Tsipras’ Coup
Fast könnte man meinen, Tsipras habe von Schäuble gelernt. Genau wie der deutsche Finanzminister versucht nun auch der griechische Premier seinen Coup – und löst per Rücktritt Neuwahlen aus.
In Frankreich hat man für dieses gewagte, handstreichartige Vorgehen einen Begriff: den “permanenten Staatsstreich”. So nannte Ex-Präsident Mitterand die Politik seines Erzrivalen De Gaulle.
Der Coup in Athen ist zwar nicht permanent, aber doch ziemlich pertinent: Er begann mit Tsipras Wahl im Januar mit einem linken Ticket – und könnte mit seiner Wiederwahl unter neoliberalen Vorzeichen enden.
Neoliberal ist jedenfalls das Programm, das Tsipras in Brüssel unterschrieben hat und das er nun vertritt – auch wenn er die Härten abfedern und den IWF durch das Europaparlament ersetzen will.
Ist Tsipras der griechische Schröder?
Kann das gut gehen? Viele in Brüssel wünschen es sich, manche sehen in Tsipras schon einen Schröder. Der hatte mit seinen Hartz-Reformen ja auch die Partei geopfert und das Land “gerettet”.
Dummerweise verspricht Tsipras’ Programm keine Rettung, sondern einen Ausverkauf, wie das gerade geleakte Privatisierungs-Programm belegt.
Zwar gilt nun auch in Athen: “Sozial ist, was Arbeit schafft”. Doch Arbeit wird erstmal massiv vernichtet werden, jede sozialpolitische Flankierung der neoliberalen Politik fehlt.
Für EUropas Eliten läuft es gut
Kurz: Es kann nicht gut gehen, jedenfalls nicht für die Griechen. Es kann aber einigermaßen gut gehen für die europäischen Eliten, die ihr EUropa beinahe in den Abgrund geritten hätten.
Tsipras jedenfalls benimmt sich schon so, als gehöre er dazu – zu den Schäubles, Schulzens und all den anderen EU-Politikern, die für den Erhalt ihrer Macht sogar den permanenten Staatsstreich wagen…
GS
25. August 2015 @ 21:38
Meine Vermutung ist, dass Tspiras versucht, Syriza als neue linke Regierungspartei zu positionieren, nachdem Pasok ja nun zertrümmert ist. Also im Grunde alles wie gehabt, nur dass Tsipras und seine Gang mehr Glaubwürdigkeit im Volk genießen…noch.
Andres Müller
23. August 2015 @ 08:13
@OXIgen Betrifft: Syriza reformieren, also „marktkonform“ > “Mittelinks-Bewegung”
Das ist ein Widerspruch an sich und die Ursache warum es auch mit der Sozialdemokratie in Deutschland seit Jahren abwärts geht. Es kann keine marktkonforme Linke mehr geben, weil sich der Kapitalismus sei vielen Jahren über die soziale Marktwirtschaft erhoben hat um diese zu zerstören. Bei uns in der Schweiz haben das die aktuelle Parteispitze um Herrn Christian Levrat wenigstens bemerkt. Ziel der Sozialdemokratie muss die Überwindung des neoliberalen Kapitalismus sein. Ursache für die Zerstörungskraft des globalisierten Kapitalismus scheint zu sein, dass führende Nationen wie die USA unter Reagan sich entschlossen hatten mit Diktaturen wie China wirtschaftlich zusammenzuarbeiten. Dadurch werden Schritt für Schritt die sozialen Errungenschaften des Westens solange zerstört, bis dass sich die politischen Strukturen der neuen Realität dieser Form der Konkurrenz entsprechend angepasst haben. Die Demokratie hört auf in der Realität zu existieren, so wie Tsipras aufgehört hat weiterhin ein linker Politiker sein zu können. Im Prinzip transformierte er zum Horror -Clown , zum Economic Hitman im Auftrag der Finanzmärkte (so wie das was aus Joschka Fischer wurde, eine Art linkes Horror -Gespenst das bei Bilderberg nachbearbeitet wurde).
winston
22. August 2015 @ 22:23
An Griechenland sieht man gut was die Eurokraten unter europäische Integration verstehen.
Da sieht man sehr deutlich die extrem neoliberale Richtung dieses Konstrukts.
Zu Tsipras gibt’s nur 2 Möglichkeiten: a) entweder war er unglaublich naiv und glaubte tatsächlich er könne mit seinem hirnrissigen: ” wir wollen keine Austerität aber den Euro behalten” Europa verändern oder b) er ist ein Verräter. Ich tendiere zu b.
