Draghi verewigt sich – Juncker distanziert sich
Die Europäische Zentralbank wollte eigentlich aus der ultralockeren Geldpolitik aussteigen. Stattdessen hat EZB-Chef Draghi zum Abschied noch einmal die Zügel gelockert – ohne Befristung. Geht das jetzt ewig so weiter?
Draghi brachte ein Paket zur Stützung der Wirtschaft auf den Weg, das eine weitere Zinssenkung, erneute Anleihenkäufe und Erleichterungen für Banken enthält.
Die umstrittenen Anleihenkäufe sollen sogar unbefristet weiter gehen. Draghi begründete dies mit den schlechten Konjunkturaussichten und Abwärts-Risiken, u.a. in Deutschland.
Damit hat er sich kurz vor seinem Abgang im Oktober verewigt – als erster EZB-Chef, der nie die Zinsen erhöhte, und Maßnahmen beschloß, die auch seine Nachfolgerin Lagarde binden dürften.
Schuld daran ist die kontraproduktive, um nicht zu sagen dysfunktionale “Governance” der Eurozone – und das veraltete Mandat der EZB, das die Notenbank auf ein Inflationsziel von 2 Prozent verpflichtet.
Wäre die EZB auch dem Wachstum verpflichtet, wie es manche Experten fordern, hätte die Geldpolitik zuletzt nicht ganz so locker ausfallen müssen. Denn bis vor einem Jahr war das Wachstum gut.
Und hätten die Finanzminister ihren Job gemacht, dann hätte Draghi nie sein legendäres “whatever it takes” ausrufen und die Notenpresse anwerfen müssen. Die Fiskalpolitik ist zu straff und wirkt oft prozyklisch.
Beides sollte man bedenken, wenn man Draghis Geldpolitik kritisiert. Immerhin gibt es einen Hoffnungsschimmer: Seine Nachfolgerin Lagarde hat angekündigt, sich auf um die Kehrseite der lockeren Geldpolitik zu kümmern.
Außerdem will sie das “monetary framework” überprüfen und ggf. überarbeiten – also die Prämissen, auf denen die Geldpolitik beruht. Sie sind hoffnungslos veraltet…
Siehe auch “Was Lagarde verspricht” und “Zinspolitik in der Sackgasse” (externer Link zu den Nachdenkseiten)
Watchlist
- Die EU-Finanzminister treffen sich in Helsinki, um über das (Phantom-)Eurobudget zu sprechen. Bisher ist es ein Haushalt ohne Geld. Vor allem die nordischen Staaten der “Hanseatischen Liga” halten den Geldbeutel zu. Außerdem könnten Scholz & Co. über die Kritik an mangelnder Transparenz der Eurogruppe sprechen. Zuletzt hatte sogar die EU-Bürgerbeauftragte mehr Offenheit gefordert, geändert hat sich nichts.
Was fehlt
- Die Distanzierung von Noch-Kommissionschef Juncker von seiner Amtsnachfolgerin von der Leyen. Dabei geht es um den “European way of life”, den ausgerechnet der neue Migrationskommissar schützen soll. Ihm gefalle die Idee nicht, dass der “Schutz des europäischen Lebensstils” Migration entgegenstehen solle, sagte Juncker. “Diejenigen zu akzeptieren, die von weit entfernt kommen, ist Teil des europäischen Lebensstils.”
Zum Streit um den “European Way of Life” habe ich dem Bayerischen Rundfunk ein Interview gegeben. Es kommt am Freitag im Früh-Podcast “Tagesticket”, die Seite steht hier
Peter Nemschak
13. September 2019 @ 13:16
Dass die Eurozone tiefgreifender Reformen bedarf ist klar, nur über das wie scheiden sich die Geister. Hinter dem Ruf nach mehr Solidarität (Fiskalunion) verbergen sich sehr oft politische Verantwortungslosigkeit und Bequemlichkeit. Daher sind solidarische Maßnahmen in jedem Fall begründungs- und rechtfertigungspflichtig.
Thomas Fischer
13. September 2019 @ 12:50
Eine Währungsunion ansonsten souveräner Staaten hat längerfristig noch niemals funktioniert. Dies ergab eine Recherche meinerseits vor Euroeinführung (siehe Kronenzone, Rubelzone, Deutsch-Österreichische Münzunion, Skandinavische Münzunion, Lateinische Münzunion). Umso heterogener die Länder sind, desto schneller kommt das Ende. Die Idee derart unterschiedliche Länder wie in der Eurozone (angefangen von der Wirtschaftskraft und Wirtschaftsverfassung bis zur Währungseinstellung „Hart- versus Weichwährungstradition“) unter eine Einheitswährung zu zwingen, ist absurd.
