“Politik von gestern”: EUropa fällt hinter USA und China zurück
Es ist eine bittere Erkenntnis: Europa fällt wirtschaftlich immer weiter hinter die USA und China zurück, viele Firmen etwa aus der Wind- und Solarbranche sind nicht mehr wettbewerbsfähig.
Bei einem Sondergipfel in Brüssel haben die 27 EU-Staats- und Regierungschefs nach Antworten gesucht. Doch statt Lösungen gab es Streit.
Den ersten Aufschlag machte der frühere italienische Ministerpräsident Enrico Letta. “Wir laufen Gefahr, den Anschluss zu verlieren. Es gilt, keine Zeit zu verlieren“, warnte Letta, der einen Bericht zur Krise des europäischen Binnenmarkts angefertigt hatte.
Demnach wuchs die Wirtschaftsleistung in den USA zwischen 1993 und 2022 pro Kopf um fast 60 Prozent, in der EU lag der Wert nur bei unter 30 Prozent.
Die schwache Leistung liege daran, dass die EU einem veralteten Wirtschaftsmodell folge, erklärte ein weiterer italienischer Experte, der frühere Zentralbank-Chef Mario Draghi.
Europa trete auf der Stelle, „weil unsere Organisation, Entscheidungsfindung und Finanzierung für die ‚Welt von gestern‘ designed sind“, so Draghi.
Hart ging Draghi mit der Politik während der Eurokrise vor zehn Jahren ins Gericht.
„Wir haben bewusst versucht, die Lohnkosten im Vergleich zueinander zu senken – und in Kombination mit einer prozyklischen Fiskalpolitik hat das unter dem Strich nur dazu geführt, dass unsere eigene Binnennachfrage geschwächt und unser Sozialmodell untergraben wurde“.
Für diese Politik, die der EU jahrelang schwaches Wachstum bescherte, war Draghi allerdings selbst mit verantwortlich.
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Arthur Dent
22. April 2024 @ 10:42
Was Draghi sagt, konnte man schon vor 15 Jahren bei Heiner Flassbeck und Albrecht Müller nachlesen – aber damals war Lohndumping ein Erfolgsgarant für die Exportnation Deutschland. Den Titel “Exportweltmeister” muss man sich halt vom Mund absparen. Außer in Deutschland beginnt gerade überall auf der Welt das Atomzeitalter: In Ägypten, Türkei, Jordanien, Indonesien, Vereinigte Arabische Emirate entstehen neue AKW, alleine China plant oder baut 54 neue.
@Karl
Selbst wenn Deutschland seine 30.000 Windkraftanlagen verdreifacht, außerhalb seiner Küstengebiete hat Deutschland nicht viel Wind und für Photovoltaik liegt Deutschland nicht nahe genug am Äquator. Deutschland hat für Jahrzehnte genügend Gas unterm Schiefergestein, importiert aber lieber teures Fracking-Gas aus den USA, Atomstrom aus Frankreich, Kohlestrom aus Polen und Tschechien. Die eigene CO2-Bilanz bleibt so natürlich sauber, kostet aber viel Geld. Solange Deutschland Energie so teuer wie möglich macht, ist seine Zeit als Wirtschaftsnation vorbei.
KK
22. April 2024 @ 14:13
“Solange Deutschland Energie so teuer wie möglich macht, ist seine Zeit als Wirtschaftsnation vorbei.”
Und auch die Binnennachfrage am Boden, weil die Mehrheit der Verbraucher sich nur noch das Nötigste (Wohnen und Energie) leisten können – selbst für Lebensmittel gilt daher bereits für viele eiserner Sparzwang. Das schröpft dann auch noch den heimischen und standortgebundenen Dienstleistungssektor.
Cui bono?
Ben
21. April 2024 @ 21:28
Der Grund sind u.a. irreführende Gefolgschaft, Russophobie, die Sanktionen und Verlust von billiger Energie aus Russland.
Art Vanderley
21. April 2024 @ 21:14
„Für diese Politik, die der EU jahrelang schwaches Wachstum bescherte, war Draghi allerdings selbst mit verantwortlich.“
Schön wenn einer dazulernt. weniger schön daß er damit wartet bis es die gesamte Herde tut und vorher noch zu denen gehört die die frühen Kritiker kleinmachen.
Dennoch ein klarer Sieg für die schon jahrelangen Befürworter einer eher keynesianischen Wirtschaftspolitik den diese auch selbstbewußt in Anspruch nehmen dürfen.
Karl
22. April 2024 @ 09:43
@ “klarer Sieg für … keynesianische Wirtschaftspolitik” (Vanderley):
Keynesianismus ist zu einfach! Es gibt auch Kriegs-Keynesianismus, und was der den Menschen bringt, sehen wir in England und USA (Stichwort MIK).
Die einstige Industrie der erneuerbaren Energien in Deutschland hat die “Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft” in Verbindung mit der CDU/FDP gezielt plattgemacht. Das ist Auto-Keynesianismus: Alles wird runtergezogen, damit die Verbrenner-SUVs noch einige Jahr länger leben können. = Volkswirtschaftlicher Selbstmord.
Ein Dokument – 80.000 Photovoltaikarbeitsplätze in Deutschland seit 2012 vernichtet: https://www.volker-quaschning.de/artikel/Fakten-INSM/index.php
Art Vanderley
22. April 2024 @ 22:51
@Karl
Wirtschaft ist natürlich mehr als nur Keynes, aber die Richtung ist wichtig, Sie sprechen es selber an, was im Moment läuft ist wirtschaftlicher Selbstmord.
Weg von der prozyklischen Verstärkung von Problemen, hin zur antizyklischen Eindämmung, übrigens auch umgekehrt. Sollte mal ernst gemacht werden mit der Ökologisierung, könnte sogar ein vergessen geglaubtes Phänomen zurückkehren- die Überhitzung, bei der der Staat dann auf die Bremse treten muß.
All das kann man natürlich auch destruktiv anwenden, die Nazis haben eine antizyklische Wirtschaftspolitik betrieben mit großem Erfolg- aber mit den Mitteln der Ultradiktatur.
Das macht aber das Prinzip nicht weniger richtig.