Die türkische Gefahr
Mordaufrufe gegen den Grünen-Chef, rassistische Bemerkungen des Sultans: Seit der Armenien-Resolution des Bundestags fallen in der Türkei alle Hemmungen. Nicht nur Deutschland ist betroffen.
So hat Erdogan die belgische Regierung mehrfach öffentlich angegriffen, weil sie Demonstrationen kurdischer Gruppen zuliess. Belgien paktiere mit den “Terroristen”, das werde Folgen haben, droht der Sultan.
Auch Frankreich ist ins Visier türkischer “Wutbürger” geraten. Rechtzeitig zur Fussball-WM veröffentlichten sie auf Twitter den Hashtag #FranceisnotsecureforEuro2016 und stoßen wilde Drohungen aus.
Manches lies sich so, als wünsche man Franzosen, Belgiern und nun auch Deutschen die Pest und die Cholera – wenn nicht noch Schlimmeres. Es klingt bedrohlich, nach Rache und Vergeltung.
Doch die EU ignoriert diese türkische Gefahr. Sie verhandelt mit der Regierung in Ankara, als wenn nichts geschehen wäre. Nicht mal die Drohung, den Flüchtlingspakt auszusetzen, scheint Brüssel zu stören!
kaush
6. Juni 2016 @ 17:39
@GS
Nicht interpretieren, sondern lesen.;)
Ich finde die Reaktion von Erdogan nachvollziehbar, Deutschland mit der Nazi-/ Holocaust-Keule zu kommen, wenn wir der Türkei mit der Armenier-Keule kommen.
Ich würde genauso reagieren: Kümmert ihr euch lieber um euren Krempel und wir kümmern uns schon um unsere Angelegenheiten.
Özdemir hat 2001 da schon richtig gelegen mit seiner Aussage: “Die Orte zur Lösung dieses Problems seien „weder Washington, noch Paris oder Berlin“.
Und zur Berichterstattung hat Erdogan mit seinen Aussagen einfach recht. Die Unruhen in Frankreich, der Ausnahmezustand und was das für die Bürgerrechte bedeutet, findet im deutschen Staatsfernsehen nicht statt. Punkt.
Da muss ich RT oder BBC ansehen. Da sieht man dann, wie die Leute zusammen geknüppelt werden.
Aber über jeden Furz, der einem Deutschen Nationalspieler quer hängen könnte, wird in epischer Breite berichtet.
Ich mag Erdogan nicht, aber wo er Recht hat, hat er eben Recht. Und ich finde es zum Kotzen, dass wir es ihm mit unserer Scheinheiligkeit so leicht machen.
Es könnte ja klar werden, wie sehr Merkel den Karren in den Dreck gefahren hat.
Und zwar von der Grenzöffnung am 04.09.15 bis heute.
Peter Nemschak
6. Juni 2016 @ 18:06
Indem Sie Merkel in den Vordergrund rücken, verstellen Sie sich den Blick auf eine historische Entwicklung, die Merkel nicht verursacht, zeitweise aber verstärkt hat. Die Migrationswellen aus dem Süden nach Europa haben schon vor längerer Zeit begonnen. Eine rechtzeitige, selektiv wirkende Einwanderungspolitik wurde von der EU verschlafen.
Ute Plass
6. Juni 2016 @ 16:26
“Man wolle «nicht den moralischen Zeigefinger erheben, sondern Geschichte aufarbeiten», betonte Cem Özdemir, Chef von Bündnis90/Die Grünen, in seiner Rede vor dem Bundestag. Und genau da unterliegt er einem grossen Irrtum. Es ist nicht Aufgabe und liegt nicht in der Kompetenz des deutschen Parlamentes, Geschichte aufzuarbeiten und Urteile über historische Ereignisse zu fällen. Ob 1915 ein Völkermord stattgefunden hat oder nicht, möchte ich jedenfalls nicht vom deutschen Bundestag erfahren, sondern von der historischen Forschung.”
http://www.infosperber.ch/Artikel/Gesellschaft/Turkei-Armenien-Genozid-Bundestag
Peter Nemschak
6. Juni 2016 @ 15:31
Wenn sich Erdogan und sein türkischer Pöbel so erregen, ist es um so wichtiger gelassen zu bleiben oder wollt ihr ihm etwa eine Drohne schicken? Sein Benehmen ist ein klares Schuldeingeständnis, was den Völkermord betrifft.
