Das Jahr der Entscheidung

Kassandra oder Kanzlerin – wer behält recht?

Steht die Eurozone kurz vor dem Zusammenbruch, droht 2012 ein „annus horribilis“ für Deutschland und die 16 übrigen Euroländer? Oder kommt im neuen Jahr alles wieder in Ordnung, weil die Politik der Konsolidierung greift und die Märkte wieder Vertrauen fassen? Selten gingen die Meinungen unter Politikern und Experten so weit auseinander, selten war eine Prognose derart schwierig. Die Zukunft des Euro hat sich, so der Spiegelfechter, zu einer Glaubensfrage entwickelt.

Auf der einen Seite stehen die Untergangs-Propheten, die – wie der US-Experte N. Roubini – vor einem „ungeordneten Szenario“ der Eurozone warnen. Einige Euroländer seien längst insolvent und könnten in der Währungsunion nicht überleben, fürchtet Roubini, der schon den Crash 2008 richtig vorausgesagt hat. Wenn die EU dies weiter leugne und auf eine Politik des „Weiter-so“ setze, drohe spätestens 2013, wahrscheinlicher aber schon 2012 der Zusammenbruch.

Auf der anderen Seite stehen Optimisten wie der Chef des deutschen Sachverständigenrates, W. Franz. Eine Zuspitzung der Eurokrise erwartet er ebenso wenig wie eine Rezession in Deutschland. Zwar werde sich das Wachstum abschwächen. Es sei jedoch unverantwortlich, eine Rezession herbeizureden – wie die Chefin des Internationalen Währungsfonds, C. Lagarde. Die Französin hatte, nicht zuletzt mit Blick auf den Euro, vor einer Weltwirtschaftskrise wie in den 30er Jahren gewarnt. 

Auch in Brüssel hält man Lagardes Kassandra-Rufe für übertrieben. Die Schuldenkrise in der Eurozone wird in den EU-Institutionen nicht als fundamentale Bedrohung, sondern vielmehr als willkommene Bestätigung empfunden – nach dem Motto: „Wir haben Euch ja immer schon gesagt, dass wir mehr und nicht weniger Europa brauchen. Wir haben es ja immer schon gewusst, dass es ohne eine Haushalts- und Fiskalunion nicht gehen wird.“

Diese Union soll 2012 endlich aufgebaut werden – allerdings nicht nach Brüsseler, sondern nach Berliner Rezept. Und dieses Rezept, das Kanzlerin Merkel zuhause schon mal als „historisch“ feiern lässt, sieht nicht mehr Europa im Sinne von mehr Hilfen für Krisenländer, sondern mehr Sanktionen für „Schuldensünder“ vor. Fast alle Forderungen aus Brüssel, den Euro-Rettungsschirm aufzustocken, ihn mit einer Banklizenz zu versehen oder gar Eurobonds einzuführen, hat Merkel abgeschmettert.

Recht so, werden viele Deutsche sagen, denn wir wollen keine europäische Transferunion auf Kosten des deutschen Steuerzahlers. Das Problem ist nur, dass Merkels Fiskalunion erst langfristig wirkt. Die darin vorgesehenen Schuldenbremsen werden, wenn überhaupt, erst in einigen Jahren die Defizite abbauen (in Deutschland, das EU-weit als Vorbild gilt, wächst der Schuldenberg weiter).

Sollte die Krise in der Zwischenzeit eskalieren, werden die Rettungsschirme und Stabilitätsmechanismen nicht stark genug sein, da sind sich alle Experten einig. Die Hoffnung, die sich rund um Weihnachten aufgebaut hatte (siehe “Neue Hoffnung für den Euro” Teil I und Teil II), wäre dann wieder zunichte gemacht. Und dann könnte er doch noch kommen – der viel beschworene Euro-Crash.

Selbst die Wirtschaftsweise B. Weder di Mauro schließt einen Zusammenbruch nicht mehr aus, meldet heute die “Welt“. Das Originalinterview mit Weder di Mauro stand übrigens in der “Bild”. Doch die traut sich nicht, die schlechte Nachricht in die Headline zu nehmen, das könnte ja ein schlechtes Licht auf die Kanzlerin werfen…

 

P.S. Dies ist die Kurzfassung eines Artikels, den ich bei Cicero online veröffentlicht habe. Die vollständige Fassung findet sich hier.

 

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