Imperiale Vollmachten
Die EU-Kommission bereitet neue, harte Sanktionen gegen Russland vor. Sie sollen ohne Rücksicht auf eventuelle Folgen für die deutsche Wirtschaft verhängt werden, sagt Finanzminister Schäuble. Es ist nicht die einzige Anomalie in dieser Affäre.
Wenn ein Politiker wie Schäuble behauptet, Prinzipien seien wichtiger als Interessen, sollte man aufhorchen. Dann ist etwas faul im Staate EUropa.
Und in der Ukraine-Krise ist vieles faul, sogar oberfaul. Das fängt damit an, dass wir ein Land “verteidigen”, das nicht einmal EU-Mitglied ist.
Und es geht so weit, dass wir nun Wirtschaftssanktionen gegen Russland verhängen sollen, noch bevor irgendwelche Beweise etwa in der Abschussaffäre vorliegen.
Besonders dubios ist dabei die Rolle der EU-Kommission. Eigentlich ist es ihre Aufgabe, die europäische Einigung durch wirtschaftliche Kooperation voranzubringen.
Insbesondere die Handelspolitik, in der die Kommission allein agieren kann, ist dazu gedacht, die EU und ihre Partner zusammenzubringen – und nicht zu trennen.
Doch in der Ukraine-Krise wird das alles auf den Kopf gestellt. Handel dient plötzlich als Waffe, die EU-Kommission wird mit ökonomischer Kriegsführung betraut.
Weil dies in den EU-Verträgen nicht vorgesehen war, wird nun in aller Eile die Rechtsgrundlage geändert. Genau wie in der Eurokrise wird das Recht zurechtgebogen.
Was mich dabei besonders empört ist, dass Deutschland und die anderen EU-Staaten Brüssel erneut mehr Macht geben. Noch dazu in einem Bereich, der die EU per Definition nichts angeht.
Die Union wird von einem auf Frieden und Völkerverständigung verpflichteten Wirtschaftsclub in ein Imperium mit aggressiven Zügen umgepolt.
Und das alles von nicht gewählten Eurokraten, ohne demokratische Entscheidung. Brüssel erhält die Lizenz zum Töten – jedenfalls auf dem Feld der Wirtschaft. Die imperiale Vollmacht kommt auf dem Verordnungsweg.
Für mich ist es der zweite große Missbrauch der EU, nachdem die Kommission in der Eurokrise das Recht erhielt, ganzen Staaten die Politik zu diktieren – und Millionen Menschen in Arbeitslosigkeit und Armut zu schicken.
Dabei hatten doch alle nach der Eurokrise geschworen, Brüssel nicht noch mehr Macht zu geben – oder wenn, dann nur mit entsprechender demokratischer Kontrolle.
Vor allem Herr Schäuble hat sich mit Demokratie-Floskeln hervorgetan. Jetzt will er sogar die Interessen seines eigenen Landes übergehen – wer hat ihn dazu eigentlich beauftragt?
P.S. Dieser Beitrag wurde von R. J. Ellroys Roman “Die Anonymen” inspiriert, in dem es um den Geheimkrieg der USA gegen Nicaragua und die Folgen geht…
Tim
29. Juli 2014 @ 20:37
Der positive Aspekt an der Sache ist, daß nun bald auch dem letzten Europäer klar sein dürfte, daß die EU seit langem auf einem falschen Kurs ist und es so nicht mehr weitergeht. Auf Vernunftpolitik kann man in Europa nicht hoffen, also müssen wir unsere Hoffnung auf noch mehr Irrsinn setzen.
Baer
30. Juli 2014 @ 09:57
@Tim- genau so sehe ich das auch , und vor allem,was die USA betrifft,denn die Amerikaner lügen und manipulieren bereits so lange , dass ohne Fakes, Lügen und sonstigen Manipulationen das Kartenhaus schlagartig implodieren würde
niklgramm
29. Juli 2014 @ 17:30
Grandios, wie die EU sich selber ins Knie schießt: Nachdem sie schon mit ihrem Austeritätswahn jede Hoffnung auf einen Wirtschaftsaufschwung in Europa zunichte gemacht hat, läßt sie sich jetzt vollends vor den Wagen der USA spannen… Die Euro-Kaiserin Angela als Satrapin des Oberkaisers Obama?
