Deal zur Unzeit – Revolte gegen Merkel

Fünf Wochen nach der Europawahl hat die EU immer noch keine neue Führung. Stattdessen kommt ein weiteres Freihandelsabkommen – diesmal mit Mercosur. Kann dieser Deal der alten Brüsseler Riege, geschlossen mit Rechtsradikalen in Brasilia, das neue EU-Parlament und die nächste Kommission binden?

Man hätte abwarten können, bis der EU-Sondergipfel in Brüssel vorbei ist und ein neuer Kommissionspräsident bestimmt wurde.

Man hätte auch warten können, bis sich das neu gewählte Europaparlament konstituiert – am Dienstag soll es so weit sein. Aber nein, Jean-Claude Juncker wollte nicht warten.

Angefeuert von Kanzlerin Angela Merkel, hat Juncker die Bombe platzen lassen: Nach 20 Jahren zäher Verhandlungen ist das Freihandelsabkommen mit den Mercosur-Staaten fertig geworden.

Am Rande des G-20-Gipfels in Osaka wurde der Deal bekanntgegeben.

Ist es ein guter Deal, ist es ein schlechter Deal? Wir wissen es nicht, denn der ausgehandelte Text liegt noch nicht vor.

Nicht einmal Frankreichs Staatschef Emmanuel Macron scheint alle Details zu kennen. Und die neu gewählten Europaabgeordneten blicken in die Röhre. Sie sitzen auf der Zuschauerbank und warten auf den Text.

Das ist eine Frechheit. Fünf Wochen nach der Europawahl haben wir zwar immer noch keine neue EU-Führung, aber schon wieder einen Freihandels-Vertrag, der im Hinterzimmer ausgehandelt wurde.

Wird das Klima-Abkommen von Paris geschützt? Werden die Rechte von Arbeitnehmern durchgesetzt, auch im Amazonas?All das liegt im Dunkeln.

Juncker und seine Kommission behaupten zwar, mit ihrem Deal Maßstäbe für einen nachhaltigen und fairen Handel gesetzt zu haben. Überprüfen lässt sich das aber (noch) nicht.

Vieles spricht dafür, dass es eher darum geht, den Export deutscher Autos und südamerikanischen Rindfleischs zu fördern. 

„Cars for Cows“ – das scheint das Leitmotiv zu sein. Ist es wirklich das, was die EU-Bürger bei der Europawahl gewollt haben?

Wollten sie einen Vertrag mit Brasiliens rechtsradikalem Präsidenten Jair Bolsonaro – oder haben sie sich vielmehr für Demokratie, Menschenrechte und eine klimafreundliche Politik eingesetzt?

Diese Fragen wird auch der nächste EU-Kommissionschef beantworten müssen. Wer auch immer es wird – er oder sie wird erklären wissen, wieso die EU so kurz nach der Europawahl schon wieder vollendete Tatsachen schafft und die neu gewählten Abgeordneten einfach so übergeht.

Immerhin: das neue Parlament kann den Deal noch zu Fall bringen

Watchlist

  • Der Personalpoker beim EU-Sondergipfel. Eigentlich wollte die EU am Sonntag den leidigen Personalstreit beilegen. Doch stattdessen hat sich der Konflikt sogar noch ausgeweitet. Auch Kanzlerin Merkel wurde attackiert – weil sie beim G-20-Gipfel in Osaka den Sozialdemokraten Frans Timmermans empfohlen hatte.
  • Doch die Konservativen wollen sich damit nicht abfinden. „Die Vereinbarung ist tot“, hieß es am Sonntagabend aus Kreisen der Europäischen Volkspartei (EVP) in Brüssel. Die EVP, der auch Merkels CDU angehört, habe erklärt, „dass sie den Deal von Osaka nicht akzeptieren wird“.
  • Wenn es dabei bleibt, wäre es eine Revolte gegen Merkel – denn sie hatte den „Osaka-Deal“ ausgeheckt. Vorher war sie vom EVP-Mann Manfred Weber abgerückt. Muss sie nun zurückrudern? Lässt sie sich von der Jungen Union und der CSU vorführen? Offenbar hat sie sich mit ihrem „Prinzip Spitzenkandidaten“ völlig verrannt…

Siehe auch „Timmermans statt Weber? Vorsicht, das gibt Ärger!“ und „Merkel sucht sanfte Landung für Weber

Was fehlt

  • Stabswechsel in der EU. Am 1. Juli übernimmt Finnland den halbjährlich wechselnden Ratsvorsitz. Die Finnen wollen sich vor allem um den Klimaschutz kümmern…
  • Das Drama um die Sea-Watch und ihre Kapitänin Carola Rackete. Sie war von den italienischen Behörden festgenommen worden, nachdem sie  ihr Rettungsschiff mit 40 Migranten in den Hafen der sizilianischen Insel Lampedusa gesteuert hatte. Und was sagt die EU-Kommission dazu, dass man neuerdings Seenotretter festnimmt und kriminalisiert? Nichts – sie schweigt. Selbst eine Nachfrage auf Twitter brachte keine Antwort…