Die Hintergründe des Draghi-Deals (Update 29.4.11)

Das Rennen um die künftige Führung der Europäischen Zentralbank (EZB) ist offenbar gelaufen. Nicht nur Italien und Frankreich, sondern auch die Devisenmärkte akklamieren den italienischen Notenbankchef Draghi als Nachfolger des aktuellen EZB-Chefs Trichet. Der Euro setzte heute seinen Höhenflug gegenüber dem US-Dollar fort und schüttelte die schlechten Nachrichten aus Griechenland und Portugal ab. Die Gemeinschaftswährung notierte am Morgen um die 1,47 US-Dollar und kam damit auf ein neues Jahreshoch. Die offizielle EZB-Entscheidung wird beim EU-Gipfel im Juni erwartet.

Draghi gilt als Stabilitätsfanatiker und als großer Bewunderer der Bundebank. Frankreich hatte lange Vorbehalte gegen den Italiener, weil er von 2002 bis 2005 bei der US-Investmentbank Goldman Sachs gearbeitet hatte. Damals soll er geholfen haben, das Staatsdefizit von Griechenland zu beschönigen. Dieser nie belegte Verdacht dürfte dazu beitragen, dass Draghi sich heute als geldpolitischer Falke präsentiert – und Griechenland noch härter anfassen will als Trichet. Der starke Euro schadet der Regierung in Athen schon jetzt; auch die jüngste Zinserhöhung der EZB verschärft die Krise dort.

Unklar ist weiter, ob auch Deutschland hinter Draghi steht. Kanzlerin Merkel hat sich nach dem Verzicht von Bundesbankchef Weber auf eine EZB-Kandidatur noch nicht geäußert. In Brüssel geht man jedoch davon aus, dass Merkel um den Italiener nicht mehr herumkommt. Ihr Zögern könnte sie jedoch teuer zu stehen kommen, denn nun ist es Frankreichs Staatspräsident Sarkozy, dem der Italiener seinen Aufstieg verdankt – und dem er den einen oder anderen Gefallen schuldig ist…

Schon jetzt hat der Deal einen hohen Preis. Sarkozy kündigte seine Unterstützung für Draghi ausgerechnet auf einer Pressekonferenz mit Italiens Regierungschef Berlusconi in Rom an, bei der es um den Streit um tunesische Flüchtlinge ging (siehe mein Blog-Eintrag zum “Duell der Populisten“). Der Franzose wollte offenbar nicht nur seinen Ärger über Berlusconis Flüchtlingspolitik (und die Verteilung von Schengen-Visa) vergessen machen, sondern auch die Übernahme des italienischen Lebensmittelkonzerns Parmalat durch den französischen Konkurrenten Lactalis versüssen…

…und weil zu einem Geschäft immer zwei gehören, kündigte Berlusconi an, sich künftig an der Bombardierung Libyens zu beteiligen. “Kleine Gestern unterhalten die Freundschaft”, kommentiert “La Stampa” süffisant den Hintergrund des Draghi-Deals.

Nachtrag 29.4.11

Nun hat sich Merkel doch noch für Draghi entschieden. Nachdem sie tagelang ihren Sprecher erklären ließ, die Entscheidung falle erst im Juni, empfing die Kanzlerin Journalisten, um ihnen das Gegenteil zu erzählen. Das Ergebnis lässt sich heute in der BIld-Zeitung besichtigen, die einen Jubel-Artikel unter der Überschrift “So deutsch ist der neue EZB-Chef” präsentiert und den Italiener mit “typisch preussischer Pickelhaube” zeigt. Peinlicher geht’s kaum noch…

 

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