Baer
30. Juli 2014 @ 10:16
Genau so ist es. Anstatt sich mit einem über viele Jahre zuverlässigen Partner (Russland) enger zu verbünden,um sich vom Gängelband einer untergehenden Macht zu befreien , versucht man in vorauseilendem Gehorsam noch päpstlicher als der Papst zu sein. Einfach nur noch erbärmlich , aber wir wollten diese Elite doch haben, oder sehe ich das falsch???
Peter Nemschak
28. Juli 2014 @ 15:39
@ebo Ich fühle mich in dieser Frage nicht als neutraler Österreicher. Die Politik Österreichs ist ausschließlich von wirtschaftlichem Opportunismus geprägt. Geht die Sache letztlich gütlich aus, was die politische Elite Österreichs im Stillen unterstellt und wovon auch ich nach wie vor überzeugt bin, wird die jetzige außenpolitische Haltung jedenfalls kein Schaden für Österreich sein. Im gegenteiligen Fall war man mit seiner Politik nicht allein. Was nicht nur mich viel mehr beunruhigt, dass die transatlantische Wertegemeinschaft (Rechtsstaat und Demokratie) von vielen Menschen gering geschätzt wird. Dass die Welt keine überzeugende real existierende Alternative zu bieten hat, wird zur Seite geschoben. Der österreichische Der Standard.at brachte vor einigen Tagen ein Interview mit dem deutschen Historiker Heinrich August Winkler, der sich ähnlich geäußert hat.
DerDicke
28. Juli 2014 @ 19:03
Rechtsstaat und Demokratie. Lange ist es her. Damals, vor 9/11, vor Guantanamo, vor den Drohnenmorden im nahen Osten, vor der Liquidierung von Menschen ohne Verfahren nur aufgrund von Indizien, vor der “wir hören ALLES ab”-NSA, vor obskuren Anti-Terrorlisten auf die jeder kommen kann, vor staatlicher Willkür. Also vor ca. 20 Jahren, da hätte ich ihnen recht gegeben.
Ich sehe mittlerweile kaum noch Werte, die der Westen nicht nur lautstark verkündet, sondern die ihm selbst auch noch etwas bedeuten. Werte gibt es nur noch, um auf andere mit dem Finger zu zeigen. Aber nicht mehr, um seine Kultur daran auszurichten.
Peter Nemschak
29. Juli 2014 @ 09:07
Auch westliche Demokratien sind nicht perfekt, aber korrekturfähiger als autokratische Regime. Selbst wenn man das Schlechte ablehnt, sehe ich keine Logik darin das Schlechtere vorzuziehen.
DerDicke
29. Juli 2014 @ 15:35
Ich sehe seit 10 Jahren nur “Korrekturen” von schlecht zu schlechter im Westen.
Was bitteschön hat sich verbessert, und welche Freiheiten wurden mit dem Totschlagargument “Terrorismusbekämpfung” alles beschnitten?
Wer in der Demokratie schläft wacht in der Diktatur auf. Ich geben “dem Westen” keine 10 Jahre mehr.
Baer
28. Juli 2014 @ 10:17
Braucht Herr Schäuble denn einen Auftrag ? Herrscher erteilen Aufträge ,bekommen aber keine , das sollte doch nun wirklich bekannt sein.
Man sollte ein solches Vorgehen beim EUGH einklagen und dafür sorgen, dass endlich diese Kriegstreiber am Gängelband der USA von der Bildfläche verschwinden.
Nach dem die USA schon wieder Beweise gegen Russland vorbringt ,ohne diese zu belegen,wird immer klarer, das Amerika von einer Lüge zur nächsten gezwungen wird, und zwar durch sich selbst.
Wer von einer Lüge in die Nächste stolpert kann irgendwann gar nicht mehr ohne Lüge auskommen, weil sonst das Kartenhaus zusammenbricht.
Warum wird derzeit das Absturzgebiet von MH17 so umkämpt ? ist doch klar – man will Beweise gegen die Ukraine und damit gegen Amerika mit allen Mitteln verhindern.
Wenn man damit zugleich weiter Schulzuweisungen geen Russland verbinden kann – um so besser.