Selbsverständlich wird das 3° Rettungsprogramm Griechenland nicht Retten und wird genau wie die 2 vorherigen auf ganzer Linie scheitern.
OXIgen
22. August 2015 @ 01:05
@ebo
Nein, Tsipras ist nicht der griechische Schröder. Denn Tsipras hat mit seiner Unterwerfung das Land geopfert, um die Partei zu retten. Das mag paradox klingen, aber es ist so.
Als dieser charismatische junge Mann im Januar seinen Höhenflug antrat, wollte er nichts geringeres, als ganz Europa umzukrempeln, den menschenfeindlichen Neoliberalismus aufzubrechen und die Sozialdemokratie wieder auf die Beine zu bringen. Sowohl er als auch sein damaliger FinMin Varoufakis dachten in den ganz großen Kategorien, sahen sich schon als die Helden eines Europäischen Frühlings – und verloren darüber ihr armes gebeuteltes Griechenland aus den Augen. Das Modell Syriza, unterstützt von Podemos, sollte Europas Süden aus der Austeritätsfalle befreien und den großen Wandel einläuten. Wie dieser Höhenflug endete, wissen wir ja nun.
Tispras hat schwere, unverzeihliche Fehler gemacht, aber er hat bei seinem Höllenritt durch das Schäublesche Fegefeuer gelernt, wie das Spiel geht. Ein gnadenloses Spiel, das brutale Opfer fordert. Wenn er oben bleiben will, dann muss er die Syriza reformieren, also “marktkonform” anpassen, das Programm von Thessaloniki schreddern, und die Partei ganz geschmeidig in Richtung einer Mittelinks-Bewegung führen. Das geht aber nicht so einfach, wenn sich ein gutes Drittel der Syriza diesem ideologischen Verrat zu Recht nicht beugen will. Dass er auf ein Misstrauensvotum verzichtet hat, spricht Bände, es hätte ihn völlig entblößt.
Mag sein, dass er von Schäuble gelernt hat. Wahrscheinlicher aber hat er vor allem von Merkel & Hollande gelernt, wie man eine katastrophale Niederlage in einen Erfolg umdeuten kann. Tatsächlich geriert er sich inzwischen sehr staatsmännisch, wie dereinst ein gewisser Joschka, als selbiger seine alten Turnschuhe gegen rahmengenähte Krokoslipper aus der Savile Row tauschte.
Egal wie es ausgeht, es wird auf keinen Fall gut gehen.
luciérnaga rebelde
21. August 2015 @ 17:26
“den Schäubles, Schulzens und all den anderen EU-Politikern, die für den Erhalt ihrer Macht sogar den permanenten Staatsstreich wagen…”, hat aber keiner durchgeführt ausser De Gaulle, der beim negativen Volksentscheid zurüchktrat, und jetzt Tsipras…
Andreas
21. August 2015 @ 12:57
Welche Daten? Die Daten sind doch selbst keineswegs “neutral”. In einer arbeitsteiligen Gesellschaft beginnt die Verteilung des BIP bereits mit/ vor seiner Erzeugung, nicht nachträglich. Die nachträgliche Verteilung ist nur sogar für Blinde sichtbar…
luciérnaga rebelde
21. August 2015 @ 11:45
Sehen Sie sich mal diesen Dokufilm an, es lohnt sich. Uebrigens, ganz ähnlich sieht die Lage in Spanien aus, ausser dass dort eine fast extreme Rechte am Ruder ist -und voraussichtlich auch bleiben wird, die natürlich von den Eliten geschont wird
Griechenland – Ferien im Pleitestaat – Wohin fließt das Geld der Touristen? – betrifft – SWR HD – YouTube – https://www.youtube.com/watch?v=Md7vXqtjNcs
http://info.arte.tv/de/prinzip-hoffnung-die-welt-des-alexis-tsipras
Peter Nemschak
21. August 2015 @ 11:25
Auf den Punkt gebracht: die Wirtschaftsdaten Deutschlands sprechen eine andere Sprache als die Ihre. Durchaus möglich, dass sich die Menschheit kollektiv umbringt. Gibt es überhaupt Arten, die seit Beginn des Lebens überlebt haben?
