Gescheitert!? (III)
Noch vor zehn Jahren galt die EU als Erfolgs-Modell für die ganze Welt. Nun ist sie zum Krisenfall geworden. Wie konnte das passieren? Und ist EUropa schon gescheitert? Teil 3 einer dreiteiligen Serie.
[dropcap]D[/dropcap]ie Krise hat das EU-Parlament erfasst. Dort sitzen mehr EU-Gegner und Populisten denn je. Der französischen Rechtsauslegerin Marine Le Pen gelang es sogar, eine eigene Fraktion zu bilden.
Auch die britischen Konservativen, die dem „Brexit“ zuneigen, haben eine eigene Gruppe. Als Reaktion sind Christdemokraten, Sozialdemokraten und Liberale in einer großen Koalition zusammengerückt.
Das führt dazu, dass es in der Straßburger Kammer kaum noch eine vernehmliche, proeuropäische Opposition gibt.
Linke, Grüne und Unabhängige können sich nur selten Gehör verschaffen, über demokratische Alternativen zum heftig umstrittenen EU-Kurs wird kaum noch diskutiert.
Dies führt dazu, dass die europafeindlichen Populisten und Nationalisten noch mehr Zulauf bekommen – ein Teufelskreis.
Außerdem liegt die Macht in der EU nur noch in ganz wenigen Händen. Den engsten Zirkel bilden Juncker und Schulz, die sich eine für Brüsseler Verhältnisse ungewöhnliche Treue geschworen haben.
Juncker hat eine de-facto-Garantie, dass das Europaparlament ihm keine Probleme bereitet; im Gegenzug darf Schulz öfter in der ersten Reihe sitzen, als dies früher üblich war.
Um den Deal abzusichern, haben die beiden EU-Chefs noch Junckers Kommissionsvize Frits Timmermans sowie die beiden Vorsitzenden der größten Fraktionen, Manfred Weber (Konservative) und Gianni Pitella (Sozialdemokraten) eingebunden.
Die besten Witze der Stadt
Mindestens einmal im Monat trifft sich der „most exclusive dining club“ (das US-Portal Politico) in einem sündhaft teuren Hotelrestaurant im Europaviertel.
Dabei wird nicht nur die Agenda abgesteckt, sondern es werden auch „die besten Witze der Stadt“ erzählt, berichten Insider.
Die informelle „G-5“ hat unter anderem erreicht, dass ein Misstrauensantrag gegen Juncker wegen der Steueraffäre in Luxemburg abgeblockt wurde.
Auch die SPD gehört zum Macht-Zirkel
Es gibt aber noch einen anderen, kaum bekannten Macht-Zirkel: Den Parteivorstand der SPD. Denn auch hier hat Parlamentschef Schulz Sitz und Stimme.
Als Europa-Beauftragter der deutschen Sozialdemokraten trägt er Brüsseler Themen nach Berlin – und Berliner Beschlüsse nach Brüssel.
So kommt es, dass die Große Koalition in Europa oft so klingt und handelt wie jene in Deutschland…
Die beiden ersten Teile stehen hier und hier. Der gesamte Text ist als E-Book erschienen und kann hier geladen werden (0,99 Euro)
hlschmid
20. Juni 2016 @ 12:10
„Über demokratische Alternativen zum heftig umstrittenen EU-Kurs wird kaum noch diskutiert“. – Eine Möglichkeit für eine breite Diskussion der Bürgerinnen und Bürger in ganz Europa über demokratische Alternativen zum umstrittenen EU-Kurs bietet http://www.our-new-europe.eu !
Skyjumper
19. Juni 2016 @ 17:53
Unter objektiven Gesichtspunkten ist die EU nie ein Erfolgsmodell gewesen. Die EWG war ein Erfolgsmodell. Und dieses Erfolgsmodell begann zu scheitern als man anfing das System zu groß, und damit zu komplex, zu machen.
Die Gründung/Umbenennung in “EU” war der Versuch dieses beginnende Scheitern zu kaschieren und vielleicht doch noch in eine erneute Erfolgsstory umzudrehen. Dieser Versuch war mit der Einführung des Euro allerdings bereits zum Scheitern verurteilt.
Fast alles was wir heute tagtäglich aus Brüssel und Straßburg (und natürlich aus den nationalen Hauptstädten der Bigplayer) präsentiert bekommen kreist um Lösungsversuche für Probleme die es ohne EU und Euro gar nicht gäbe.
Peter Nemschak
19. Juni 2016 @ 17:50
Nur deshalb, weil der europäische Integrationsprozess derzeit stockt, kann man Europa nicht als gescheitert betrachten. Allerdings wird es gewisser Korrekturen bedürfen, um jene, die sich derzeit benachteiligt fühlen, wieder mehr einzubinden. Der Globalisierungs- und Modernisierungsschub der letzten 25 Jahre hat nicht nur Gewinner sondern auch Verlierer gebracht, obwohl die Entwicklung in Europa verglichen mit den USA weniger krass verlaufen ist. Europa ist nach wie vor wesentlich egalitärer als die USA. Hinsichtlich Elitenfeindlichkeit ist die EU kein Sonderfall. Die USA sehen sich diesbezüglich einem weit größerem Korrekturbedarf als Europa gegenüber; siehe den brillanten Essay von Francis Fukuyama “American Political Decay or Renewal?” The Meaning of the 2016 Election. in der aktuellen Ausgabe der Foreign Affairs. Die Parallelen der politischen Entwicklungen zwischen den USA und Europa sind ungeachtet aller Unterschiede bemerkenswert.
