Das EU-Parlament spielt nur noch eine Nebenrolle
Was bleibt von der EU-Politik der vergangenen Woche? Der deutsche Ratsvorsitz konnte wichtige Projekte abschließen, das Europaparlament mußte bittere Pillen schlucken. Die Kammer spielt nur noch eine Nebenrolle, wie auch der Brexit zeigt.
EU-Budget, Corona-Hilfsfonds und neue Transparenzregeln: Das sind die großen Projekte, die der deutsche EU-Vorsitz kurz vor Toresschluß abschließen konnte. Nach den EU-Staaten hat nun auch das Europaparlament grünes Licht gegeben.
Doch die EU-Abgeordneten mußten mehrere bittere Pillen schlucken. Das EU-Budget fällt wesentlich kleiner aus, als sie gefordert hatten – und der Rechtsstaats-Mechanismus wird viel später wirken als ursprünglich geplant.
Beim Corona-Fonds werden die Parlamentarier zwar informiert, doch ein echtes Mitwirkungsrecht haben sie nicht. Es ist mir unverständlich, dass sie sich dies bieten lassen.
Die Grünen lobten die Einigung sogar über den Klee – weil ein Teil der schuldenfinanzierten Corona-Hilfen in den Klimaschutz fließen soll. Offene Kritik wagte nur der CSU-Abgeordnte M. Ferber:
„Die Mitgliedstaaten wollten von Anfang ein Konto, von dem sie ungestört Geld abheben können, ohne dass sie sich an lästige Vorgaben halten müssen. Der heutige Kompromiss kommt den Mitgliedstaaten dabei viel zu weit entgegen“, so Ferber mit Blick auf den Umstand, dass die Entscheidungen über die Mittelverteilung am Ende durch Durchführungsrechtsakte erfolgt, die das Europäische Parlament nicht beeinflussen kann. „Informationspflichten, politischer Dialog und nachträgliche Kontrollrechte für das Parlament sind zwar nett, aber eben nicht dasselbe wie ein echtes Mitentscheidungsrecht“, befindet der CSU-Europaabgeordnete.
Mager fällt auch die Einigung zum Transparenzregister aus. Zwar ist erstmals auch der Rat an Bord, doch die Offenlegung geht längst nicht so weit, wie es für wirkliche Transparenz nötig wäre. Die SPD war trotzdem zufrieden.
Zum Aufstand kam es dagegen beim Brexit. Weil sich die Verhandlungen zwischen London und Brüssel über ein Handelsabkommen endlos hinziehen, und das Parlament übergangen zu werden droht, setzten die Abgeordneten eine Deadline.
Am Sonntag soll Schluß sein, so der Chef des Handelsausschusses, B. Lange (SPD). Sonst könne man das Abkommen, das am 1.1.21 in Kraft treten soll, nicht mehr vernünftig prüfen und ratifizieren.
Doch das reicht Linken und Grünen nicht. Sie stimmten gegen den Antrag und klagen über Intransparenz und Kontrollverlust. Bleibt die Frage, warum sie sich so lange vertrösten ließen.
Schließlich hatte das Parlament schonmal eine Deadline gesetzt – Ende Oktober. Doch die wurde einfach übergangen, ohne vernehmbare Proteste…
Gerade mal zwei Stunden bekommt unser Finanzausschuss ECON im Europarlament, um den Handelsvertrag mit Großbritannien zu prüfen. Dabei geht es um die Finanzmärkte, fairen Wettbewerb, Staatsbeihilfen und Steuerdumping. Das ist eine Karikatur parlamentarischer Kontrolle! pic.twitter.com/h4ggkO9DME
— Sven Giegold (@sven_giegold) December 19, 2020
Siehe auch “Das Parlament muß für seine Rechte kämpfen”
P.S. Diese Woche wurden auch noch die neuen Plattform-Gesetze vorgestellt. Doch das ist bisher nur ein Vorschlag, kein Gesetz. Bis zu einer Entscheidung werden noch Monate vergehen. Mehr dazu hier
Kleopatra
20. Dezember 2020 @ 09:15
So ist es nun einmal: bei einem Gesetz, das im Inland gilt, ist ein Parlament ziemlich frei zu entscheiden, internationale Verträge kann es bestenfalls ablehnen, aber in der Regel den Vertragsinhalt kaum beeinflussen. Die EU schließt zwar viele Handelsverträge ab, aber die meisten mit viel schwächeren Partnern, denen man die eigenen Bedingungen aufnötigen kann (und die Lobredner der EU schämen sich noch nicht einmal, das zuzugeben); starke und selbstbewusste Partner lassen sich das nicht einfach gefallen. Deshalb gibt es bei Vertragsprojekten wie denen mit den USA (TTIP) und Kanada (CETA) Proteste, weil solche Partner sich nicht einfach hinter den Kulissen demütigen lassen wie Entwicklungsländer. Außerdem dürften manche Mitgliedstaaten andere Interessen haben als das EP, das sich gern als Motor eines abstrakten Fortschritts sieht, was aber eben in einem internationalen Vertrag nicht funktioniert.
Für das EP ist es natürlich demütigend, bei dem Thema des Vertrages mit dem vereinigten Königreich weitgehend aus dem Spiel zu bleiben, aber das ist in gewissem Sinne unvermeidlich (und bestätigt zu einem gewissen Grad die Argumentation Großbritanniens für seinen Austritt). Letztlich müsste das Parlament vernünftigerweise versuchen, sich während der laufenden Verhandlungen bereits seine Meinung zu bilden; auch dann kann es aber nur in Ausnahmefällen einen Vertrag ablehnen (und im konkreten Fall z.B. den Zorn der französischen Fischer riskieren).