Berliner Extrawurst
Alle Eurostaaten sollen die Sozialausgaben senken und das Rentenalter erhöhen. Alle? Nein – ausgerechnet Deutschland gönnt sich eine Ausnahme. In Berlin wird das Rentenalter gesenkt, 60 Mrd. werden für soziale Wohltaten locker gemacht. Es ist nicht die erste Extrawurst.
Beim letzten EU-Gipfel ist Kanzlerin Merkel mit ihrem Plan gescheitert, allen Euroländern Strukturreformen nach dem Vorbild der Agenda 2010 aufzuoktryieren (siehe: Fehlstart für Merkel III.)
Damals hat die deutsche Öffentlichkeit nicht verstanden, wieso sich “die anderen” weigern, das einzuführen, was “bei uns” doch angeblich so toll funktioniert.
Doch so langsam wird klar, warum der Widerstand in der Eurozone so groß ist. Zum einen haben es die meisten Eurochefs satt, sich alles von Berlin diktieren zu lassen; Stabilitätspakt, Fiskalpakt und Troika sind genug.
Zum anderen ist offensichtlich, dass Merkel sich ständig eine Extrawurst herausnimmt. Schon in ihrer letzten Amtszeit hat sie keine einzige der harten Reformen angepackt, die sie anderen ständig empfiehlt.
Als die Eurokrise ausbrach, hat sie nicht etwa die Sozialausgaben zusammengestrichen und Entlassungen erleichtert. Im Gegenteil: das Kurzarbeitergeld wurde erhöht (was übrigens völlig richtig war).
Merkel hat auch nichts von dem umgesetzt, was Brüssel von Berlin fordert, um die Krise zu lindern. Mehr Investitionen, ein Mindestlohn, die Liberalisierung der Dienstleistungen? Unter Merkel II war das alles tabu.
Nun, unter Merkel III., kommt zwar der Mindestlohn – 2017. Doch gleichzeitig dreht die Kanzlerin die Rentenreform zurück, und gibt mal eben 60 Mrd. Euro für die CDU-Mutterrente und andere Wohltaten frei.
Klar, Merkel tut so, als habe sie damit nichts zu tun, und lässt SPD-Nahles allein im Regen stehen. Doch in Brüssel, Paris und Madrid beobachtet man ganz genau, was sich da derzeit in Berlin abspielt.
Wenn Merkel im Oktober erneut ihre “Reformverträge” für die Euroländer auftischt, dürfte es die eine oder andere spitze Bemerkung geben. Und vielleicht noch mehr Widerstand als beim EU-Gipfel im Dezember…
fufu
21. Januar 2014 @ 00:40
ebo, die Plaene muessten doch im Sinne der Nivellierung deine Zustimmung finden. Am Ende sind dann alle gleich, ich meine natuerlich gleich bankrott.
Maxim
20. Januar 2014 @ 14:12
Wenn ich mich recht entsinne, wurde in diesem Blog stets die von Berlin verordnete Kürzungspolitik kritisiert. Dass der Autor sich nun mit Phrasen wie “soziale Wohltaten” die Sprache der Austerity-Prediger zu eigen macht, ist einfach nur niederträchtig. Wird die Troika-Politik etwa legitim, wenn sie endlich auch bei uns gnadenlos durchgepeitscht wird? Das ist eine hirnverbrannte Logik, ganz im Sinne von Merkels “Reformverträgen”.
Manche Leute haben offenbar eine masochistische Sehnsucht danach, von ihren Politikern mal so richtig übers Knie gelegt zu werden.
Johannes
20. Januar 2014 @ 13:52
“Und vielleicht noch mehr Widerstand als beim EU-Gipfel im Dezember” – Schön, denn dann spielen wir deutschen Steuerzahler nicht mehr mit. Also liebes Euroausland, lasst euch das von Merkel nicht mehr bieten, denn auch wir Bürger wollen nicht mehr, nicht mehr EURE Schulden übernehmen 😉
ebo
20. Januar 2014 @ 12:52
@Tim
Die Euro-Krisenländer bekommen die Konditionen von der Troika diktiert. Dabei geht nichts ohne die Kanzlerin (siehe Griechenland, wo der Troika-Bericht mehrfach umgearbeitet wurde). Nun plant Merkel für ALLE Euroländer VERBINDLICHE Reformverträge. Details dazu finden sich u.a. im Koalitionsvertrag und in den Schlussfolgerungen des EU-Gipfels im Dezember. Es ist also bereits schriftlich fixiert…
GS
20. Januar 2014 @ 11:55
Bin mir nicht sicher, ob das jetzt hier eine sachgerechte Behandlung des Themas ist. Alle Welt, und nicht zuletzt ebo, fordert sonst, Deutschland solle mehr ausgeben um es anderen Ländern leicht zu machen. Jetzt wird das Geld zum Fenster rausgeschmissen, und es ist auch wieder nicht recht.