Dazu kommt: Die permanente und massive Abwertung der eigenen Währung war für sehr viele Länder (Griechenland, Italien, Spanien, Frankreich usw.) das entscheidende „Geschäftsmodell“ um halbwegs wettbewerbsfähig zu bleiben. Zur Erinnerung: 1 DM kauften anfangs 20 Drachmen, am Ende waren es 171 Drachmen ! 1.000 Lira entsprachen anfangs 6 DM, am Ende waren es noch 98 Pfennig ! Usw. Fällt diese Möglichkeit der Anpassung über den Wechselkurs weg (Einheitswährung !) sind massivste Probleme vorprogrammiert. Siehe Eurokrise und Euro-Dauerrettung samt EZB-Null- und Negativzins ad infinitum.
Von den massiven Fehlanreizen (Moral Hazard, Tragik der Allmende, Anreize sich billig und auf Kosten von anderen zu verschulden usw.) ganz abgesehen. Der Sparer und Bürger ist dazu eingeklemmt zwischen der schleichenden Enteignung (Finanzielle Repression) einerseits und den durch das Niedrigzinsniveau mit aufgepumpten Vermögenspreisblasen (z. B. bei Immobilien).
Auch der Umgang der EU mit den eignen Regeln und Verträgen (!) kann einen nur nachdenklich stimmen (Wachtsums- und Stabilitätspakt, Mastricht-Kriterien, Art. 125 AEUV Nichtbeistandsklausel usw. Im Zweifel waren die Verträge das Papier nicht wert, auf dem sie gedruckt waren …
Diese Probleme fressen sich in alle Bereiche (Banken verlieren ihr klassisches Geschäftsmodell/Zinsmargengeschäft, die Lebensversicherung stirbt aus, Pensionskassen, Versorgungswerke, Stiftungen, Krankenkassen (Altersrückstellungen) usw. stehen vor massiven Schwierigkeiten).
Das Allerschlimmste: Wir gehen den Weg in die Planwirtschaft des Geldwesens. Ein Markt – etwa für europäische Staatsanleihen – existiert längst nicht mehr, da die EZB diesen außer Kraft gesetzt hat.
Eine Lösung könnten eventuell noch die „Vereinigten Staaten von Europa sein“. Das würde aber a) gegen die EU-Verträge verstoßen, steht b) im Widerspruch zu dem Maastricht-Urteil des BverfG und last but not least, ist c) dies von den meisten wichtigen EU-Ländern auch gar nicht gewünscht. Auch hier zur Erinnerung: Es waren die EU-Gründungsmitglieder Frankreich und Niederlande, die in Referenden eine Europäische Verfassung explizit abgelehnt hatten ! Danach wurde der Ansatz VSE aufgegeben.
So jedenfalls wird die Fehlkonstruktion Euro die EU nicht weiter vereinen sondern immer weiter spalten – bis es eben zum eruptiven Ende kommt.
Danach dürfte von der an sich guten Idee „Europa als Friedensprojekt“ wenig bis nichts übrig bleiben. Traurig aber wahr …
Claus
13. September 2019 @ 11:38
Ich lese: “Stattdessen hat EZB-Chef Draghi zum Abschied noch einmal die Zügel gelockert – ohne Befristung. Geht das jetzt ewig so weiter?”
Nein, das geht nicht so weiter, und allen Beteiligten ist das längt klar. Denn in puncto Konjunkturbelebung wirkt es nicht mehr, die „Abwärts-Risiken“ zumindest in Deutschland sind hausgemacht, Banken kommen wegen abhanden gekommenem Geschäftsmodell zunehmend in Schieflage, und der Steuerzahler darf für die in den Bilanzen der EZB eingelagerten Schrottpapiere bürgen. Ob das alles demokratisch noch legitimiert ist, darf bezweifelt werden. Der einzige Effekt ist, dass einigen bereits komatösen Staatshaushalten und –Schuldnern (wie wohl auch der Fehlkonstruktion namens „Euro“) das Sterben mittels mit billigem Geld etwas verschönt und herausgezögert wird. Der „Point of no Return“ ist bereits überschritten, und bis zum absehbaren Ende dieser unsäglichen Entwicklung werden Sparer um ihren Notgroschen enteignet und Mieter wegen Nullzins-Immobilienblase und einhergehend steigenden Mieten aus Ihren Wohnungen und / oder in die Armut verdrängt.
Wie praktisch, dass wir uns inzwischen mit Sorgen über das Klima etwas ablenken dürfen.
Thomas
13. September 2019 @ 09:20
Der Fall Juncker
Es gibt doch auch die regional geschützten Lebensmittel und Schutz vom Aussterben bedrohter Tiere. Doch Spaß beiseite : ist doch so etwas von Wurscht wie der Migrationskommissar jetzt betitelt wird Hauptsache er erledigt endlich seine “Hausaufgaben”.