Letta spricht es aus
Italien fordert einen Politikwechsel zur Lösung der Eurokrise. Sparen und kürzen ohne Aussicht auf Besserung reiche nicht, sagte Premier Letta in Brüssel. Damit geht er auf Konfrontationskurs zu Kanzlerin Merkel, die im Wahlkampf ein “weiter so” verspricht. Wie Letta denken viele in Brüssel.
Bei einer Rede vor dem Thinktank “Bruegel” (Video hier) warnte Letta, dass der Aufschwung “anfällig” sei und durch eine neue Politik abgesichert werden müsse. Dazu nannte er drei Punkte:
- Strukturreformen: Italien sei weit gekommen; der Haushalt weise einen hohen Primärüberschuss (vor Schuldendienst) auf. Doch die Bürger müssten nun die Früchte ihrer Mühen sehen. Letta sprach sich für “gezielte ökonomische Anreize” aus.
- Binnenmarkt: Der Premier warnte vor einer Rückkehr des “ökonomischen Nationalismus”. Die EU müsse sich um die Schaffung “europäischer Champions” kümmern, vor allem im Telekom-Bereich sei dies wichtig.
- Gerechte Lastenteilung: Die Eurozone brauche mehr Solidarität. Leider gebe es “Widerstand gegen eine Transferunion”, so Letta. Wenigstens müsse man aber eine “Fiskalkapazität” schaffen, das nach einiger Zeit auch Anleihen begeben soll.
Im Klartext: Letta fordert ein Euro-Budget, aus dem reformeifrige Länder mit Finanzspritzen belohnt werden. Damit liegt er auf einer Linie mit Frankreichs Präsident Hollande: er will dieses Budget schon im Herbst durchsetzen – gegen Merkel.
Zudem spricht er sich für Eurobonds aus – wenn auch nur langfristig. Damit stützt er das Europaparlament, das sich ebenfalls für Gemeinschaftsanleihen ausgesprochen hat. Auch hier sagt die Kanzlerin Nein.
Zwar erwähnte Letta Merkel mit keinem Wort. Doch indirekt sprach er aus, was viele in Brüssel denken: die Politik des Kürzens und der Agendapolitik ohne Wachstums-Perspektive lässt sich nicht mehr lange durchhalten.
In Italien werde Europa nicht länger als Lösung, sondern als Problem gesehen, warnte Letta. Die Eurozone müsse endlich “von Regeln zur Substanz” übergehen. Zu deutsch: der regelbasierte Ansatz von Merkel & Co. reicht nicht mehr aus, die Menschen wollen Resultate.
“Auf die Opfer und Zumutungen muss ein gelobtes Land folgen”, so Letta. Kaum dass er aus Brüssel abgereist war, wurde bekannt, dass die italienische Wirtschaft das achte Quartal in Folge geschrumpft ist…
Siehe zu diesem Thema auch “Das Merkel-Lager bröckelt”
photo credit: Palazzochigi via photopin cc
GS
12. September 2013 @ 11:14
Punkt 1 und 3 sind geschenkt. Das wird jeder italienische MP fordern. Wäre ich Italiener und fände den Euro toll, ginge es mir nicht anders.
Aber Punkt 2 verstehe ich nicht. Sind Telekom, Telefonica, Vodafone etc. nicht schon groß genug? Die (französische) Strategie der nationalen Champions ist gesamtwirtschaftlich gesehen schon nicht sonderlich erfolgreich, was sollen dann noch größere Giganten ausgerechnet im Telekom-Markt? Wie Johannes auch richtig anmerkt, sind das Rückgrat einer Volkswirtschaft eher die vieler kleinen und mittelgroßen Unternehmen.