Susanne
6. Juni 2016 @ 13:36
Man stelle sich vor, wie die gewählten Führungsspitzen der anderen eu-Länder über Merkels coup tatsächlich denken.
Ich gebe zu, die ausländische Presse zur Zeit nicht beobachtet zu haben.
Ein aussenpolitisches Desaster, und bekannte deutsche Tageszeitungen benennen es nicht so.
kaush
6. Juni 2016 @ 13:33
Wenn man das einer weniger emotionalisierenden, ja fast schon hysterischen Betrachtung unterzieht, ergibt sich ein differenzierteres Bild:
“Erdogan sagte nach Angaben der staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu am Sonntagabend in Istanbul:
http://deutsche-wirtschafts-nachrichten.de/2016/06/06/polizeischutz-verstaerkt-scharfe-kritik-an-cem-oezdemir-aus-der-tuerkei/
„Deutschland, ich sage es nochmal. Du musst zuerst Rechenschaft für den Holocaust ablegen. Das ist das Erste. Doch nicht nur das. Du musst auch Rechenschaft für die über 100.000 ermordeten Menschen in Namibia ablegen. Das ist das Zweite. Ihr seid die letzten auf dieser Erde, die das Recht haben, die Türkei zu beschuldigen einen Genozid an den Armeniern durchgeführt zu haben…”
Die Sichtweise finde ich zumindest nachvollziehbar.
“…Die Staaten, die uns hier eine Lehrstunde in Menschenrechten erteilen wollen, sind verantwortlich für das Blut, die Tränen, den Genozid und die Massaker in Afrika. Wer steckt hinter dem Genozid in Ruanda? Frankreich. Nun beschweren sie sich darüber, dass Tayyip Erdogan redet. Soll ich etwa meinen Mund halten und nicht reden? Derzeit beobachten wir, was die französischen Sicherheitskräfte in ihrem Land machen. Wir verfolgen die Ereignisse. Doch schaltet die französischen Kanäle an und ihr werdet nichts von den Ereignissen finden. Sie wollen es nicht zeigen. Seit Tagen brodelt es in Frankreich, es brodelt in Europa und es wird eine Politik der Desinformation betrieben. Und ich bin betrübt und mache mir Sorgen.”
Da hat Erdogan schlicht recht. Auch in Deutschen Fernsehkanälen werden die Demonstrationen und Streiks in Frankreich und das Vorgehen der Polizei nicht berichtet. Da muss man sich schon bei RT informieren.
Ausnahmezustand in Frankreich als Dauerzustand? Eine Europameisterschaft unter Ausnahmezustand und Paramilitärs auf den Straßen?
Man stelle sich solche Bilder und Zustände mal in Russland vor und wie da berichtet würde…
Wir sitzen im Glashaus und werfen mit Steinen.
Auch interessant und was im Mainstream nicht berichtet wird:
“…Die Kritik an Özdemir umfasst auch einen bemerkenswerten Gesinnungswandel des Politikers, welcher ihm von den türkischen Kritikern als Wankelmütigkeit ausgelegt wird: Özdemir hatte am 27. April 2001 in einem Interview mit der SZ gesagt, dass „eine Verurteilung der Türkei“ in der Armenier-Frage „nicht hilfreich wäre“. Die SZ schrieb damals: „Cem Özdemir lehnt Geißelung wegen des Massakers an Armenien ab, weil es die Versöhnung erschweren würde„. Die Orte zur Lösung dieses Problems seien „weder Washington, noch Paris oder Berlin“ zitiert ihn die Online-Zeitung Haberler aus der Printausgabe seines Interviews aus dem Jahr 2001
Çalışkan hatte zuvor in einem Gastbeitrag für das regierungskritische Online-Portal OdaTV geschrieben, dass Deutschland mit der Armenier-Resolution Druck auf Erdogan ausüben wolle. Dieser beharre auf der Visa-Freiheit für Türken, die in dem EU-Türkei-Deal als Gegenleistung festgelegt wurde. „Sie wollen die Türkei in ein billiges Flüchtlings-Camp umfunktionieren. Erdogan will das nicht. Deshalb haben sie nun nach 101 Jahren die Armenier-Keule ausgepackt“, so Çalışkan…”
http://deutsche-wirtschafts-nachrichten.de/2016/06/06/polizeischutz-verstaerkt-scharfe-kritik-an-cem-oezdemir-aus-der-tuerkei/
Ist diese Sichtweise etwa abwegig?
