Wer wurde eigentlich bestraft?
Gab es im Zuge der Finanz- und Eurokrise eigentlich irgendwelche Strafen für die Verantwortlichen? Das habe ich mich beim Schreiben meines Posts zur Finanzmarkt-Regulierung gefragt.
Eigentlich hätte man gegen die EU-Kommission eine Untätigkeits-Klage stellen müssen (Finanzkrise). Dann hätten sicherlich einige Banker Strafen wg. ihrer Zockerei in der Eurokrise verdient., z.B. in Irland.
Es gab zwar viel Medienwirbel, aber meines Wissens keine Gerichtsverfahren und schon gar keine Strafen. Oder? Vielleicht wissen meine Leser es ja besser. – Mehr zum Thema hier
Peter Nemschak
20. Januar 2014 @ 11:13
Die Strafen, mit denen die Deutsche Bank in den letzten Monaten belegt wurde, sind nicht zu verachten. Die Aktionäre müssen überlegen, ob sie sich die derzeitige Geschäftsführung weiter leisten wollen. Allerdings, der Schaden ist schon eingetreten. Sollte der jetzige Vorstand bleiben, dann in der Erwartung, dass Fitschen und Jain daraus gelernt haben. Für 2013 und 2014 sollte jedenfalls kein Bonus an die beiden bezahlt werden. Das wäre das falsche Zeichen. Eine freiwillige Gehaltsreduktion wäre ein Schritt in die richtige Richtung.
Peter Nemschak
19. Januar 2014 @ 11:28
@ebo Die Kommission und einzelne ihrer Mitglieder durch das europäische Parlament abwählbar zu machen, wäre Teil der notwendigen politischen Reformen, um die Glaubwürdigkeit der europäischen Institutionen bei seinen Bürgern zu stärken. Derzeit ist die Kommission keine demokratisch kontrollierte europäische Regierung. Das Strafrecht gegen politisches und wirtschaftliches Versagen anzuwenden, ist rechtsstaatlich und demokratiepolitisch höchst bedenklich – das sollte aus der Geschichte hinlänglich klar sein – und ist daher abzulehnen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass ebo dem Robespierrismus (Staat als Tugendwächter der Nation) etwas abgewinnen kann.
Peter Nemschak
19. Januar 2014 @ 11:05
@ebo Das Investieren in irische und spanische Hypotheken mag eine ökonomische Fehlentscheidung gewesen sein, aber nicht strafrechtlich relevant. Allzu lockere staatliche Regulierung – die Möglichkeit außerbilanzieller Veranlagungen – hat dieses Verhalten verstärkt. Wurden Strafgesetze verletzt? Meines Wissens nicht, zumindest nicht systematisch. Der Grund für das Verhalten der beiden genannten Banken, aber auch der deutschen Industriekreditbank, einer ehemals biederen im öffentlichen Eigentum (KfW) stehenden Mittelstandsbank, die sich im US-Subprime Markt verspekuliert hat, liegt tiefer, meines Erachtens in der seit Jahren andauernden Überkapazität im europäischen Bankwesen. Wenn zu viele Banken einer beschränkten Kundenanzahl nachjagen, ist die Versuchung groß, in Finanzanlagen, auch solchen, die man nicht wirklich versteht, zu investieren, insbesondere wenn das Rating den falschen Eindruck von geringem Risiko vermittelt. Die deutschen Landesbanken sind jahrelang durch die Haftung ihres jeweiligen Bundeslandes an billige Refinanzierung herangekommen und haben diese schon Jahre vor der Finanzkrise in den USA verspielt (Dot-Com Blase). Wenigstens ist inzwischen die Landeshaftung auf Druck der EU abgeschafft worden. Welcher Landespolitiker, egal welcher politischen Ausrichtung, hätte es gewagt, die Landesbanken schon vor Jahren geordnet abzuwickeln? Diese Fehlentwicklungen zeigen, dass ein wirksames Bankeninsolvenzrecht, das die Kleingläubiger schützt, aber die Großen in die Pflicht nimmt, dringend erforderlich ist. Die implizite Haftung der Staaten, zumindest aller größeren europäischen, aber auch des amerikanischen Staates für die Mega (too big to fail)-Banken hat Fehlentwicklungen Vorschub geleistet. Fehlentscheidungen, oft auch Fehlverhalten (Gesetzesbruch) von Banken, muss die Bankwirtschaft sich zurechnen lassen, allerdings hat Politikversagen den Boden dafür bereitet.
