Aggressive Türkei: Knapp am Krieg vorbei?
Die Türkei und Griechenland sind in der vergangenen Woche angeblich nur knapp an einem Krieg vorbei geschrammt. Kanzlerin Merkel habe das Schlimmste verhindert, heißt es – doch warum redet sie nicht darüber? Und was macht die EU und ihre “geopolitische Kommission” in dieser kritischen Lage?
Auf Drängen der griechischen Regierung soll Merkel den türkischen Sultan Erdogan von einem Angriff in der Ägäis abgehalten haben, melden griechische Medien. Erdogan habe beabsichtigt, einem Bohrschiff den Zugang zu einem mutmaßlichen Gasfeld vor der griechischen Insel Kastellorizo mit Militärgewalt zu sichern.
Wenn das stimmt, wäre es eine große Leistung der Kanzlerin und amtierenden EU Ratsvorsitzenden, Erdogan gestoppt zu haben. Doch leider hat Merkel die Meldung weder bestätigt noch dementiert. Auch die EU in Brüssel schweigt – wie so oft, wenn es ernst wird.
Die “geopolitische Kommission” brachte es nicht einmal fertig, sich zu Erdogans provozierendem Auftritt in der – zur Moschee umgewidmeten – Hagia Sophia zu äußern. Weder Kommissionschefin von der Leyen noch Außenvertreter Borrell gaben einen Kommentar ab.
Von Borrell ist lediglich bekannt, dass er sich von Merkel ein umfassendes Abkommen mit der Türkei wünscht. In diesem deutsch-türkischen Abkommen soll auch der Streit um die Gasbohrungen beigelegt werden, so Borrell in einem Interview.
Das führt mich zu der Vermutung, dass Merkel bereits geheime Verhandlungen mit Erdogan eingeleitet hat. Womöglich hat sie mit dem Abbruch der Gespräche gedroht, sollte Erdogan Gewalt anwenden.
Es gibt aber noch einen weiteren, beunruhigenden Aspekt. Frankreich hat sich offen auf die Seite von Griechenland und Zypern geschlagen, Sanktionen gefordert und sogar militärischen Beistand versprochen.
Erdogan hat die Solidaritäts-Bekundungen und Warnungen von Präsident Macron jedoch für “Null und nichtig” erklärt. Akzeptiert der Sultan nur noch Merkel als Gesprächspartner? Wird über Krieg und Frieden neuerdings im Kanzleramt entschieden, im Geheimen und ohne Mitwirkung der EU?
Und lässt der deutsche EU–Vorsitz die legitimen Forderungen von Griechenland und Frankreich an sich abprallen, nur um das Appeasement nicht zu stören? Das wäre fast noch beunruhigender als die jüngste Eskalation in der Ägäis…
Siehe auch “Update : Erdogan provoziert – nun auch in Griechenland”
P. S. Laut einer Analyse des “European Council on Foreign Relations” ist ein “Grand Bargain” mit Erdogan derzeit nicht möglich. Laufen Merkel und Borrell also einer Schimäre hinterher?
Burkhart Braunbehrens
27. Juli 2020 @ 15:09
Vielleicht spielen Macron und Merkel über Bande (das habe ich nicht schon einmal geschrieben)
Burkhart Braunbehrens
27. Juli 2020 @ 15:08
Vielleicht spielen Macron und Merkel über Bande
ebo
27. Juli 2020 @ 17:46
Ja, das ist eine mögliche Erklärung. Schon im März haben Merkel und Macron gemeinsam versucht, Erdogan zu bändigen – offenbar mit mäßigem Erfolg. So oder so muss die EU Stellung beziehen, wenn sie noch ernst genommen werden will. Oder ist die “geopolitische Kommission” am Ende doch nur dafür da, das Geld zu überweisen, das Erdogan ruhig stellen soll?
Holly01
28. Juli 2020 @ 07:41
Ich vermute eher das gemeint ist, Erdogan handelt in Absprache mit der EU und übergeht dabei die US Interessen. Das wäre dann eine Bereinigung beim „Feuergürtel“ den die US Politik um die EU gelegt hat…….
Schwer zu glauben, das irgend jemand an den rund 30 US Kriegsschiffen im Mittelmeer dazu in der Lage ist tatsächlich etwas zu tun, das nicht von den USA abgesegnet ist.
Das Mittelmeer und der Luft-/Seeraum dürfte zu den best überwachten der Welt zählen.
vlg
ebo
28. Juli 2020 @ 09:48
In Absprache mit der EU? Wohl kaum! Wenn überhaupt, dann wohl mit den USA…
Alexander
26. Juli 2020 @ 18:43
Das ist alles nicht so ganz neu:
„Tayyip Erdoğan, dem autoritär regierenden Präsidenten in Ankara, passt die Landkarte nicht mehr. Er schiebt an den Grenzen in der Ägäis und im östlichen Mittelmeer herum, zu Luft und zu Wasser. Er greift nach den Öl- und Gasvorkommen, die vor der Küste Zyperns vermutet werden, und nach den Inseln der Griechen. Erdoğans Minister haben ebenso wie die säkulare sozialdemokratische Opposition begonnen, von „besetzten“ Inseln in der Ägäis zu sprechen, die eigentlich der Türkei gehörten. Ihre Zahl schwankt wild zwischen 17 und 132.“
„Türkische Kriegsschiffe drohten im Februar ein Bohrschiff des italienischen Mineralölkonzerns Eni vor Zypern zu versenken. Ein türkisches Patrouillenboot rammte mit voller Wucht ein Schiff der griechischen Küstenwache vor Imia, zweier unbewohnter Inselfelsen vor Bodrum. Ein anderes türkisches Schnellboot feuerte mit scharfer Munition vor der Insel Farmakonisi im Dodekanes. 21 Flüge türkischer Kampfjets im griechischen Luftraum, manche mitten über der Ägäis, zählte Athen am vergangenen Donnerstag. 56 waren es allein am 6. März.“
https://www.derstandard.de/story/2000076769488/erdogan-nimmt-die-griechen-ins-visier
27. März 2018!
(Während der Verhandlungen zur sog. „Griechenlandrettung“ 2015 wurde ja immer wieder ganz empört gefragt, wie es denn sein kann, dass ein Land, das dermaßen in finanziellen Schwierigkeiten steckt, so viel Geld für Militärausgaben übrig hat?)
ebo
26. Juli 2020 @ 22:24
Doch, heute hat es eine ganz andere Qualität, siehe zB hier:
https://www.bloomberg.com/amp/opinion/articles/2020-07-13/erdogan-s-hagia-sophia-move-is-erasing-ataturk-s-stamp-on-turkey?__twitter_impression=true
Oder hier
https://www.bloomberg.com/news/articles/2020-07-23/turkey-tells-egypt-to-avoid-dangerous-incursion-into-libya?cmpid=BBD072420_BRUS&utm_medium=email&utm_source=newsletter&utm_term=200724&utm_campaign=brussels
Und hier
https://www.zeit.de/2020/31/tuerkei-kriege-libyen-naher-osten-mittelmeer