Italien – Deutschland 2:0

LIVE-BLOG VOM EU-GIPFEL

21.30 Uhr. Merkel hat für 20 Uhr eine Pressekonferenz angekündigt, doch eine Stunde später ist sie immer noch nicht da. Der Presseraum gleicht einer deprimierten Sauna, denn mittlerweile führt Italien 1:0 beim Euro (Fußball). Als kurz darauf das 2:0 fällt, sagt Merkel kurzerhand ihr Pressestatement ab. Was natürlich die Frage aufwirft, ob sie wegen des Rückstands deprimiert ist, oder ob es andere, sachliche Gründe gibt…

Denn auch in der Politik macht Italien Druck. Premier Monti hat es offenbar fertiggebracht, Merkel dazu zu überreden, dass die Experten Optionen für einen Gipfelbeschluss ausarbeiten. Es geht immer noch um Interventionen auf dem Anleihemarkt. Doch nun zielt man offenbar sogar den Primärmarkt an; außerdem wird das “finnische Modell” (mit Pfandbriefen) geprüft. Wenn sich Monti durchsetzt, könnte die Eurozone zum ersten Mal gegen die Märkte vorgehen – und vielleicht sogar Italien retten…

Im Match gegen Frankreich hat sich die Lage dagegen spürbar verändert. Der britische Premier Cameron will sich nicht damit abfinden, dass das Patentgericht nach Paris wandert und rollt die ganze Debatte wieder auf. Wenn es stimmt, was Diplomaten berichten, dann befassen sich die Chefs nun nicht mehr mit der Eurokrise, sondern mit dem seit Jahrzehnten schwelenden Patentstreit. Selbst der tolle Wachstumspakt wird deshalb auf die lange Bank geschoben, desolé, Mr. Hollande!

Noch weniger Bedeutung messen die Chefs Griechenland bei. Vor zwei Wochen wäre beinahe die ganze Welt aus den Fugen geraten, weil die Griechen wählen – und nun kümmert sich niemand mehr um sie. So landet auch ein Brief des neuen Premiers Samaras in der Ablage – zu Recht, wie ich finde. Hier der Wortlaut aus “AthenNews”:

“As I have already informed you, I will unfortunately not be able to attend the current European Summit, due to an eye operation I had to undergo. Greece will be represented by the President of the Hellenic Republic, Mr. Karolos Papoulias.

With this letter I would like to reassure you that Greece is absolutely determined to fulfill its obligations emanating from the recent bail-out agreement.

The new Government of Greece accepts ownership of the adjustment Programme and is fully committed to its targets, its objectives and all its key policies.

I will speed up the implementation of the Programme with special emphasis on the Privatisation agenda.

Of course, there is a question of some necessary modifications to the Programme in order to control unprecedented unemployment and halt the devastating recession Greece is going through for the fifth consecutive year. This would also ensure that all targets are met.

I am looking forward to meeting you, as soon as my medical doctors allow me to travel.”

18.00 Uhr. Finanzminister Schäuble wird bis auf weiteres nicht Chef der Eurogruppe. Nachdem Paris erfolgreich ein Veto eingelegt hatte, soll nun Amtsinhaber Juncker weitermachen – wie lange, weiß keiner. Frankreich kann sich offenbar auch im Streit um den Sitz des EU-Patentgerichts durchsetzen: es soll nach Paris ziehen – und nicht nach München, wie die Bundesregierung wünschte.

Auch im Match gegen Italien sieht es nicht gut aus für Deutschland. Merkel hat sich mit ihren Warnungen vor “Panikmache” und ihrer Besserwisserei, was den Zinsdruck betrifft, nicht beliebt gemacht. “Die Zinssätze schwanken” – so eine Bemerkung ist in Zeiten, in denen die Spekulation halb Südeuropa hinwegzufegen droht, eine Provokation. Oder besser: eine Einladung, auch mal die “tödliche” Sieben-Prozent-Grenze zu testen.

Sollte es so tatsächlich weit kommen, träfe Merkel eine enorme Mitschuld – so wie in Spanien, wo ihr Drängen auf einen Rettungsantrag (“Breaking the rules”) und ihr Beharren auf die Abwicklung über den Staat dazu führte, dass die Märkte nun untragbare Rekordzinsen für Staatsanleihen fordern. Versteht Merkel diesen fatalen Marktmechanismus nicht, oder spielt sie bewußt mit dem Feuer? Jetzt lässt sie, wie man hört, erstmal ihre Experten ran… 

15.30 Uhr. Der EU-Gipfel hat begonnen, Ratspräsident Van Rompuy läßt die Glocke läuten. Zuvor ist EU-Parlamentspräsident Schulz, ein SPD-Mann, den EU-Granden in den Rücken gefallen und hat sich gegen Eurobonds ausgesprochen. Man solle die Bond-Debatte beenden und sich auf einen Schuldentilgungsfonds konzentrieren. Das ist zwar auch die offizielle Haltung des Parlaments. Doch indirekt stärkt Schulz damit Merkel den Rücken – wie die SPD daheim in Berlin.

