(K)ein sicherer Hafen
Erst Griechenland, nun die Flüchtlinge: Zum zweiten Mal in nur sechs Wochen blickt ganz EUropa auf Deutschland. Der hässliche Deutsche ist vergessen, plötzlich gilt Berlin als Vorbild. Zu Recht?
Eigentlich ist meine Sommerserie über das “deutsche Europa” längst abgeschlossen. Doch nun hat Berlin schon wieder eine Art Führungsrolle inne. Nach der Finanz- geht es jetzt um die Innenpolitik.
Statt maximale Härte wie beim Griechenland-Gipfel scheint Kanzlerin Merkel diesmal maximale Milde walten zu lassen. Deutschland sei ein Vorbild, schreibt SPON, ganz Europa schaue auf Berlin.
Ganz Europa? Wohl kaum. Briten, Polen und Balten sehen Merkels Haltung mit Unbehagen. Griechen, Italiener und Spanier wundern sich: Wieso macht Deutschland plötzlich die Tore auf?
Das war nämlich lange ganz anders. Nach der Osterweiterung 2004 sperrte sich Berlin gegen Zuwanderung aus den neuen EU-Ländern. Damals war Großbritannien der große Profiteur.
Bequeme Mittellage
Als dann die Flüchtlingskrise begann, zog sich Deutschland auf seine bequeme Mittellage zurück. Da es nur von EU-Staaten umgeben ist, konnte kein Flüchtling zu uns, jedenfalls nicht offiziell.
Und noch vor ein paar Wochen entstand jenes berühmte Video, in dem Merkel einem weinenden Flüchtlingskind erklärt, dass es leider nicht im gelobten Schland bleiben kann. Schon vergessen?
Auch jetzt ist Deutschland kein sicherer Hafen, leider. Die Zahl fremdenfeindlicher Angriffe steigt seit Jahren. Und die Politik, die derzeit so menschlich wirkt, bereitet schon den nächsten Coup vor.
Mit Quoten raus aus Deutschland
Mit “sicheren” Herkunftsländern und “Hot spots” zur Registrierung soll der Zustrom gestoppt werden. Mit Quoten will Berlin die Ankömmlinge dann auf ganz EUropa verteilen – raus aus Deutschland.
Und mit Hilfe von “Dublin” soll die Last der Flüchtlinge wieder auf die Mittelmeer-Anrainer – und auf Länder wie Ungarn – abgewälzt werden. Dublin gelte weiter, erklärte Merkel trotzig, wenn auch reichlich spät.
Die EU wird so mal wieder für deutsche Interessen eingespannt. Das ist legitim, aber nicht gut. Besser wäre es gewesen, wenn Merkel schon früher ihre harte Haltung in der Einwanderungspolitik überdacht hätte.
Stattdessen hat sie jahrelang alle Appelle aus Italien, Griechenland, Spanien und sogar Frankreich abgeblockt. Und wer hat nochmal die Mittelmeerunion verhindert?
armin
3. September 2015 @ 22:50
Ich denke wir reden hier ueber Nebensaechlichkeiten. Wir haben es mit einer biblischen Voelkerwanderung zu tun, die gerade erst begonnen hat. Einige Geldgeber scheinen ein grosses Interesse an dieser Situation zu haben. Im Moment kommen vorwiegend junge Maenner, sozusagen als Vorhut. Ich schaetze, wenn wir dieses Jahr 1 Mio. aufnehmen, kommen naechstes Jahr 5 bis 20 Mio. Aus Afrika und Asien kommen gerne ein paar hundert Millionen. Das sprengt das System bis zum Buergerkrieg.
Johannes
3. September 2015 @ 17:22
Schengen ist am Ende, es muss ausgesetzt werden.
Das wars dann mit der Freizügigkeit, die EU ist ja scheinbar bereit für die Flüchtlinge das Schenhenabkommen zu opfern, sonst müssten sich JETZT eingreifen, das lehnen sie ab, sie wollen Deutschland alle Flüchtlinge überlassen, wohlwissend, das sie damit Schengen opfern könnten!
Ist diese Haltung nicht anti-europäisch und fremdenfeindlich???
Griechenland wird ja jetzt hoffentlich als Reaktion aus dem Euro gekickt, oder, die haben jetzt absolut keine Solidarität mehr verdient.
Wo sind die SPD Politiker eigentlich, die sonst immer von Solidarität fasseln?
popper
3. September 2015 @ 11:07
@S.B.
Sie sitzen wie so viele in D einem Narrativ auf, das da heißt: Deutschland zahlt für die anderen. Doch Deutschland zahlt eben nicht, sondern verdient an den Schulden der anderen. Das Ausland zahlt für ein geradezu mickriges deutsches Wachstum durch seine Exportdefizite. Damit D Exportweltmeister bleiben kann, ist es notwendig, dass sich das Ausland bei uns mit über 200 Mrd. jährlich verschuldet. Diese Art von Führung und/oder Vormacht braucht in Europa wirklich niemand. Denn entgegen neoliberaler Marktschreier, ist dieses unter deutscher Federführung oktroyierte Geschäftsmodell logisch in einer Sackgasse. Und wenn alle Länder in Europa ihre Bilanzen kaputtgespart haben und unsere Funktionseliten im Tal der Dumpinglöhne und TTIP ihre Sektkorken knallen lassen, wird der Rest der Welt seine Währungen abwerten und die Träumer in Brüssel und D am langen Arm der Deflation verhungern lassen.
S.B.