For the record: Mir ist die CDU-Mütterrente lieber als die SPD-Lebensleistungsrente. Die Mütterrente beseitigt immerhin systematischen Unfug, als wären Mütter, die vor 1992 Kinder hatten, schlechtere Mütter oder Rentnerinnen. Die Lebensleistungsrente hingegen verkompliziert das Regelwerk zusätzlich und bringt eine neue Leistung ein.
Wenn es nach mir ginge, hätte es weder die Rentengeschenke gegeben noch den Mindestlohn in dieser flächendeckenden Form. Man wird in ein paar Jahren sehen, was dabei herauskommt. Ich vermute: nichts Gutes, und dann wird die nächste Kürzungsorgie beginnen. Wichtiger wären sinnvolle Investitionen, massives Zurückdrehen des EEG und, solange Suppe da ist, endlich auch mal eine spürbare Entlastung der Mittelverdiener.
ebo
20. Januar 2014 @ 12:02
@GS
Du sagst es, Deutschland soll mehr INVESTIEREN, aber nicht einfach MEHR AUSGEBEN. Außerdem bin ich der Meinung, dass Merkel den anderen EU-Ländern nicht etwas vorschreiben sollte, was sie selbst nicht macht. Es war eben falsch, in Südeuropa zuerst bei den Sozialausgaben und bei den Arbeitslosen und Rentnern zu kürzen. Deutschland hat das Gegenteil gemacht und ist damit gut gefahren. Jetzt sollte die GroKo Zukunftsinvestitionen wagen, statt in der Greisenrepublik Deutschland die CDU-Rentnerinnen zu pampern…
Tim
20. Januar 2014 @ 12:28
@ ebo
Naja, das ist aber auch eine ziemlich schräge Formulierung. Merkel schreibt überhaupt nix vor. Sie hat bestimmte Bedingungen an finanzielle Beteiligungen gestellt. Das ist etwas sehr anderes.
Ansonsten stimme ich Dir zu. Deutschlands Problem ist seit mehr als 20 Jahren dasselbe: Staat & Unternehmen investieren zu wenig.
Arbeiter
21. Januar 2014 @ 20:04
Trotz der ZUKUNFTSINVESTITIONEN DER GROKO wird auch Ihre Rente 2030 nur noch 42% des letzten Verdienstes betragen-dazu kommen dann noch Steuern,Krankenkasse etc.!Wenn man die Rente noch erlebt mit 67? oder 69?Oder gleich den Unterhalt im Pflegeheim mit Tüten falten /Tellerwaschen dazuverdienen?Wer behauptet,Deutschland hätte das Gegenteil gemacht als zu kürzen und Billiglöhne einzuführen-der hat 20 Jahre verschlafen!
Tim
20. Januar 2014 @ 10:43
Ich habe nie begriffen, warum Deutschland als hartes Sparland gilt und galt. Heute führt Merkel eine rot-rote Koalition, die mit Austerität noch weniger am Hut hat als die Vorgängerregierungen. Gleichzeitig unterbleiben wichtige Investitonen in Bildung, Forschung und Infrastruktur. In spätestens 15 Jahren ist Deutschland ein ebenso großer Sorgenfall wie der überwiegende Rest der Alt-EU.
@ Peter Nemschak
Die Schröder-Reformen tragen zum Teil zur vergleichsweise günstigen Lage Deutschlands bei, viel bedeutender ist aber die günstige Produktstruktur der deutschen Wirtschaft, die exakt zum Bedarf der derzeit am schnellsten wachsenden Länder paßt. Hinzu kommt die sehr günstige Lage zu Tschechien, Polen, Slowakei usw., in denen sehr viele Vorprodukte für den deutschen Export gefertigt werden.
Peter Nemschak
20. Januar 2014 @ 10:11
Die Senkung des Rentenalters ist keine Investition in die Zukunft Deutschlands. Dasselbe Geld für Bildung und Infrastruktur zu investieren, wäre besser für die Zukunft der Jungen und genauso konjunkturstützend wie der öffentliche Konsum. Dass Deutschland heute relativ zu anderen EU-Mitgliedern finanziell besser dasteht, ist das Ergebnis der ungeliebten Schröderschen Reformen. Dass Hollande jüngst den Kurs gewechselt hat, mag ebo nicht freuen, aber Hollande will wiedergewählt werden. Mit dem bisherigen Kurs wären seine Chancen sehr schlecht gewesen.