Kann diese Türkei Europas Partner sein?
Der Pakt mit Erdogan soll ab Montag in die Tat umgesetzt werden. Dann werden hunderte Flüchtlinge – auch Asylberechtigte aus Syrien – in die Türkei abgeschoben, wo der Sultan die Presse zensiert.
Lässt Europa sich zu viel gefallen, weil die Türkei die Flüchtlinge stoppt? Ist der der Flüchtlingspakt eine sinnvolle Lösung? Und wie steht es um Menschenrechte und Rechtsstaat in der Türkei?
Über diese Fragen diskutiere ich am Sonntag im WDR-Presseclub – gemeinsam mit C. Gammelin von der “Süddeutschen”, H. Kazim vom “Spiegel” und A. Külahçi von “Hürriyet”.
Es wird sicher eine spannende Debatte. Dennoch noch funktioniert der deutsche Deal mit dem Sultan nicht, noch kann die EU “Stopp” rufen und sich eines Besseren besinnen…
Mehr zur Sendung im Presseclub hier, zum Türkei-Deal hier. Siehe zu diesem Thema auch meine aktuelle Umfrage:
[polldaddy poll=9371716]
Klaus
3. April 2016 @ 10:07
Diese Türkei MUß partner von Europa und dem gesamten Westen sein.
Will man für den Syrien Konflikt wirklich handhabbare Kompromisse finden ist die Türkei als großes Anrainerstaat ein wichtiger Akteur.
Alle ultra-radikalisierten Gutmenschen sollten dies zur Kenntnis nehmen.
Erdogan muß weg – keine Frage. Wer jedoch die Türkei isoliert isoliert auch alle demokratischen und gemäßigt religiösen Kräfte. Un die brauchen wirklich Unterstützung
Für den Flüchtlingsdeal gilt – Europa muß jetzt wirklich legale Einreisekontingente umsetzen. Zur Not muß Deutschland vorangehen.
Freie und unkontrolierte Grenzen für Migration sind nicht die Lösung
kaush
3. April 2016 @ 13:55
Anrainerstaat, Akteur… Nette Umschreibung für Kriegspartei und einer der wichtigsten Unterstützer des IS.
kaush
3. April 2016 @ 06:57
Wenn man sich nur einmal diese Fakten zu Gemüte führt:
Im Juni 2015 kann die UN die Flüchtlinge nicht mehr ausreichend mit Nahrungsmittel versorgen, weil 139 Mio. Dollar fehlen. Sie wurden nicht gezahlt. Unter anderem auch von Deutschland nicht!
Das vergrößert die Not der Flüchtlinge dramatisch.
Anfang September 2015 öffnet Merkel den Flüchtlingen Tür und Tor, spricht eine Einladung aus und löst damit endgültig den massiven Zustrom nach Deutschland und Europa aus.
Jetzt soll die Türkei 6 Mrd. (6.000 Mio.) Euro dafür bekommen, dass wir aus der Türkei und von der Türkei selektierte Flüchtlinge (?) aufnehmen.
Nochmal: Letztes Jahr wurden 139 Mio. Dollar nicht gezahlt, jetzt sollen 6.000 Mio. Euro fließen!!!
Das kann ich durchaus so interpretieren:
Deutschland unterstützt die Türkei in ihrem Krieg gegen Syrien und die Kurden politisch, strategisch (durch die Entvölkerung Syriens) und natürlich massiv finanziell.
akademischer Realist
2. April 2016 @ 15:05
Vertragspartner kann man sich nicht immer aussuchen. Nicht selten sind diese Diktaturen, welche auch in der UN gleichberechtigt sind. So verhandelt die EU auch mit Russland, China, Iran & KSA in der ISSG zu Syrien:
Demokratieindex 2014:
Platz 1-167 / Staat / Punkte 0-10
Hybridregime 4-5,99
98 Türkei 5,12
autoritäre Regime 0-3,99
116 Marokko 4,00
132 Russland 3,39
144 China 3,00
158 Iran 1,98
161 Saudi-Arabien 1,82
163 Syrien 1,74
https://de.wikipedia.org/wiki/Demokratieindex
—
Das EU-Marokko-Abkommen wird nicht kritisiert. Es ist juristisch nicht anfechtbar. Dafür kommen keine/kaum Flüchtlinge nach Spanien. Das wäre eine gute Blaupause für die Türkei.
Bevor ein Flüchtling irregulär über die “grüne Grenze” ohne Grenzkontrolle in die EU einreisen kann, reist er illegal aus einem Nicht-EU-Land aus, weil er gegen dessen Ausreisebestimmungen bzgl. Personen- und Warenverkehr verstößt. Das Nicht-EU-Land darf Flüchtlinge ganz legal an der Ausreise hindern.
Die EU muss nur mit Schulung und Ausrüstung die Grenzpolizei in die Lage zur effektiven Grenzkontrolle versetzen. Man vereinbart Entwicklungshilfe oder Wirtschaftsförderung damit beide Seiten profitieren.
Menschenrechtsverstöße betreffen dann nur das souveräne Nicht-EU-Land.
