Käse aus Holland
Der britische Premier Cameron fordert von der EU weitere Ausnahmeregeln für sein Land. Was er damit genau meint, will er in einer europapolitischen Grundsatzrede erläutern. Doch in Brüssel rechnet niemand mit einem großen Wurf. Der „Brexit“ hat seinen Schrecken verloren, Cameron ist nicht Churchill.
Man stelle sich einmal vor, Frankreich stecke tief in der Krise. Im letzten Quartal sei die Wirtschaft um 1,2 Prozent geschrumpft. Wegen des harten Sparkurses sei die Regierung, an der auch die rechtsextreme Front National beteiligt war, zerbrochen. Die neue Regierung habe den britischen Premier Cameron eingeladen, seine europakritische Rede in Paris zu halten.
Ein Aufschrei der Empörung wäre die Folge. „Platzt jetzt die Zeitbombe?“, würde der „Economist“ höhnisch fragen und ein zerbrochenes Baguette zeigen. „Hollande verrät Deutschland und Europa“, würde SPON titeln. Und die Bundesregierung würde sich von all dem distanzieren und betonen, dass man ja auch noch andere gute Partner in Europa habe, zum Beispiel Polen.
Bald wird Cameron reden – allerdings nicht in Frankreich, sondern in den Niederlanden, in Amsterdam. Doch Politik & Medien finden kein einziges böses Wort zu dem merkwürdigen Spektakel in Amsterdam, nicht einmal ein kritisches. Sie ziehen nur ein wenig über Cameron her – aber auch nur vorsichtig, schließlich will die Bundesregierung den Briten ja nicht vergraulen.
Cameron sucht sich Deutschlands treuesten Verbündeten aus
Dabei versucht Cameron mit seinem Auftritt in Amsterdam ganz offensichtlich zu zeigen, dass er nicht isoliert ist in Europa. Ausgerechnet die Niederlande hat er sich für seine europapolitische Grundsatzrede ausgesucht, den treusten Verbündeten Deutschlands, der sogar den Chef der Eurogruppe stellen soll.
Zugleich ist es das Land aus dem Kern der Eurozone, das am tiefsten in der Krise steckt (siehe „EU knöpft sich Niederlande vor“). Und eines, das seit dem „Nein“ zur EU-Verfassung immer mehr auf Distanz zur EU geht, wie sogar die FAZ einräumt. „Weniger Europa für alle“ sei das Motto von Premier Rutte, schreibt das Blatt.
Allerdings glaube ich nicht, dass Cameron die Niederländer auf seine Seite ziehen wird. Er will sich lediglich eine europäische Bühne verschaffen, um seine EU-skeptischen Landsleute davon zu überzeugen, dass man auch drüben auf dem Kontinent noch auf ihn hört.
Doch auch das dürfte – folgt man dem „Guardian“ – schiefgehen. Cameron ist eben nicht Churchill, er wirke eher wie ein Gefangener seiner eigenen Politik, schreibt das Londoner Blatt.
Eine wegweisende Rede erwarte auch ich nicht, eher englischen Käse aus Holland. Dennoch werde auch ich aufmerksam zuhören.
Wird der Euro zur Geisel der britischen Innenpolitik?
Mir geht es vor allem um zwei Punkte: Wird Cameron seine Drohung wiederholen, die Reform der Eurozone als Hebel für Zugeständnisse an London zu nutzen?Wenn ja, dann kommen turbulente Zeiten auf uns zu, denn dann könnte die Euro-Stützung zur Geisel der britischen Innenpolitik werden.
Und wie fallen die Reaktionen in Deutschland aus? Unterstützt Merkel Camerons Agenda, allen verbalen Distanzierungen zum Trotz? Deutet sich gar eine neue neoliberale Achse Berlin-Den Haag-London an, wie ich bereits in diesem Blog spekuliert habe („Camerons Drohung“)? Die Reaktionen könnten es zeigen…
P.S. Cameron hat seine Rede wegen des Geiseldramas in Algerien auf einen unbekannten Zeitpunkt verschoben.
Otto
19. Januar 2013 @ 19:04
Sehe daran nichts falsch Gespieltes.
Und das Kernziel der meisten Netto-Zahler wird erreicht werden. Die britische Position innerhalb dieses Clubs war von Anfang an zu extrem, um als Blaupause für einen Kompromiss zu dienen, allerdings nützlich um gegenüber der Bettelhut-in-der-Hand -Truppe (Spanien, Polen, Europaparlament, etc etc) als Schreckgespenst zu dienen.
Der Deal im Februar wird sich in dem Bereich bewegen, den Merkel & Friends von Anfang an wollten. Nicht ganz so niedrig wie das UK träumt, aber doch einen gehörigen Dämpfer für die Netto-Empfänger und Träumer aus der Straßburger Quasselbude. Und ganz nebenbei kann man das eigene Interesse als fairen Ausgleichsdeal zwischen den Extrempositionen der anderen verkaufen.
Natürlich wird das Budget so manche fette Kröte enthalten, die Franzosen kürzen wie üblich ja lieber Investitionen in Forschung & Entwicklung als Subventionen für ihre Zukunftsbranche Nummer 1, die ach so wichtige Landwirtschaft.
