Juncker greift durch – ein bisschen
Wochenlang schwieg er. Doch nun, zwei Tage vor seiner “großen” Rede zur Lage der Union, greift Kommissionschef Juncker durch: Er will seinem Amtsvorgänger Barroso ein paar Privilegien streichen.
Dazu gehört der freie Zugang zur EU-Kommission und ihren Dokumenten, schreibt die “Süddeutsche”. Barroso solle ab sofort wie ein gewöhnlicher Lobbyist behandelt werden.
Das ist auch nötig – schließlich hat der Portugiese für Goldman Sachs unterschrieben, er soll der US-Bank beim Brexit helfen. Damit hat er die Seite gewechselt – er arbeitet nun gegen die EU.
Doch seine üppigen Pensionsansprüche soll Barroso offenbar behalten dürfen. Und die Ethik-Regeln werden bisher auch nicht verschärft, wie dies sogar Kommissionsmitarbeiter fordern.
Juncker greift durch – aber nur ein bisschen. Ob das reicht, um das ramponierte Image der EU aufzubessern, ist zweifelhaft – vor allem, wenn man die ganze Geschichte kennt…
Peter Nemschak
13. September 2016 @ 08:01
Um Barroso möglichst vollständig trockenzulegen – die Abkühlperiode von 18 Monaten, die ihm offenbar nach wie vor Zugang zu privilegierten Informationen gelassen hat, war in seinem Fall keine wirklich effektive – ist auch sein vertrautes, ihm nahestehendes Mitarbeiternetzwerk zu zerstören. Dazu wären seine engsten Mitarbeiter – wer das war, lässt sich, seine ehemaligen Feinde kennend, leicht ermitteln – an andere Stellen der Organisation zu versetzen, von wo sie keinen Zugang zu heiklen Informationen haben. Untreue in Organisationen lässt sich zwar nicht gänzlich vermeiden, vorbeugende Maßnahmen sind jedenfalls anzuraten. Unternehmen bedienen sich für solche Zwecke der Innenrevision, die unangemeldet Zugang zu allen Informationen hat und direkt an den CEO berichtet. Ob entsprechende Maßnahmen gesetzt wurden, wäre eine euro-parlamentarische Anfrage an Juncker wert. Tja, die Fische stinken, wie man sagt, vom Kopf.
Peter Nemschak
12. September 2016 @ 17:17
Primat der Politik ist in Wahrheit eine leere Floskel. Der Rechtsstaat verhindert, dass der Primat zur Diktatur der Mehrheit über die Minderheit wird. In den parlamentarischen Demokratien haben die politischen Parteien jederzeit die Möglichkeit, Regierungspolitiker im Wege von Misstrauensanträgen zu feuern oder je nach politischer Kultur zum freiwilligen Rücktritt zu drängen. Das EU-Parlament hat meines Wissens, ich mag mich irren, nicht dieselben weitreichenden Machtbefugnisse wie die nationalen Parlamente.
Skyjumper
12. September 2016 @ 18:20
Politische Parteien und Parlamente, egal mit welchen Möglichkeiten, sind im betrachteten Szenario aber kein Lösungsansatz, sondern Teil des Problems. Denn auch da sprechen wir in dem Fall über Politiker die bloß einen stinknormalen Job machen.
Und Rechtsstaat? Ich bitte Sie. Das war mal. Rechtsbeugung und opportunistische Urteile aus Angst vor den Folgen gesetzeskonformer (im Sinne des Rechtes) Urteile hatten wir in den vergangenen Jahren viel zu viel um diesen hehren Anspruch noch erfüllen zu können. Aber das wäre ein Thema für sich.
Peter Nemschak
12. September 2016 @ 21:07
Seien Sie dem Schicksal dankbar, dass Sie in Deutschland und nicht in China, Russland oder der Dritten Welt leben, und das nicht nur, was den Rechtsstaat betrifft.
Peter Nemschak
12. September 2016 @ 09:52
Dort wo Barroso einen Rechtsanspruch hat, wird man ihm nichts wegnehmen können. Daher sind die Möglichkeiten von Juncker eingeschränkt.
Skyjumper
12. September 2016 @ 12:19
Hinsichtlich des konkreten Falles “Barroso” haben Sie selbstverständlich Recht. Es würde eigentlich eher darum gehen für zukünftige Parallelen bessere Lösungen zu finden. Das allerdings würde bedeuten dass Juncker Lösungen “gegen sich selbst” forcieren, finden und durchbringen müsste. Daher bin ich skeptisch. Es bleibt vermutlich wie so oft die Erkenntnis dass man von den Fröschen nicht erwarten darf dass sie den Sumpf trocken legen.
Peter Nemschak
12. September 2016 @ 12:40
Man muss zur Kenntnis nehmen, dass Politiker ein Job wie jeder andere geworden ist. Besondere Loyalitäten zum ehemaligen Arbeitgeber darf man sich nicht erwarten. Wenn überdurchschnittliche Persönlichkeiten auftreten, ist das erfreulich, aber man darf sich darauf nicht verlassen. Rückblickend war auch die Einstellung der Bürger zum gemeinsamen Europa nach dem Zweiten Weltkrieg eine andere als heute. Das mag man bedauern, muss aber das zur Verfügung stehende Material nehmen so wie es ist.
Skyjumper
12. September 2016 @ 15:37
@PeterNemschak
Sie sprechen da recht salopp etwas an was ich selbst bereits seit längeren genauso sehe. Allerdings verbinden sich damit (für mich) eine Reihe von Folgefragen. Allen voran die nach der Berechtigung eines Sonderstatus für die Politiker und die Parteien. Warum sollte der Politik so etwas wie das “Primat der Politik” zugestanden sein?
Ich will jetzt hier keine Romane schreiben, aber die Zielrichtung dürfte klargeworden sein. Wenn Politik ein Job wie jeder andere ist, dann ist das nicht nur bedauerlich, es sollte auch die entsprechenden Konsequenzen haben. Schlechten Job gemacht? Gefeuert! Und nicht erst nach der nächsten Wahl, sondern sofort. Bockmist gebaut? Persönliche Haftung! Und wenn wir schon dabei sind dass das ein ganz normaler Job ist, dann erwarte ich zukünftig von deutschen Politikern wenigstens Realschulabschluß, eine erfolgreich absolvierte Lehre der Politik mit bundeseinheitlichen Prüfungsstandards.
Politiker wollen wie jedermann sein dürfen? Okay. Aber keine Rosinenpickerei. Aber man erkennt wohl bereits an meiner beispielhaften Darlegung dass das nicht realistisch sein kann. Und von daher erwarte ich von Politikern eben doch dass das ein Job ist der anders ist als andere. Ansonsten haben wir nämlich das (bei mir bereits gegebene) Problem dass ich die Flachköppe nicht mehr ernst nehmen kann.
Politikverdrossenheit? Nein Danke. PolitikERverdrossenheit? Oh ja.