Ich hätte es verstanden, wenn Letta gefordert hätte, mehr dafür zu tun, dass starke Technologieunternehmen entstehen können. Mit dem Verkauf der Nokia-Handysparte ist Europa nun auch auf dem Markt der Mobilfunktechnologie endgültig abgehängt. Das gibt Anlass zur Sorge, weil es spiegelbildlich für die Wettbewerbssituation in vielen Hochtechnologiefeldern ist. Die lahmen Kolosse à la Telekom sind nun nicht gerade besonders innovativ oder technologisch herausragend. Das wird sich auch nicht ändern, wenn man sie doppelt so groß macht. Mal abgesehen davon, dass es für die Kunden auch nicht vorteilhaft sein dürfte, wenn sich der Anbietermarkt verkleinert. Im Mobilfunkmarkt sind ja bald auch nur drei Firmen in Deutschland tätig…
Michael Betsch
11. September 2013 @ 15:44
Frankreich hat den Vertrag von Maastricht, der die Währungsunion begründet und die gegenseitige Haftung für Staatschulden zwischen Mitgliedstaaten ausgeschlossen hat, sehr wohl in einem Referendum ratifiziert (lang ists her). Den von Lissabon nicht, das stimmt; und der Verfassungsvertrag ist in einem Referendum abgelehnt worden.
Letta dürfte mit Sicherheit als Abgeordneter des italienischen Parlaments der Ratifikation des Fiskalpaktes zugestimmt haben. (Jedenfalls wurde der mit einer Riesenmehrheit im Parlament ratifiziert). Wenn man “mit deutschen Regeln die Italiener nicht bei der Stange (wird) halten können”, hätte das ihm doch schon damals klar sein müssen und seinen Kollegen auch. Jedenfalls ist das Problem seiner Ausführungen, dass sie im Gegensatz zu diesem Fiskalpakt stehen.
ebo
11. September 2013 @ 15:55
Vielleicht darf ich auch daran erinnern, dass SPD und Grüne dem Fiskalpakt, der in einer Putsch-Nacht in Brüssel entstand, nur unter zwei Bedingungen zugestimmt haben: dass es einen Wachstumspakt und eine Finanzsteuer auf EU-Ebene geben würde. Die Finanzsteuer wurde soeben begraben, der Wachstumspakt ist seinen Namen nicht wert.
fufu
11. September 2013 @ 17:16
In Bruessel mag man gerne 5-Jahresplaene wie im Sozialismus machen.
Wenn jedoch Menschen, Kapital und Unternehmen fliehen gibt es kein Wachstum. Neues Geld aus Bruessel wird nur in schwarzen Loechern verschwinden.
Uebrigens hat jetzt der Fiskalpakt in Italien Verfassungsrang. Dies hindert jedoch nicht, dass die Neuverschuldung weiter dramatisch steigt, man nimmt hier halt nicht alles so genau.
ebo
11. September 2013 @ 17:32
Was haben denn heute alle mit dem Fiskalpakt? Das ist doch gar nicht Lettas Thema. Was er fordert, würde den Fiskalpakt erst mit Inhalt füllen. Denn bisher enthält er nur eine Schuldenbremse und andere ökonomisch zweifelhafte Regeln, aber keine Substanz – wie gemeinsame Steuern, ein gemeinsames Budget, gemeinsame Anleihen etc. Doch was wäre der deutsche Fiskus ohne all das? Nichts…
fufu
11. September 2013 @ 10:33
“Auf die Opfer und Zumutungen muss ein gelobtes Land folgen”
Letta fuehrt in Italien eine Koalition bestehend aus zwei Parteien PD und PDL, die beide seit Jahrzehnten in gegenseitiger Abhaengigkeit in ein hochgradig korruptes System verstrickt sind (siehe nur die letzten Bankenskandale wie Monte Paschi di Siena und andere). Den Zusammenbruch des Systems hat nur eine bis vor kurzem florierende Untergrundwirtschaft verhindert, sowie vor Einfuehrung des Euro die Moeglichkeit zur Abwertung, nach Einfuehrung des Euro die unverhaeltnismaessig niedrigen Zinsen.
Die lauen Reformversuche des Vorgaengers von Letta, dem EU-Komissar Monti, haben gezeigt dass ein solches System nicht reformierbar ist. Es kann nur zusammenbrechen.