Strafrechtlich widerspreche ich ebo, aber hinsichtlich des Prinzips Haftung gebe ich ihm voll recht. Wer finanziell nichts zu verlieren hat, neigt zum Leichtsinn im Umgang mit Geld, vor allem mit fremden Geld. Ein privater Investor, dessen Kapital Verlustrisiko trägt und im Schadensfall von keinem Steuerzahler ersetzt wird, wird sich das Geschäftsmodell von Banken und deren Führung genau ansehen, bevor er sich von seinem Geld trennt.
ebo
18. Januar 2014 @ 21:29
Das ist ja gerade der Grund meiner Frage. Offenbar brauchen wir neue Gesetze, die bestimmte Finanzdelikte unter Strafe stellen. Zumindest sollten Verstöße gegen die neuen Mifid-Regeln bestraft werden. Es kann doch nicht angehen, dass Staaten und ihre Bürger von der EU sanktioniert und zur Kasse gebeten werden, während die Verantwortlichen in Banken, Börsen, Schattenbanken etc. mit Prämien nach Hause gehen…
Tim
18. Januar 2014 @ 22:22
@ ebo
Bei der US-Hypothekenkrise liegt der Fall natürlich etwas anders, aber bei der sog. Eurokrise haben die Banken exakt das getan, was die Politik von ihnen erwartet hat und was so auch codifiziert wurde: Kredite an Staaten vergeben, denen man unter normalen Umständen eigentlich keine Kredite geben sollte/würde.
So unsympathisch einem die Banker auch manchmal sind, in diesem Fall kann man ihnen keinen Vorwurf machen.
Wir brauchen auch keine neuen Strafvorschriften. Es würde vollkommen reichen, wenn Euro-Staatsanleihen als Risiko betrachtet werden müßten und es keine implizite Staatsgarantie für Banken gäbe. Strengere Eigenkapitalvorschriften (statt immer mehr Unsinnsregulierung) wäre auch mehr als sinnvoll, aber dagegen wehrt sich die Branche ja mit allem, was sie hat – weil das genau der Punkt ist, der ihr weh tut.
ebo
18. Januar 2014 @ 23:35
@Tim
Das klingt zwar plausibel, doch es geht von der These aus, dass die Eurokrise im Kern eine Staatsschuldenkrise war. Dabei trifft dies eigentlich nur auf Griechenland zu.
In Irland, Spanien und auf Zypern hatten wir es mit Bankenkrisen zu tun, bei denen Kredite an Staaten zunächst mal keine Rolle spielten. Danach gingen die Renditen für Staatsanleihen derart in die Höhe, dass die Staaten selbst in die Krise rutschten.
Auch in Deutschland stellen sich viele Fragen. Die Banker von WestLB und HypoRealEstate haben keine griechische Staatsanleihen gekauft, sondern in irische oder spanische Immobilien investiert. Viele haben ihr Limit und ihr Mandat überschritten, denn wieso musste die WestLB in Irland aktiv werden?
Da muss doch die Frage erlaubt sein, ob dies strafrechtliche Konsequenzen haben soll…
Tim
19. Januar 2014 @ 20:51
@ ebo
Die Südstaaten waren schon vor mehr als 10 Jahren überschuldet. Das sprang (und springt) uns nur deshalb nicht ins Auge, weil wir uns alle an ungesunde Verschuldungsquoten weit über 60 % gewöhnt haben. Staaten mit zukunftsträchtiger Wirtschaftsstruktur mögen das aushalten können, aber Griechenland, Italien, Portugal und auch Frankreich waren schon damals nicht auf die wirtschaftlichen Herausforderungen vorbereitet. Keines dieser Länder hätte sich als Nicht-EU-Land so günstig finanzieren können. Die geringe Zinslast in dieser Zeit ist ganz überwiegend darauf zurückzuführen, daß ihre Staatsanleihen qua EU-Richtlinie als Nullrisiko galten.
Nicht vergessen: Die letzten 15 Jahren waren die Zeit des sensationellen Aufstiegs von Ländern, die besonders stark mit den Produkten unserer Problemstaaten konkurrieren. Diese haben auf die Herausforderung aber strukturell überhaupt nicht reagiert. Kein ordentlicher Kaufmann hätte in dieser Zeit eine Kreditlinie an z.B. Portugal verlängert.
Bei Irland und natürlich vor allem Spanien liegt der Fall anders. Hier haben Privatwirtschaft und Haushalte ja einen schuldenfinanzierten Blasen-Boom ausgelöst, durch den die staatliche Verschuldungsquote erst einmal scheinbar zurückging.
In diesen Fällen würde ich Dir zustimmen, daß eventuelle Verfehlungen von Bankern nicht aufgearbeitet wurden. Wenn es Überschreitungen von Limits und Mandaten gab, würde es ja wahrscheinlich um Untreue gehen. Daß keine Bank ein Interesse an einer Aufarbeitung hat, kann ich allerdings verstehen, selbst bei Verurteilungen würde der Schaden ja doch nicht auch nur ansatzweise wiedergutgemacht werden können.