3. September 2015 @ 20:44
@Popper: Die Schulden, die das europäische Ausland bei D hat, werden allesamt auszubuchen sein. Dann ist Ihre allein auf die Zinsen ausgerichtete Argumentation für die Katz.
Oder was meinen Sie, was ohne das dritte “Hilfspaket” gerade mit den GR-Schulden passiert wäre?
Vergessen Sie die mickrigen Zinsen. Die deutschen Auslandsguthaben sind defacto weg. Als zählt D und kassiert nicht.
S.B
2. September 2015 @ 16:55
@ebo: Ich habe den Eindruck, Deutschland kann machen, was es will, es kann es Ihnen aber nie recht machen. Das gilt für die Eurokrise genauso, wie aktuell für die Flüchtlingsfrage. Im Gegenzug kommen alle anderen Eurostaaten immer recht gut weg in Ihren Artikeln, wobei zu denen ohnehin sehr wenig Aussagen kommen. Täuscht mich mein Eindruck? Wenn nein: Warum ist das so? Ihr Blog heißt ja nicht “Lost in Germany”, sondern “Lost in Europe”. Da könnte der Betrachtungswinkel ruhig etwas mehr über Deutschland hinausgehen. Nichts für ungut…
ebo
2. September 2015 @ 21:32
S.B. Dieser Blog ist voller Artikel zu Frankreich, Griechenland, Belgien, Großbritannien, zuletzt sogar Portugal. Wo kommen diese Länder “gut weg”? – Was DE betrifft: Als neue europäische Vormacht steht es in einem EU-Blog natürlich im Fokus. Dass Merkel vor einer Woche eine 180-Grad-Wende in der Flüchtlingspolitik vollzogen hat, dürfte auch Ihnen nicht verborgen geblieben sein. Das war gut so, wurde aber gleich durch den Patzer mit den syrischen Flüchtlingen verdorben – nun schicken Ungarn, Österreich und Tschechien die Syrer ungeprüft weiter. Übrigens ist die neue deutsche Hilfsbereitschaft weniger der Politik, als der Zivilgesellschaft zu danken. Der Staat wirkt zunehmend überfordert bis abwesend, auch in Berlin!
Peter Nemschak
3. September 2015 @ 08:12
Auch in Österreich war die Zivilgesellschaft federführend gegenüber der Politik, die hilflos war und Angst vor dem Rechtspopulismus hat. Jetzt beginnen sich die Dinge zu bewegen. Die UNHCR kritisiert nach wie vor Italien und Griechenland bezüglich Versäumnisse bei der Erstregistrierung. Das zeigt, dass die Effizienz der Verwaltungen im Süden systematisch mehr schlecht als recht ist. Das ist nicht in erster Linie eine Geldfrage, die sich mit europäischer Hilfe lösen lässt, sondern Teil des dortigen korrupten politischen Systems. Womit sind die unter Syriza wieder eingestellten Beamten beschäftigt worden? Vermutlich nicht mit der Bewältigung der Einreiseformalitäten für Flüchtlinge.
S.B
3. September 2015 @ 08:43
Vor welchem Hintergrund sehen Sie D als “neue europäische Vormacht”? Zu welchem Zweck soll das gut sein? Wie soll diese Vormachtstellung inhaltlich gestaltet sein: nur für die anderen zahlen oder auch politische Führung? Wenn auch politische Führung, warum krtisieren Sie diese permanent in jeder Hinsicht, wenn D Ihrer Ansicht nach die “neue europäische Vormacht” ist? Was erwarten Sie von D für eine Poltik, außer eben eine deutsche? Warum überhaupt soll D eine derartige Vormacht-Verantwortung in einem Umfeld, das sich im Übrigen IN NICHTS EINIG IST (abgesehen von der Umverteilung aus D heraus), übernehmen.
Also mir wird bei solchen (Vor-) Machtphantasien ehrlich gesagt sehr unwohl. Und ich kann mir nicht vorstellen, dass irgendein europäisches Land (offiziell) eine deutsche Vormachtstellung in Europa begrüßen oder gar fordern würde. Es sei denn, wenn es ums Zahlen für die anderen geht.
Peter Nemschak
2. September 2015 @ 13:35
Nachdem die Kommission bisher nichts wirklich auf die Reihe gebracht hat, musste jemand die Initiative an sich ziehen. Dass Deutschland seine Führungsrolle in der EU endlich wahrnimmt, ist ermutigend. Vorgedrängt hat sich keines der anderen EU-Mitglieder, wenn es darum ging diese heiße Kartoffel aus dem Feuer zu holen. Die meisten haben sich weggeduckt. Die Kritik, die mit der Vorgehensweise Deutschlands verbunden ist, sollte Deutschland nicht abhalten. Für die meisten EU-Mitglieder ist die Kommission Juniorpartner der nationalen Regierungen im Gefüge der EU.
GS
2. September 2015 @ 11:14
Deutschland hat gar keine Führungsrolle, denn, anders als in der Eurofrage, ist Deutschland hier tatsächlich isoliert.
Die Position der anderen Länder ist doch ganz einfach: Wir wollen mit diesen Flüchtlingsmassen nichts zu tun haben. Es gibt in der EU neben Deutschland nur zwei andere Länder, die sich anders verhalten und zumindest in Österreich wird zunehmend deutlich, dass dort auch die Euphorie bröckelt. Auch der deutsche politische und mediale Diskurs scheint völlig entrückt zu sein. Warum fragt sich eigentlich hierzulande niemand, warum die meisten Mitgliedsstaaten überhaupt keine Lust verspüren, Flüchtlinge aufzunehmen?