Skyjumper
19. Juni 2016 @ 20:55
” Der Globalisierungs- und Modernisierungsschub der letzten 25 Jahre hat nicht nur Gewinner sondern auch Verlierer gebracht,”
Ich würde gerne versuchen Ihren zitierten Gedanken räumlich und zeitlich etwas auszuweiten. Tatsächlich ist es doch so, dass die “Globalisierung” bereits seit der Antike vonstatten geht. Und tatsächlich ist es so, dass fast jede räumliche Ausweitung des Handels selbstverständlich auch örtliche Verlierer generiert hat. Auch jede Modernisierung hat immer auch Verlierer generiert. Das liegt also durchaus im Rahmen des Erwartbaren und dürfte auch unvermeidbar sein.
Tatsächlich ist es so, dass die alte Welt (sprich Europa) 2 x dicht vorm Untergang stand. Beim ersten Mal kam es durch eine Katastrophe “davon, nämlich die schwarze Pest die etwa 1/3 der Bevölkerung dahinraffte, beim zweiten Mal war es die Entdeckung und Ausbeutung der neuen Welt Amerika die eine erneute Katastrophe verhinderte und Europa stattdessen für 4 Jahrhunderte zum Nabel der Welt werden liess. Aus europäischer Sicht rettete uns die Globalisierung den Ar…
Tatsächlich ist der Aufstieg des Menschen, und die Vermeidung seines Untergangs, historisch gesehen untrennbar mit einem stetigen Globalisierungsprozess verbunden. Natürlich meinte Globalisierung ganz zu Anfang die nächste Stadt, später das nächste Reich, noch später den nächsten Kontinent.
Doch diesmal könnte es anders sein. Zum einen gab es noch nie so viele Verlierer, und, weitaus gravierender, so wenige Gewinner, eines Globalisierungsprozesses. Und zum anderen ist unser Planet begrenzt. Wohin wollen wir als nächstes globalisieren, nachdem dieser Schub vor dem Ende seiner Entwicklung steht? Welche Ressourcen wollen wir als nächstes ausplündern? Ich sehe noch nicht dass wir die Mittel hätten um für die nächst größere Ausdehnung der Globalisierung diesen Planeten zu verlassen. Ich sehe auch nicht den wissenschaftlichen Beleg dafür dass wir außerhalb unseres Planeten etwas, oder jemanden, treffen würden mit dem wir Handel treiben könnten, oder den wir ausbeuten könnten.
Mir ist bewußt, dass ich mit solchen Gedanken Gefahr laufe in etwas zu versinken was schon Generationen vor mir getan haben. Unangebrachten Zukunftspessimismus. Das ist wohl so ähnlich wie der Spruch “was soll bloß aus dieser Jugend mal werden?”. Allein, ich sehe zumindest im Moment nicht das Licht am Horizont.
Matthias
21. Juli 2016 @ 12:57
Diesen “unangebrachten Zukunftspessimismus” teile derzeit leider auch, obwohl ich bisher in meinem Leben eher auf der optimistischen Seite gestanden bin. Haben Sie schon eine Möglichkeit gefunden, damit umzugehen? Ich denke schon langsam ans Auswandern 🙁
Skyjumper
21. Juli 2016 @ 17:52
@ Matthias
Aber sicher habe ich diese Möglichkeit gefunden. Zum einen muß man sich klarmachen das seltenst etwas so heiß gegessen wie gekocht wird. Ich möchte Ihnen dafür 2 Beispiele aus der Vergangenheit geben:
a) In New York wurde ernsthaft und sorgenvoll darüber diskutiert dass die Stadt in Pferdescheiße ertrinken würde wenn es mit der Verkehrssteigerung so weiterginge wie bisher. Kurz danach begann das Auto seinen Siegeszug als Transportmittel und die Sorgen über Pferdescheiße erübrigten sich.
b) In den 1960-70ern wurde vehement diskutiert und (kostenträchtig) entwickelt um die Welt für die ganz ganz sicher erwartbare nächste Eiszeit zu wappnen. Bekannterweise bekamen wir keine Eiszeit, stattdessen diskutieren und entwickeln wir heute Konzepte um die Welt für die ganz ganz sicher erwartbare globale Erwärmung zu wappnen.
Was ich damit sagen will ist sicherlich klar. Bewahren Sie Ruhe, es kommt nur wenig so wie wir es erwarten.
Zum anderen ist das gefährlichste bei jeder drastischen Veränderung der Schock des unvorstellbaren. Mental auf etwas vorbereitet zu sein ist meistens schon die halbe Miete um mit den Folgen der Veränderung klar zu kommen. Es macht den Eindruck als hätten Sie diese Klippe bereits genommen 🙂
Zu Ihren Auswanderungsplan sollten Sie ins Kalkül ziehen, dass die Emotionen, die den Wirtschaftsflüchtlingen aus Afrika, Syrien etc. heute in Ungarn, Österreich, Deutschland, England usw. entgegenschlagen genau das ist, was SIE dann zu erwarten hätten. Bis auf im eigenen Land sind wir alle nun mal an allen anderen Orten der Erde Migranten. Manch haßverseuchter “Bewahrer des Abendlandes” sollte sich das übrigens gleichfalls zu Gemüte führen.
Und last not least. Es gibt kein Patentrezept. Was für mich gut ist, muss für Sie noch lange nicht gut sein. Was für mich materiell möglich ist, ist für Sie ev. unmöglich. Was für mich vom sozialen Umfeld (Familie) her denkbar ist, ist für Sie ev. undenkbar. Es gibt wirklich zig Kriterien die es zu beachten gilt um bei solchen Überlegungen nicht vom Regen in die Traufe zu geraten. Deshalb werde ich mich vor einer wirklich konkreten Antwort drücken. 🙂