Derweil zeichnet sich in Brüssel ab, das der Gipfel von der Krise in Spanien und Italien und dem Streit über eine mögliche Intervention der Eurozone beherrscht wird. Premier Monti fordert, dass der Euro-Rettungsschirm italienische Staatsanleihen aufkaufen soll, um den Kurs zu stützen und die Zinsen zu senken. Merkel will, dass Italien dafür einen offiziellen Hilfsantrag stellt und sich strikten Bedingungen unterwirft, Monti weist dies zurück.

Seine Regierung habe alle geforderten Reformen gemacht und leide unter spekulativen Attacken, so der Italiener. Doch Merkel bleibt hart, jedenfalls vorerst. Unterstützt wird sie wie üblich von Finnland, das vorschlägt, Italien und Spanien könnten ja besicherte Bonds ausgeben. Der dritte traditionelle Hardliner, die Niederlande, halten sich diesmal zurück. Das Land kämpft mit einer Immobilien- und Bankenkrise und könnte bald selbst in den Fokus der Märkte geraten…

14.30 Uhr. Finanzminister Schäuble sorgt für Aufregung. In einemInterview mit dem “Wall Street Journal” hat er angedeutet, dass sich Deutschland doch auf Eurobonds einlassen könnte – also jenes “Teufelszeug” (Brüderle), das Kanzlerin Merkel ausgeschlossen hat “solange ich lebe”. Hier die entscheidende Passage:

 

Mr. Schäuble said Germany could agree to some form of debt mutualization as soon as Berlin is convinced that the path toward establishing centralized European controls over national fiscal policy is irreversible. That could happen before full implementation of treaty changes.

“We have to be sure that a common fiscal policy would be irreversible and well coordinated. There will be no jointly guaranteed bonds without a common fiscal policy.

Doch kaum ist das Interview auf dem Markt, lässt Schäuble dementieren. Entweder hat er kalte Füsse bekommen, oder er ist von Merkel zurückgepfiffen worden. So oder so ist das peinlich für die Bundesregierung. Zum ersten Mal ist offenbar geworden, dass Schäuble und Merkel in dieser entscheidenden Frage nicht auf einer Wellenlänge liegen.

Das kommt nicht gut an in einem Moment, wo Merkel auf Konfrontationskurs zu Monti geht. Sie lässt dessen Warnungen vor zu hohen Zinsen für Italien als “Panikmache” denunzieren. Doch mit dieser Einschätzung steht sie ziemlich allein. Frankreichs Präsdient Hollande, der als erster im Gipfelgebäude eintrifft, steht auf Montis Seite. Beim Mittagessen der Eurogruppe am Freitag könnte es zum Showdown kommen.

13 Uhr. Der Gipfel beginnt erst am Nachmittag, Merkel wird gegen 14.30 Uhr erwartet. Doch im Brüsseler Ratsgebäude bläst ihr schon ein eisiger Wind entgegen. Viele Journalisten und Diplomaten sind empört über die harte Haltung, die Merkels Berater heute morgen noch einmal bekräftigt haben. Keine Eurobonds, keine direkte Stützung der spanischen Banken, keine Hilfe für Italien, heißt die Parole.

 

Nur den Wachstumspakt und eine Roadmap für die Euro-Reform soll dieser Gipfel beschließen. Der Wachstumspakt gießt alten Wein in neue Schläuche – sein Volumen von 130 Mrd. Euro wird die Konjunktur wohl nicht einmal in Griechenland beleben. Die Roadmap soll auf demMasterplan der Viererbande aufbauen, aber seiner Substanz entleert werden: Eine verbindliche Bankenunion will Merkel ebenso wenig wie Eurobonds – und sei es auch nur in zehn Jahren.

Dabei gibt es “keine Lösung dieser Krise ohne Vergemeinschaftung von Schulden”, wie G. Verhofstadt, Chef der Liberalen im Europaparlament, bekräftigt. Eurobonds würden mehr Liquidität im Markt und damit auch niedrigere Zinsen schaffen, sagt er nach einem “Gegen-Gipfel” der Spinelli-Gruppe, die mehr als 100 überzeugte Föderalisten im Europaparlament vereint. Zum Beweis verweist er auf die USA, die viel stärker verschuldet sind als Europa, aber nur halb so hohe Zinsen zahlen.

Dieser Meinung ist auch R. Prodi, der frühere EU-Kommissionschef aus Italien. Er fordert, die Eurozone müsse Rom zu Hilfe kommen, um die bedrohlich steigenden Zinsen auf dem Anleihmarkt zu drücken. Italiens Premier Monti habe die von Merkel geforderten Reformen geliefert, “mehr kann er nicht tun”, betont Prodi. Monti hatte zuvor vor einer “Katastrophe” gewarnt, sollte der EU-Gipfel ohne konkrete Hilfen für sein Land auseinandergehen.

Doch auch hier will Merkel hart bleiben. Neue Instrumente würden nicht gebraucht, Italien könne ja einen Hilfsantrag stellen und sich Geld aus dem Rettungsschirm EFSF besorgen, lautet die unversöhnliche deutsche Linie. Ob sie sich durchhalten lässt, ist offen: Nach einem Bericht der FTD diskutieren Experten bereits einen (noch) geheimen Krisenplan, um die Märkte zu beruhigen.


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