Und der Staat hat ebenfalls kein Interesse, da (zumindest in Deutschland) die BaFin ja alle Fakten jederzeit auf ihrem Schreibtisch hatte und trotzdem kein bißchen stutzig geworden ist.
ebo
19. Januar 2014 @ 23:10
@Tim
Wer sind denn “die Südstaaten”? Spanien kannst Du nicht meinen, das war nämlich nicht überschuldet. Italien war es, es ist jedoch nicht unter dem Rettungsschirm,. sondern zählt – wie Deutschland – zu den Geberländern. Auch Zypern war nicht überschuldet, es hatte eine Bankenkrise – genau wie Irland. Bleibt Griechenland. Und: wurde da irgendjemand für seine Verfehlungen bestraft – außer dem gemeinen Volk, natürlich?
fufu
17. Januar 2014 @ 19:20
Herr Nemschak, “massive Strafen” ist wohl “massiv uebertrieben”. Die Strafen waren in Relation zum nachweislich angerichteten Schaden sehr milde.
Peter Nemschak
18. Januar 2014 @ 05:15
Tim hat recht. Wenn keine Gesetze gebrochen werden, gibt es keinen Grund für Strafen, ein grundlegendes Prinzip des Rechtsstaates. Menschliche Unvernunft und Unmoral sind strafrechtlich irrelevant – Gott sei Dank. Würde man die “Tugendlosen” bestrafen, hätten wir eine Terrorjustiz, wie sie Frankreich während der Revolution und andere Diktaturen später gekannt haben.
Peter Nemschak
17. Januar 2014 @ 15:04
@ebo Nicht einmal Mord lässt sich durch Strafen verhindern. Gesetzesverstöße gegen das Bankwesengesetz und ähnliche Gesetze werden bereits jetzt bestraft, nicht nur auf Unternehmensebene sondern auch bei den handelnden Personen. Dies passiert in zunehmendem Umfang zwischen Bankaufsicht und Vorständen, denen Fehlverhalten nachgewiesen wird. Meines Wissens sind diese Strafen ähnlich wie Verkehrsstrafen auch steuerlich nicht abzugsfähig. Unternehmerische Fehlentscheidungen sind straffrei. Sonst könnte eine Wirtschaft nicht funktionieren. Während Insolvenzen in Europa nach wie vor mit einem gewissen gesellschaftlichen Stigma behaftet sind, ist dies in den USA nicht der Fall.
Tim
17. Januar 2014 @ 12:22
Strafen hätten zunächst natürlich einmal die BaFin-Mitarbeiter verdient, die – trotz weitgehender Einsichts- und Eingriffsrechte – im Vorfeld der Krise von ihr nichts mitbekommen haben.
Dann natürlich die Politiker aus den 90ern, die die Konstruktionsfehler des Euro-Systems zu verantworten haben.
Und dann die Politiker von heute, die bislang keinen einzigen dieser Konstruktionsfehler behoben haben.
Peter Nemschak
17. Januar 2014 @ 14:26
Politisches Versagen ist ebenso wie ökonomisches Versagen strafrechtlich irrelevant. Die Folgen ersterens sind Abwahl, die letzterens Konkurs.
ebo
17. Januar 2014 @ 14:39
@P Nemschak
Das ist eben die Frage. Ich fürchte, wir werden ökonomisches Versagen mit strafrechtlichen Sanktionen belangen müssen, wenn wir neue Banken-, Finanz- und Eurokrisen vermeiden wollen. MiFID reicht erkennbar nicht aus. Was das politische Versagen betrifft, so reichen die Mechanismen ebenfalls nicht. Oder können Sie die EU-Kommission oder die Troika abwählen? Eben.
Tim
17. Januar 2014 @ 15:53
@ ebo
Was ist denn bitte den Bankern strafrechtlich vorzuwerfen, die bis etwa 2008 Kredite an – gemäß EU-Richtlinie – völlig sichere Schuldner wie Griechenland oder Portugal vergeben haben?
Die sogenannte Eurokrise basiert ja nun eben keinesfalls auf einer obskuren Zockerei, sondern auf dem langweiligsten aller Kreditgeschäfte.
Peter Nemschak
17. Januar 2014 @ 11:58
In den USA gab es massive Strafen im Zusammenhang mit dem Verkauf von wertarmen Immobilienpapieren, in Europa wegen Marktmanipulationen (Libor). Ich frage mich, ob die Deutsche Bank, die bereits massiv bestraft wurde, ausreichend für weitere Prozesse Rückstellungen gebildet hat. Nur: wie wir wissen, können Strafen Fehlverhalten leider nicht verhindern.