Mittlerweile müsste eigentlich der Dümmste merken, welches Spiel die USA treiben…
Peter Nemschak
28. Juli 2014 @ 08:33
Wenn man grundsätzlich gegen Sanktionen ist, ist ihre Logik berechtigt. Wenn man allerdings Sanktionen befürwortet, darf man nicht Angst vor der eigenen Courage haben. Sonst sind sie unglaubwürdig und daher wirkungslos. Man muss akzeptieren, dass es eben verschiedene Ansichten darüber gibt, was die EU sein soll und auch darüber, was dem Frieden in Europa langfristig besser dient.
ebo
28. Juli 2014 @ 11:17
Genau wie Helmut Schmidt halte ich Sanktionen für ziemlichen Unsinn. Hier geht es aber nicht um normale Sanktionen, sondern um einen regelrechten Wirtschaftskrieg gegen ein Land, das noch vor kurzem ein strategischer Partner der EU war (und zum Teil selbst zu Europa gehört). Diese Strafen werden unilateral, ohne Rücksicht auf UNO und andere zuständige Organisationen verhängt. Um dies möglich zu machen, wird die EU-Kommission mit neuen exorbitanten Kompetenzen ausgestattet, die ihren Charakter grundlegend verändern. Dazu wird handstreichartig das EU-Recht verändert, und das ohne demokratische Entscheidung, geschweige denn Kontrolle… Das sollte jedem Demokraten zu denken geben, auch Ihnen, Herr Nemschak!?
Peter Nemschak
28. Juli 2014 @ 13:09
Die Kommission kann von sich aus nur Sanktionen verfügen, wenn sie von den Nationalstaaten dafür ermächtigt wurde. So gesehen müssen Sie ihre Kritik an die Mitgliedsstaaten richten. Dass ein strategischer Partner der EU Gebiete von Nachbarstaaten der EU annektiert und diese gezielt destabilisiert, kann doch nicht folgenlos hingenommen werden. Die seit den 90-iger Jahren schleichende Abwendung Russlands von seiner Westorientierung wurde bis vor kurzem, von einer breiteren Öffentlichkeit unbemerkt, aus wirtschaftlicher Opportunität hingenommen. Dass sich das politische Umfeld abrupt ändern kann, hat vor einigen Tagen der Historiker Christopher Clark (The Sleepwalkers) in seiner Eröffnungsrede bei den Salzburger Festspielen treffend angemerkt, ebenso, dass wir blind gegenüber der Zukunft sind. Er sieht die Situation in Europa, wo institutionelle Mechanismen, u.a. die OSZE, zur Konfliktlösung bestehen, allerdings weit weniger dramatisch als in Asien, wo mehrere Konfliktlinien aufeinandertreffen und institutionalisierte Lösungsmechanismen fehlen. Ich halte den derzeit in Europa um sich greifenden rosa/grün, oft auch bräunlich gefärbten Nationalpazifismus für weit gefährlicher als das von Ihnen verdammte “aggressive Verteidigungsbündnis” – Verhalten der EU.
ebo
28. Juli 2014 @ 13:20
Die EU hatte bis vor kurzem nichts mit der Ukraine zu tun. Die Garantiemachte waren UK und USA. Dass nun ausgerechnet Sie als neutraler Österreicher vor Nationalpazifismus warnen ist wenig überzeugend.
Baer
29. Juli 2014 @ 14:38
Sehr geehrter Herr Nemschak,
sollten Sie ,was ich nicht glauben kann, tatsächlich der Meinung sein, Amerika sei ein demokratisches Land ,kann ich Sie nur bitten etwas genauer hinzuschauen.
Amerika biegt sich jede Wahrheit so lange zurecht, bis sie öffentlich gemacht werden kann.
9/11 ,Irak, Libyen, Syrien und jetzt die Ukraine.
USA will Krieg ,und wenn nicht ein Wunder passiert, werden Sie ihn auch bekommen(mit gefälschten Beweisen etc.)
Wo bleiben denn jetzt die Terroristen, die in USA wieder zuschlagen, oder hat die NSA wiedermal alle Verbrechen aufgeklärt , bevor sie geschehen wären?
Die Medaille hat immer zwei Seiten, in USA nur eine…..