—
Der Deal mit der Türkei hat 2 zusätzliche Herausforderungen zu bewältigen:
1. Die Türkei möchte einen Teil seiner 3 Mio. Flüchtlinge in die EU übersiedeln.
2. Die Hardliner der EU-Staaten verweigern die EU-Verteilung, Lastenteilung und wollen Flüchtlinge medienwirksam abschrecken und abschieben.
Für die Abschiebung benötigt die EU das Konstrukt “sicherer Drittstaat”, welches wg. des Refoulementverbots juristisch zweifelhaft bis anfechtbar ist. Die Schwachstelle des Abkommens existiert aufgrund der Forderung der Hardliner!
Die Türkei ist nicht mehr stark, weil sie nur noch mit dem Westen, EU, USA und NATO gute Kontakte hat. Im arabischen Frühling verspielten sie ihre Kontakte in MENA. Mit dem Abschuss des russ. Jets im Oktober 2015 sind die Beziehungen zu Russland eingefroren. Auch wegen des Kriegs mit der PKK und Terroranschlägen bleiben Touristen aus. Mit wem will die Türkei noch Handel treiben?
Würde man Dublin durch eine (finanzielle) Lastenverteilung ersetzen, könnte man auch bis zu 3 Mio. Flüchtlinge aus der Türkei übersiedeln und wäre nicht erpressbar. Vielmehr müsste Erdogan seine Ansprüche senken, wenn er die Visabefreiung und Fortsetzung der Beitrittsverhandlungen erreichen wollte.
—
Fazit:
Sobald sich die EU-Staaten intern auf eine gerechte Nachfolge von Dublin einigen, lösen sie das Problem aller denkbaren Türkeirouten ganz legal und rechtskonform wie mit Marokko.
Es liegt einzig an den Staaten der EU, ob sie aus einer Position der Stärke heraus verhandelt und ob sie ein rechtskonformes Abkommen abschließt.
Peter Nemschak
2. April 2016 @ 13:55
@ebo Die bisher abgelehnte Obergrenze wird sich einstellen, sobald die Aufnahmewilligkeit der Mitgliedsländer erschöpft ist; und das relativ bald. Der abschreckende Deal mit der Türkei wird den Flüchtlingsstrom verlangsamen, mit einigem Glück so lange, bis Syrien nachhaltiger zur Ruhe kommt. Dass im Nildelta Schlepperorganisationen ungestört auf Kunden, diesmal hauptsächlich aus Libyen, warten können, wird von der NATO-Flotte bisher ignoriert. Mit Ägypten, einem der letzten relativ sicheren Bollwerke in der Region, möchten sich weder die USA noch die EU anlegen. El-Sisi hat seine Schutzgeldforderungen bisher noch nicht auf den Tisch gelegt.
Johannes
2. April 2016 @ 13:41
Rechtsstaat, der spielt beim Euro keine Rolle mehr, das finden viele auf diesem Blog auch noch gut. Und wollen die Gesetze noch stärker brechen. Ich nicht. Jetzt aber plötzlich nach dem Rechtsstaat schreien ist mehr als peinlich und hat absolut keine Glaubwürdigkeit mehr.
Davon abgesehen, die Sp….. in Brüssel haben doch gar keine andere Wahl. Und jeder hier weiß, Deutschland wird den Großteil der Rechnung für ALLE ANDEREN IN DER EU übernehmen. Wir Deutschen sind, wie immer, die Zahlmeister. Aber dafür sind wir ja da, in der EU, zum zahlen 😉
Und alle Griechenlandfans sollten sich freuen, Griechenland hat jetzt das ultimative Druckmittel gegen Deutschland. Und SPD und CDU werden definitiv einknicken.
Peter Nemschak
2. April 2016 @ 11:37
Das primäre Ziel des Deals mit der Türkei besteht darin, potentielle Flüchtlinge aus der Region nach Europa abzuschrecken. Warum sollte er gestoppt werden, bevor er überhaupt noch richtig wirksam geworden ist? Viele denken insgeheim: je abschreckender desto besser. Das Aufheulen der verschiedenen NGOs ist einkalkuliert.
ebo
2. April 2016 @ 11:46
Der Deal sollte gestoppt werden und ausgesetzt bleiben, bis die Vorwürfe von Amnesty geprüft sind. Das fordert übrigens auch der Chef der Liberalen im Europaparlament: http://mailer.alde.eu/display.php?M=127309&C=c8d4f2e598937e30f58f82b1dc9b2a75&S=4116&L=2&N=2669
Peter Nemschak
2. April 2016 @ 13:21
Das glaube ich Ihnen aufs Wort. Nur kann ich kann mir durchaus vorstellen, dass die schweigende Mehrheit der Wähler froh wäre, wenn keine zusätzlichen Flüchtlinge in die EU kämen und den Deal mit der Türkei danach beurteilen, ob er diesen Zweck erfüllt.
ebo
2. April 2016 @ 13:23
Am Montag werden Sie es sehen, wenn die ersten “legalen” Flüchtlinge aus der Türkei in DE, NL und anderswo landen. Der Deal beinhaltet nämlich keineswegs einen Einwanderungs-Stopp, im Gegenteil!