Aber das ist das übliche Brüssler Kasperltheater. Wer sinnvolle Planung erwartet hat die letzten 30 (40? 50?) Jahre wohl nicht aufgepasst…
ebo
19. Januar 2013 @ 18:26
@otto Sorry, aber beim Budget-Gipfel hat Merkel falsch gespielt. Sie ließ erst streuen, dass man einen Deal ohne Cameron machen werde, was zu groß aufgemachten Artikel z.B. in der „Welt“ führte. Der Entwurf Van Rompuy sei nahe an der „Zielzone“, hieß es weiter in Berlin. doch auf dem Gipfel ging sie dann plötzlich auf Schmusekurs… den sie beim nächsten Gipfel Anfang Februar wahrscheinlich wieder verlässt, denn inzwischen hat sich Merkel mit Hollande über die Grundlinien des nächsten EU-Budgets verständigt!
Otto
19. Januar 2013 @ 17:37
Das UK ist ein wichtiges Gegengewicht zum französischen Dirigismus und zu dem ganzen toten Fleisch des Club Med. Es war ein richtiger Schritt von Angela Merkel beim Budget-Gipfel im Dezember die schäbigen Versuche von van Rompoy & Co, die Briten zu isolieren, gleich im Keim zu ersticken.
Allerdings, der € „Geisel britischer Innenpolitik“? Wohl kaum. Nicht mal Cameron selbst misst seinen Veto-Drohungen diese Kraft zu. (vermute ich; obwohl man die politische Klugheit der Akteure der Spitzenpolitik vielleicht auch nicht überschätzen sollte)
Er ist momentan sowohl innenpolitisch wie auch innerparteilich extrem schwach aufgestellt, damit ist eigentlich schon das meiste erklärt.
Trotzdem ist (sollte) ihm klar: Das mit dem Veto ist der klassische Fall des „empty threat“.
Wenn es hart auf hart kommt, schafft die Eurozone einfach parallele/neue Strukturen, ob gerade noch so (semi)-legal über enhanced coop oder notfalls auch in de jure Verletzung der EU-Verträge wäre dann auch schon egal.
Maastricht hat eine EU verschiedener Geschwindigkeiten zementiert und erzwingt gleichzeitig eine Umwälzung institutionelller Strukturen innerhalb der Eurozone (und sehr wahrscheinlich darüber hinaus) von nie dagewesenem Ausmaß.
Ob die Väter dieses Schandvertrags letztlich die Totengräber der EU sein werden, bleibt abzuwarten. Vielleicht vielleicht geht alles gut und sowohl Demokratie als auch Wohlstand bleiben einigermaßen erhalten.
Die Risiken sind allerdings enorm. Und mit der Zukunft des Kontinents so fahrlässig Vabanque gespielt zu haben, ob aus blindem Idealismus gepaart mit völliger ökonomischer Ignoranz (Kohl) oder aus technokratisch-soziopathischer Attitüde (Delors und viele andere), bleibt das Erbe der Erzeuger der Maastrichter Mißgeburt.
Johannes
18. Januar 2013 @ 18:17
„… dann könnte die Euro-Stützung zur Geisel der britischen Innenpolitik werden.“ Oh, wir, der Norden sind schon eine Geisel des Südens, mein Gott, dann werden wir von England halt auch noch erpresst. Ob ein Land mehr oder weniger, mein Gott, was solls.
Unter Euro-Freunden erpresst man sich eben, warum dann nicht in ganz Europa?!
ebo
18. Januar 2013 @ 18:35
@johannes Wieso sind wir Geisel des Südens? Griechenland hat letztes Jahr mehr als 6 Monate auf die Hilfskredite gewartet, die Merkel & Co. versprochen hatten. Das Geld geht auf ein Sperrkonto, während Schäuble die Zinsen abkassiert und noch dazu Prämien dafür bekommt, dass er sich neu verschuldet.
Johannes
18. Januar 2013 @ 19:34
Zahlt der Norden nicht, ist der Euro Geschichte, so geht das Spielchen schon seit Jahren. Gerne wir auch das Wort „Dominoeffekt“ in dem Mund genommen. Wenn deine Euro-Bonds da sind, kann der Süden uns noch besser erpressen, weil wir noch mehr Schulden übernehmen.
6 Monate gewartet, und dennoch Geld bekommen obwohl nicht alle Bedingungen erfüllt wurden, Mensch, wie haben die Griechen das nur geschafft?
Ebo, auch durch deine Berichterstattung festigst du das Bild bei uns Bürgern, dass der Süden doch nur unser Geld/Vermögen haben will. Praktisch jeden Tag muss man aus dem Süden oder Brüssel hören, der Deutsche solle endlich den Blankocheck durch Bonds und andere Dinge ausstellen.
Man reagiert auf deine Texte schon reflexartig, es geht ja doch nur ums Geld. Für den Euro mussten wir Deutsche uns fit sparen und kürzer treten, haben wir getan, und jetzt wieder? Wir retten den Süden und dann werden wir von denen und von dir beschimpft, weil wir auch noch Bedingungen stellen. Geld umsonst, ohne Bedingungen, ist das denn zu viel verlangt? Für uns, die die Party bezahlen müssen, JA.
Ich bins leid, der Süden will uns fertig machen und auf deren Seite sieht man die Schuld ja auch nur bei uns Deuschen, nicht im eigenen Versagen. Die Schuld auf andere schieben, Verantwortung/Schulden nicht übernehmen, das können WIR auch. Ich fange damit jetzt an, wie du mir, so ich dir.
Geld auf ein Sprerrkonto, wie böse, die Politiker in GR sind doch die ehrlichsten der Welt. Ich habe ja so viel Mitleid.
Beate Baumgart
18. Januar 2013 @ 12:50
Nicht WO jemand redet, ist wichtig, sondern WAS er sagt!
ebo
18. Januar 2013 @ 14:08
Stimmt, aber warum sagt er es nicht in London? Warum nicht in Brüssel? Die Wahl Amsterdams ist nicht zufällig…