Der Wind dreht gegen Macron – und die EU
Vor einem Jahr sah es noch so aus, als könnten Deutschland und Frankreich die EU gemeinsam wieder flott machen. Doch nun dreht der Wind in Paris: Präsident Macron stürzt in den Umfragen ab, die Anti-EU-Parteien legen zu.
“Wir haben wieder den Wind in den Segeln”, freute sich EU-Kommissionschef Juncker im September 2017. Mit der Wahl Macrons seien die Populisten besiegt worden, glaubte Juncker – jetzt könne man sich an die EU-Reform machen.
Doch dann passierte – nichts. Statt mit Macron die Ärmel hochzukrempeln, musste Juncker auf Kanzlerin Merkel warten. Als die dann endlich eine Regierung gebildet hatte, stand sie auf der Reformbremse. Macrons Impuls lief ins Leere.
Nun ist der Präsident selbst in Bedrängnis geraten. Erst fiel Macrons Beliebtheit auf den niedrigsten Wert seiner Amtszeit (nur noch 21 % der Franzosen bewerten ihn positiv). Dann legten auch noch die Nationalisten um M. Le Pen zu.
Wie eine Ifop-Umfrage ergab, ist die Zustimmung zu Le Pens Rassemblement National (früher Front National) deutlich auf 21 von 17 Prozent Ende August gestiegen. Macrons En Marche dagegen fällt um einen Prozentpunkt auf 19 Prozent.
Sechs Monate vor der Europawahl liegt Le Pens EU-feindliche Partei damit erstmals vor Macrons EU-treuer Bewegung. Doch das ist noch nicht alles. Auch auf der Linken dreht der Wind gegen die EU – und gegen Deutschland.
So hat der Chef der Partei „La France insoumise“, Mélenchon, zum Auszug Frankreichs aus „allen europäischen Verträgen“ aufgerufen. Deutschland lebe auf Kosten Frankreichs und anderer EU-Staaten, so der umstrittene Volkstribun.
Nun sollte man Umfragen und Reden sicher nicht überbewerten. Doch wer sich ein wenig in Frankreich auskennt, wird bestätigen, dass die Stimmung zunehmend gegen Macron und das “deutsche Europa” dreht.
Die Zustimmung zum Schulterschluss mit Deutschland schwindet; der Ruf nach nationaler Souveränität wird lauter. Dass es Macron nicht gelungen ist, Merkel für seine EU-Reform zu gewinnen, macht es nicht besser – im Gegenteil.
Offenbar zahlt sich sein Pro-Merkel-Kurs nicht aus, bei der Europawahl droht ein Debakel…
Siehe auch “Macron schrumpft auf Normalmaß” und “Die Crux mit der Souveränität”
Michel Houellebecq : “Je suis prêt à voter pour n’importe qui pourvu qu’on propose la sortie de l’Union européenne et de l’Otan, ça, j’y tiens beaucoup” >> https://t.co/oQcw2ylEpE pic.twitter.com/i9tYgjw9ih
— Valeurs actuelles (@Valeurs) October 25, 2018
WATCHLIST:
- Wie geht es im Budgetstreit mit Italien weiter? Dies dürfte sich am Montag beim Treffen der Eurogruppe in Brüssel zeigen. Die EU-Kommission hatte eine Frist bis Mitte November gesetzt – bis dahin soll die Regierung in Rom einen neuen Entwurf vorlegen. Doch manchen in der Eurogruppe geht dies zu langsam. Schon munkelt man von einem vorgezogenen Defizitverfahren – beim Treffen der Eurogruppe dürfte sich zeigen, wie groß die Spannung wirklich ist…
WAS FEHLT?
- Die versprochene EU-Abwehr gegen US-Sanktionen gegen Iran. Am Montag tritt die zweite und entscheidende Stufe der amerikanischen Strafmaßnahmen in Kraft. Sie trifft vor allem die Banken. Doch die angekündigte neue EU-Zweckgesellschaft zur Absicherung des europäischen Iran-Geschäfts lässt immer noch auf sich warten. Kommt da noch was – oder kneift die EU? Das schon im Frühsommer beschlossene Blocking Statute hat, so viel steht fest, nichts bewirkt!
