuldenkrise nicht etwa durch zu hohe staatliche Budgetdefizite ausgelöst – mit Ausnahme von Griechenland war das Hauptproblem fast immer der Privatsektor und die negative Leistungsbilanz, wie eine hervorragende Analyse in der britischen FT zeigt. Die Budgetregeln zu verschärfen, ist also nicht nur unsinnig, sondern auch kontraproduktiv, da es die Rezession weiter verschärfen dürfte. Übrigens hat eine Vertragsänderung weder S&P in seiner jüngsten Warnung noch ein anderer relevanter Marktteilnehmer gefordert…
2. Sie verletzt die Spielregeln. Merkel spielt sich gern als Oberlehrerin auf. Noch vor zwei-drei Jahren lehnte sie jede Änderung des Lissabon-Vertrags vehement ab – schließlich war dies ja schon ihr Wunsch-Vertrag, der Frankreich und den anderen Neinsagern nach dem Scheitern der EU-Verfassung aufgedrängt worden war. Nun will sie den einst sakrosanten Text plötzlich wieder aufschnüren, und zwar im Eilverfahren, das allen demokratischen Gepflogenheiten widerspricht. Kein Konvent mit dem Europaparlament, keine Referenden, keine Regierungskonferenz – Merkel plant, wenn man es genau nimmt, einen Putsch von oben. Und wenn nicht alle 27 EU-Staaten mitziehen, will sie auch noch die Spaltung – dann sollen die 17 Euroländer vorangehen. Höre ich da jemand „Rechtsbruch“ rufen?
3. Sie spielt mit gezinkten Karten. Den Deutschen erzählt Merkel, mit ihr werde es keine Eurobonds, keine EZB-Intervention und auch keine Aufstockung des Euro-Rettungsfonds geben. In Frankfurt und Brüssel vernimmt man aber eine ganz andere Geschichte. Sie geht ungefähr so, wie sie EZB-Chef Draghi letzte Woche im Europaparlament erzählt hat: Wenn erst einmal eine strikte „Fiskalunion“ installiert wurde (noch so eine Mogelpackung, es soll ja nicht einmal eine gemeinsame Steuerpolitik), wären offensivere Aktionen möglich. Dann dürfte es nicht nur massive Anleihekäufe durch die EZB geben, sondern auch die dringend nötige Aufstockung des Rettungsschirms – entweder über eine Banklizenz für den EFSF, oder über den Umweg des IWF, oder oder. Für eine Banklizenz setzt sich u.a. Eurogruppenchef Juncker ein, wie die Süddeutsche meldet.
So oder so hätte Merkel eine Seite hinters Licht geführt – entweder die Bürger in Deutschland oder ihre Partner in Euroland. Vertrauen schafft man so nicht – dabei ist es doch angeblich genau das, worum es der eisernen Kanzlerin geht…
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Eric B.
8. Dezember 2011 @ 12:00
Korrekt, die Staatsverschuldung ist nicht das Kernproblem. Das sehen Sie z.b. in den USA, UK und Japan,wo die Verschuldung wesentlich höher liegt, ohne dass es zum Crash kommt. Das Kernproblem sind die Ungleichgewichte in der Eurozone und das Fehlen einer Zentralgewalt mit Zentralbank. Dies lädt Spekulanten geradezu ein, einen Keil in die zone zu stoßen, und genauso ist es ja auch gekommen. Nett ist, dass Sie “uns Deutschen” die Daumen drücken. Ich bin auch ein Deutscher, fürchte mich allerdings eher vor Rezession als vor Inflation. Im übrigen müssten Sie eigentlich Merkel kritisieren, weil sie anderen strikte Sparregeln verordnet, sich selbst aber nicht daran hält. in Deutschland steigt die Neuverschuldung – und das im “Aufschwung XXL”…
Christian
8. Dezember 2011 @ 10:47
Ich kann Ihre grund-negative Einstellung zu diesem Thema nicht ganz nachvollziehen. Ihr Beitrag suggeriert ja durch die Blume, dass die übermäßige Staatsverschuldung und das exzessive Schuldenmachen nicht (großer) Teil des Problems ist. Ich schreibe bewusst “Teil des Problems”, das es hier sicherlich nicht um schwarz/weiß Lösung geht. Die Alternative wäre doch den Geldhahn aufzudrehen. Was hätten wir dadurch gewonnen? Inflation, noch mehr neue Schulden, Altschulden im Wert (bzw. Gewichtung) gemindert… Oh ja, DAS schafft vertrauen bei Gläubigern! Es wird die Eine Lösung wohl nicht geben, allerdings kann ich gut nachvollziehen, dass wir als Kreditgeber für wackelnde Staaten durchaus auch auf diszipliniertes und nachhaltiges Haushalten (mit unserem Geld) bestehen dürfen! Das funktioniert im Kleinen mit Privatkrediten genauso, wie es auf internationaler Ebene funktionieren sollte.Auch interessant ist, dass Sie S&P als “Marktteilnehmer” sehen! So schlimm diese Vorstellung auch ist, so teile ich Sie mit Ihnen und glaube ebenfalls, dass hier auch politische/wirtschaftliche Interessen bei der gegenwärtigen Abwertungs-Welle gegen Europa eine nicht zu verharmlosende Rolle spielen.Ich jedenfalls drücke uns Deutschen die Daumen, dass der EU-Gipfel zugunsten einer schärferen Haushaltskontrolle und Spar-Verpflichtung der Euro-Länder zum Erfolg – und damit ein Stück näher zum Durchbruch in der Staatshaushaltskrise – führt.