ebo
6. Juni 2016 @ 13:39
Dieser Blog berichtet ausführlich über die Lage in Frankreich. Erdogan nutzt den Hinweis auf Paris aber als billige ausrede, um von seinem eigenen Ausnahmezustand in den KUrdenregionen abzulenken. Indirekt bedroht er Frankreich und Belgien sogar mit Terroranschlägen – das ist nicht hinnehmbar.
Susanne
6. Juni 2016 @ 15:30
ja, das ist richtig und ich schätze es sehr.
Merkel steht wirklich vor den Scherben ihrer jüngsten aussenpolitischen, undurchdachten Ambitionen. Über die Türkei, welche durch Erdogan immer schwieriger zu händeln ist, die eu-Aussengrenzen sichern zu wollen…das war ein kapitaler Fehler.
Zynisch kann man feststellen: Saudi-Arabien, ein weiterer Partner der Merkel, wird hoffentlich nicht gebeten, die eu-Grenzen zu sichern, oder? Da hört doch der Irrsinn hoffentlich auf?
Bei Merkel bin ich mir nicht mehr so sicher, was noch geht.
GS
6. Juni 2016 @ 14:22
kaush, ich kann nur über Deutschland sprechen, aber findest Du nicht, dass gerade über das Dritte Reich, den Krieg, den Holocaust in Deutschland unendlich viel gesprochen wird, dass diese Zeit heute immer noch noch der zentrale Bezugspunkt jeder deutschen Politik ist? Deutschland dazu aufzufordern, über den Holocaust nachzudenken, finde ich, gelinde gesagt, absurd.
Über Namibia kann man streiten. Okay, es gibt kein offizielles Dokument, das den Volkermord anerkannt. Dennoch ist er gesellschaftlich mehr oder weniger anerkannt. In Dokus und Publikationen zur Kolonialgeschichte taucht überall der Begriff Völkermord auf. Lammert erklärte in Namibia, dass es ein Völkermord gewesen sei. Das Auswärtige Amt hat einige bemerkenswerte Statements dazu abgegeben. Usw.usf.
Und Du meinst allen Ernstes, Erdogan liegt hier richtig? Mich schaudert’s!
Skyjumper
6. Juni 2016 @ 14:47
@ ebo
Ich denke es ging nicht um diesen Blog oder andere alternative Medien, da wird tatsächlich fleissig und ausführlich berichtet, sondern um die doch recht dürftige Berichterstattung in den öffentlich-rechtlichen Medien.
Und selbstredend ist es nicht akzeptabel wenn mehr oder weniger öffentlich zu verklausulierten Anschlägen ermuntert wird.
Diesen Satz möchte ich allerdings nicht unterschreiben:
“Erdogan nutzt den Hinweis auf Paris aber als billige ausrede,”
Ich meine vielmehr dass es sich um eine “teure” Ausrede handelt. Teuer für die EU und Frankreich. Denn letztlich tut Erdogan nichts anderes als uns den Spiegel vor’s Gesicht zu halten. Wie hieß es schon so schön bei Orwell? “We are all equal, but some are more equal”
GS
6. Juni 2016 @ 12:41
Und das Flüchtlingsabkommen ist von den Türken auf Eis gelegt geworden. Derweil werden Bluttests für die türkischen Verräter in Deutschland gefordert. Jaja, Rassisten sind immer nur Deutsche, aber Türke bleibt man nun einmal vom Blute her, nicht vom Geiste. Wenn’s nicht alles uns betreffen würde, würde ich mich darüber totlachen. So aber fehlt mir in der Berichterstattung die offene Darstellung, wer Deutschland und die gesamte EU eigentlich in die Arme des Geisteskranken vom Bosporus geführt hat.