doc030
5. November 2018 @ 14:49
Naja, eigentlich sollten ja nun alle hier wissen, dass sich insgesamt acht (!) Staaten gegen Macrons Pläne gestellt haben, Deutschland zählt zumindest offiziell nicht mal dazu. Insofern ist die ganze Aufregung und das reflexartige Merkel-Bashing hier ziemlich lächerlich.
ebo
5. November 2018 @ 14:59
@doc030 Wenn man die “Hanseatische Liga” nimmt, sind sogar zehn Euroländer gegen die Macron-Pläne. Diese zielten aber vor allem und zuerst auf Deutschland, die Sorbonne-Rede wurde nicht zufällig gleich nach der Bundestagswahl gehalten. Deutschland war es auch, das in seinem Regierungsprogramm einen “Aufbruch für Europa” versprach. Hätte Merkel gleich gesagt, dass sie lieber nichts mit Macron zu tun haben und die EU im ewigen “Weiter so” halten wollte, so wäre die Lage wenigstens klar. Allerdings könnte Merkel dann auch nicht mehr als “große Europäerin” auftreten, die sie in Wahrheit nie war…
doc030
5. November 2018 @ 15:12
“Aufbruch für Europa” bedeutet ja nicht, Macrons Pläne eins-zu-eins zu übernehmen, Aufbruch kann ja sehr viel (oder eben auch nicht) bedeuten. Ausserdem bringt es ja nichts, Pläne gegen so viel Widerstand durchzusetzen. Die Sorbonne-Rede war wohl eher ein ungeschickter Schachzug mit schlechtem Timing.
Baer
5. November 2018 @ 10:09
Die Probleme werden weder mit,noch ohne Macron gelöst.Dafür gibt es in Europa zuviele Nieten in Nadelstreifen, die noch dazu korrupt und verlogen sind,und sich ausserdem nicht an Verträge und Gesetze halten.
Die EU mus von Grund auf d.h. radikal( also von der Wurzel her) reformiert werden,oder eben rückabgewickelt.
ebo
5. November 2018 @ 10:17
Nichts anderes hat Macron ja gefordert. Er sprach von einer “Neugründung” der EU, wobei er offenbar an einen harten Kern um die Eurozone dachte. Doch sowohl die Eu-Kommission in Brüssel als auch die Bundesregierung in Berlin waren dagegen. Aktuell diskutiert man in der Eurogruppe nur noch über einen Backstop für die Bankenabwicklung und neue Kompetenzen für den Euro-Rettungsfonds ESM. Und selbst da ist kein Erfolg garantiert…
Kleopatra
5. November 2018 @ 12:07
Eine Neugründung der EU mit einem Teil der bisherigen Mitglieder läuft auf die Zerschlagung der existierenden EU hinaus. Dabei hatte man (möchte ich meinen bzw. hoffen) gute Gründe, alle derzeitigen Mitglieder aufzunehmen. Phantasien von einer kleinen effizienten Gemeinschaft scheinen in Frankreich populär zu sein (auch D. Cohn-Bendit hat glaube ich davon geträumt), aber schon aus deutscher Sicht sind sie alles andere als einleuchtend. Wer sich übrigens über Einstimmigkeit in EU-Entscheidungen aufregt, sollte sich sagen lassen, dass die von einem französischen Präsidenten durchgesetzt wurde.
Das Problem der Währungsunion ist, dass sie von den teilnehmenden Ländern mit völlig unterschiedlichen Erwartungen gegründet wurde. Und das lässt sich kaum berichtigen, nachdem schon die Vorstellungen in Deutschland und Frankreich völlig verschieden sind. Vernünftigerweise fragt man sich dann, ob eine Beendigung der Währungsunion nicht besser wäre. Gegenwärtig werden viele für Betroffene unangenehme Maßnahmen nur gemacht, um die Währungsunion zu erhalten; aber wenn diese zu einem Selbstzweck wird, statt Mittel zum Zweck zu sein, läuft etwas schief.
Stefan Frischauf
5. November 2018 @ 12:30
“Wir verwalten uns zu Tode” – habe ich schon viele Menschen von ganz verschiedenen Seiten – auch aus der Verwaltung sagen hören. Macron war anfangs recht enthusiastisch und hatte manche kluge Kampagne dabei. Seine Einladung an US-Wissenschaftler, in Frankreich doch an Themen rund um den “Klimawandel” zu forschen war ja eine smarte Breitseite an Trump.