Andreas
21. August 2015 @ 10:13
@Nemschak: es gibt keine neoliberale Politik…, nur dann ist Neoliberalismus konsistent… Wenn es keine Wahl gibt, gibt es keine Kontingenz, und wenn es keine Kontingenz gibt, gibt es keine Menschen mehr, alles wird zum technisch-maschinellen Problem (siehe Heideggers Ge-Stell). Jetzt muss man dies noch auf die Aussage beziehen: woher soll der Reichtum kommen, der verteilt wird. Der Reichtum entsteht nämlich außerhalb neoliberaler Denkfiguren mit der Verteilung oder die Verteilung beginnt mit der Erschaffung des Reichtums. Wer sinnlose Fragen stellt, erhält nur selten sinnvolle Antworten… Bleiben wir also skeptisch. Man kann ein Volk nicht davon abhalten, sich ins Unglück zu stürzen, weil es “Führung” will, wusste schon Cicero… In einem sehr alten Buch steht: ein jedes unter der Sonne hat seine Zeit… (gilt auch für Imperien). Und diese sollten wir nicht mit dem Haschen nach Wind zubringen (ebd.) “Schröder hat das Land gerettet”: das war Satire, denke ich (schon der Nationalismus darin zeigt schwerwiegende geistige Störungen an. Man erkennt auch die alte verborgene Verbindung von “freier Wirtschaft” und “Staat”, zusammen gekittet vom “Populus”, die Sprache verhüllt und sie enthüllt auch…). Er hat einer konservativen Projektion zum Durchbruch verholfen, und intelligentere Konservative werden das noch bereuen… Tsipras hat vielleicht den anderen Machiavelli verstanden, er hat dasselbe Stockholm-Syndrom, die (Über)-Identifikation mit den Tätern (wenn man V. beim Wort nimmt, wurde GR ja fiskalisch “gefoltert” wie Machiavelli vom “Fürsten”). Ein griech. Mandela wäre also notwendig (mehr Resilienz). Oder die Abberufung Brünings. Noch ein Wort: man hat immer eine Wahl. Kontingenz ist Teil der conditio humana. Und wenn diese aufhört zu existieren, dann stört das den Planeten nicht im geringsten. Wer also Kontingenz bestreitet, ist jemand, der grundsätzlich bereit ist hinzunehmen, dass die Menschheit sich kollektiv umbringt. Und wer ist das? Psychopathen und Soziopathen. In der Nuss wird die Welt ganz klein…
Peter Nemschak
21. August 2015 @ 08:01
Die Wahlen wurden kurzfristig angesetzt, bevor die Griechen das Sparpaket spüren – sehr geschickt, das muss man ihm lassen. Die Antwort auf die Frage, wie der linke Flügel der Syriza seine sozialpolitischen Ambitionen finanziert hätte, wird man wohl nie bekommen. Welche flankierenden Maßnahmen Tsipras setzen wird, bleibt spannend. Wer neoliberale Politik kritisiert muss darlegen, woher der Reichtum kommen soll, der verteilt werden kann.
DerDicke
21. August 2015 @ 07:53
Schröder hat das Land gerettet? Echt jetzt?
Er hat seinem Kumpel Maschmeyer durch die Gesetzgebung ein paar indirekte Millionen zugeschanzt.
Er hat mit Hartz4 die Zwangsarbeit in Deutschland wieder eingeführt.
Ja, das ganze geseiere vom “kranken Mann Europas”. Hat man gebraucht, um die Sozialstandards zu senken und einen breiten Niedriglohnsektor zu etablieren, die Konservativen wären ans Kreuz genagelt worden wenn sie versucht hätten, die selben Gesetze zu verabschieden. Genosse der Bosse.
90% der Menschen in Deutschland geht es seitdem schlechter. Gewinner sind die Konzerne, die privaten Arbeitsvermittler und Zeitarbeitsfirmen.
Peter Nemschak
21. August 2015 @ 08:51
Ob mehr Arbeitslose die bessere Alternative gewesen wäre?
DerDicke
21. August 2015 @ 09:49
Wenn sie eh nur arbeiten, um das produzierte ins Ausland zu verschenken (= gegen uneinbringbare Forderungen exportiert) – ja. Wenn ihr Arbeitgeber ohnehin nur überlebensfähig ist, wenn er Aufstocker beschäftigt – ja, den dadurch werden außerdem Arbeitgeber geschädigt, die noch anständige Löhne zahlen. Wenn sie als 1-Euro-Jobber im Staatsdienst den selben Job machen, den ein Jahr zuvor noch eine reguläre bezahlte Vollzeitkraft -ja.
popper
21. August 2015 @ 11:17
Herr Nemschak, Sie verwechseln da etwas. Nicht die Arbeitslosenzahlen wurden durch Hartz IV verbessert, sondern die Statistik wird bis zum heutigen Tage zum Erbrechen geschönt. Bei einer statistischen Aufbereitung, wie sie noch vor 2005 vorgenommen wurde, haben wir heute sogar mehr Arbeitslose als 2005.