Das Problem heißt Rutte
Österreichs Kanzler Kurz hat sich im Streit um den Wiederaufbau kompromißbereit gezeigt. Nun geht es darum, den niederländischen Premier Rutte umzustimmen. Ein Treffen mit Kanzlerin Merkel in Berlin brachte zunächst keine greifbaren Ergebnisse.
Noch im Februar war Rutte Deutschlands engster Partner – als es darum ging, eine Aufstockung des EU-Budgets zu verhindern.
Nun hat die Kanzlerin die Fronten gewechselt – und steht in der Pflicht, ihren ehemaligen Verbündeten mitzunehmen.
Das wird nicht leicht. Denn auch sechs Wochen nach dem Merkel-Macron-Vorschlag ist noch so gut wie alles umstritten.
Der Umfang des EU-Budgets, die Größe des Wiederaufbaufonds, die Schuldenfinanzierung, die Vergabe von Zuschüssen, die Beitragsrabatte, mögliche neue EU-Steuern: Nirgendwo zeichnet sich eine Einigung ab.
Flammende Bekenntnisse zu Europa und dringende Appelle zu Eile reichen in dieser Lage nicht aus. Merkel muß für ihren Plan kämpfen und die geizigen Niederländer davon überzeugen, dass es auch in ihrem Interesse ist, die EU aus dem Koma zu holen.
Ein Treffen mit Rutte am Donnerstagabend in Berlin bot dazu eine gute Gelegenheit. Allerdings sprach wenig dafür, dass sich Merkel mit Rutte anlegen würde.
Im Gegenteil: Bei ihrer Rede im Europaparlament sprach sie wiederholt von 500 Milliarden Euro für den Wiederaufbau – und nicht von 750 Milliarden, wie sie die EU-Kommission und das Parlament fordern.
Das läßt in Brüssel alle Alarmglocken schrillen.
Will Merkel den Rettungsplan schon wieder eindampfen, noch bevor die Verhandlungen richtig begonnen haben?
Lässt sie die historische Chance verstreichen, eine echte, solidarische Wirtschaftsunion aufzubauen, wie sie neuerdings sogar Wolfgang Schäuble fordert?
Und was wird aus dem Klimaschutz und dem „European Green Deal“?
Bei ihrer Rede in Brüssel ist Merkel auf diese Fragen kaum eingegangen. Manches spricht dafür, dass sie dies auch künftig nicht tun wird, um Rutte nicht zu verärgern.
Stattdessen dürfte sie auf ihn zugehen – etwa in der Frage der Reformauflagen für EU-Hilfen aus dem Wiederaufbaufonds.
Dabei ist der egoistische Niederländer mit der wackligen Mehrheit das eigentliche Problem…
Siehe auch “Der egoistische Herr Rutte”
Holly01
11. Juli 2020 @ 12:35
Nach meinem Wissensstand gibt es kein einziges EU land das zu höheren Leistungen bereit wäre. In Schland gibt es allgemeine Ankündigungen und „sollte“ hätte“ Rhetorik.
Abgesehen davon will niemand auch nur auf einen Cent verzichten.
Der Mehrbedarf der allgemein angemeldet wird (Covid-19, Rüstung, Grenzsicherung, allg. Sicherheit/Überwachung, Wachstum usw usf) summiert sich sicher auf Billionen.
Alte EU Regel: mehr bekommen geht immer, mehr geben geht gar nicht.
Die dusseligen Politiker haben ja nicht mal die Mehrkosten aus dem Brexit wirklich definiert und verteilt.
Dazu kommt diese nationale „Steuerpolitik“ (European hat darauf hingewiesen).
Wer Einnahmen verhindert, Geld verschwendet und Absprachen bricht ist nicht handlungsfähig und dazu muss man auch nicht Rutte heißen.
Wird das „Rutte“-Problem abgeräumt, kommt Polen und will nichts mehr zahlen aber alles und mehr haben, was es vorher gab.
Das geht immer hübsch Reih um. Real ist nur die Blockade und der Niedergang der handlungsunfähigen EU (vorne immer nett anzusehen die Komission mit vdL).
vlg
European
11. Juli 2020 @ 15:29
Damit haben Sie sicher Recht.
Andererseits gäbe es aber auch durchaus Chancen für Einsparungen, z.B. durch einen gemeinsamen Verteidigungshaushalt. Auch in manchen Gesundheitsfragen könnte man enger zusammenarbeiten, ähnlich wie das Internationale Rote Kreuz. Oder auch in Wissenschaft und Forschung.
Es gäbe durchaus Möglichkeiten, bisher nationale Budgets zu gemeinsamen Finanzierungen zusammenzulegen und damit Gelder einzusparen, die an anderer Stelle dringender benötigt werden.
Die Vorschläge von Macron zur Souveränität Europas waren ja sinnvoll.
Man wird sehen, was da noch kommt.
European
10. Juli 2020 @ 11:18
Die Niederlande sind das zweitgrößte Steuerparadies der EU, direkt hinter Luxembourg.
https://www.taxjustice.net/2020/04/08/revealed-netherlands-blocking-eus-covid19-recovery-plan-has-cost-eu-countries-10bn-in-lost-corporate-tax-a-year/
https://www.taxjustice.net/2020/04/27/eu-loses-over-27-billion-in-corporate-tax-a-year-to-uk-switzerland-luxembourg-and-netherlands/
Steuertechnisch sind Fiat und Renault die größten Autobauer der Niederlande, kassieren aber die Coronahilfen aus Italien und Frankreich.
Oxfam schreibt dazu in einer Studie:
“The Netherlands is the European tax haven champion. As a result, the Dutch government is robbing developing countries of tax income which they desperately need to finance schools, hospitals, roads, badly needed agricultural reforms and social provisions. With this policy, the Netherlands is also making a substantial
contribution to perpetuating poverty and extreme inequality in the world.”
https://www-cdn.oxfam.org/s3fs-public/file_attachments/netherlands-taxhaven.pdf
Warum hat man nur den Eindruck, dass das nicht wirklich in der EU thematisiert wird? Die Summen, die die Niederlande den anderen Ländern – auch und gerade den Südländern – systematisch entziehen, lassen sich ja beziffern.