(https://www.nbcnews.com/news/world/macron-invites-americans-move-france-research-climate-change-n770511?fbclid=IwAR3xTmQUPcTkmERvhVkVz4uFkTr1e3LXmt3r0r8h9d8ekytagtV7aGXyf8o)
Aber schöne Ideen verpuffen eben, wenn man dabei nicht weiter diese zu Konzepten ausbauen kann und dafür keine Verbündeten findet. Und das machen die Ausbremser in Brüssel und Berlin leider geschickt. Und die Opposition? Nun – dass Eric Bonse hier die Twittermeldung von Michel Houellebecq drunter gesetzt hat, das verrät ja durchaus, warum “Unterwerfung” solch ein kluger Plot ist: die gleich geschaltete Angst vor Veränderung hat so viel nivelliert im so gen. Establishment, dass Mohammed Ben Abbes, ein von “gemäßigten Saudis” gesponsorter muslimischer Parteichef eine denkbare Alternative gegen den “Rechtsruck” wäre. Und ein Schreckgespenst für alle – “rechts” wie “links”. “Werte aktuell”, das Label, unter dem M. Houellebecq da zwitschert verrät zudem, warum auch Didier Eribons “Rückkehr nach Reims” so eine fatale Zustandsbeschreibung ist, ohne wirklich das Grundthema des Versagens der “politischen Kräfte Links der Mitte”, insbes. der “Sozialdemokratie” zu allererst in Europa angehen zu können. Man findet nicht die Sprache und die Mittel, um Interessen der Mehrheit der Menschen zu formulieren. Stattdessen beklagt man den Verlust der Werte. Dies geriert dabei jedoch zur Scheindebatte. Die Grundwerte sind (noch) vorhanden. Aber Mittel und Wege zur Teilhabe daran schwinden immer mehr für viele Menschen. Nicht nur – aber besonders auf dem “alten Kontinent”, in Europa. Und diese Interessen zu formulieren und programmatisch den “Umbau zu mehr Perspektiven und Teilhabe für alle Menschen in Europa” zu steuern: darin haben Rot-rot-grün in D versagt. Und alle anderen “Kräfte links der Mitte” in Europa mit ihnen. Im Gegenteil: viele “verdrossene Überläufer nach rechts” beklagen einen “Werteverfall” bis hin zur “Selbstauslieferung an fremde Mächte” – u.a. den Islam. Und anstatt sich auf die Interessen von den Vielen gegenüber den wenigen Gewinnern der Dauerkrisen zu konzentrieren und Umbau und Teilhabe daran zu ermöglichen, lässt man sich auf das Kleinklein der Wertedebatten ein. Und verliert so Haus und Hof. Und Europa.
Mit einer Verneigung vor Hellmut Lotz.
Kleopatra
5. November 2018 @ 08:08
Wer sich auf Kanzlerin Merkel verlässt, der ist eben verraten und verkauft. Außerdem hat Macron wohl seinen Wahlkampf ad personam selbst ernst genommen und am Ende selbst geglaubt, er könne auf Wasser gehen. Leider ist das alles nicht sehr lustig, aber wenn alle Probleme dadurch lösbar wären (wie Macron suggeriert), dass man einen geleckten jungen Präsidenten wählt und auf die traditionellen Parteien pfeift, hätten andere die Probleme längst ohne E.M. lösen können.
Peter Nemschak
14. November 2018 @ 17:02
In der Politik wie im Leben muss man mit dem Material arbeiten, das einem zur Verfügung steht. Für die Eurozone konkret heißt die Aufgabenstellung: mehr Flexibilität für die Euromitglieder eröffnen, ohne dabei die jeweilige nationale politische Verantwortung zu schwächen: gemeinsame Haftung für Schulden, welche den Eurokriterien entsprechen, darüber hinaus Haftung des einzelnen Mitgliedslandes, Insolvenzrecht für die Mitgliedsstaaten mit klarer Priorität für Schulden, bei denen die Mitglieder solidarisch haften, risikoadequate (ratingabhängige) Eigenkapitalunterlegungspflicht der Banken für Staatsanleihen von EU-Mitgliedern, die sie in ihrem Portefeuille halten. Das Verhalten der italienischen Regierung ist eine Provokation für vernünftige Italiener und die EU. Sozialpolitische Hand-outs kann sich Italien nicht leisten. Unrentable Staatsunternehmen gehören verkauft oder abgewickelt, auch wenn es kurzfristig schmerzt.