Echte Opfer und Zumutungen gegenueber der Bevoelkerung wagt die Machtelite nicht, da sie um ihre eigenen Privilegien fuerchtet. Die Wirtschaft duempelt vor sich hin, Unternehmen schliessen oder fluechten, die Arbeitslosigkeit steigt, nur die prekaeren Arbeitsverhaeltnisse nehmen etwas zu.Ein unabhaengiger Beobachter muss zu dem Eindruck gelangen, alle warten nur auf die deutschen Wahlen am 22. September.
Deshalb, die einzige Hoffnung zur vorlaeufigen Aufrechterhaltung der Illusion sind Eurobonds.
Michael Betsch
11. September 2013 @ 07:34
Letta hat selbstverständlich das Recht, solche Forderungen zu äußern. Nur muss er sich die Gegenfrage gefallen lassen, wer denn für Italien den Fiskalpakt ratifiziert hat, mit dem sich seine Vorschläge jedenfalls nicht vereinbaren lassen? Man kann den Pakt ja mit guten Argumenten für Blödsinn halten, aber dann muss man gefälligst den Mut haben, einen solchen Vertrag nicht zu unterzeichnen bzw. nicht zu ratifizieren.
Und was die “Transferunion” und die “gemeinsame Haftung für Staatsanleihen” betrifft: Die Verträge, die allein die rechtliche Grundlage der Währungsunion bilden, schließen eine solche kategorisch aus. Das steht so natürlich deshalb dort, weil Deutschland als Vorbedingung für die Währungsunion darauf bestanden hat, aber jeder Partner eines Vertrages hat das Recht, klarzumachen, dass er ohne bestimmte Bedingungen einem Vertrag nicht zustimmen wird. Und alle anderen EU-Mitgliedstaaten haben die Verträge in dieser Form ratifiziert; Frankreich sogar in einem Referendum.
ebo
11. September 2013 @ 13:10
@Michael Betsch
Sorry, aber Frankreich hat den Lissabon-Vertrag nicht in einem Referendum ratifiziert. Paris stimmte erst zu, nach dem der Verfassungsvertrag in einer Volksabstimmung durchgefallen war. Ähnlich ist es in den Niederlanden. Was Italien betrifft, so war Lettas Amtsvorgänger Monti nicht gewählt. Das aktuelle “deutsche Europa” steht daher auf einer sehr schwachen demokratischen Grundlage. Genau darauf weist Letta hin: Nur mit deutschen Regeln und “Blut Schweiss und Tränen”-Reden wird man die Italiener nicht bei der Stange halten können. Franzosen und Niederländer übrigens auch nicht.
Johannes
11. September 2013 @ 02:35
Also im Klartext: Deutschland soll endlich die Klappe halten und gefälligst zahlen. Und bitte keine Demokratie sondern noch mehr Euro, schrecklich.
Zu 1: “Italien sei weit gekommen … Doch die Bürger müssten nun die Früchte ihrer Mühen sehen.”
– Wir Deutschen mussten für den Euro Hungerlöhne bis zum heutigen Tag akzeptieren. Wo sind denn endlich UNSERE Früchte für die Mühen? Ach wir sollen stattdessen noch mehr Schulden übernehmen. Ganz schön pervers.
Zu 2: “Die EU müsse sich um die Schaffung “europäischer Champions” kümmern…” Also mehr große Superkonzerne und noch weniger Kleine- und Mittelständische Unternehmen. Genau das ist mit ein Grund, warum es der Wirtschaft in Italien so schlecht gut. Und Konzerne haben allgemein einen schlechteren Ruf mit dem Umgang mit Angestellten als kleinere Firmen. Also noch schlechtere Arbeitsbedingungen für Firmen, die dann das Steuerrecht ausnutzen und z.B. in Steuerparadiesen einen Sitz haben.
Zu 3: Die Eurozone brauche mehr Solidarität. Leider gebe es “Widerstand gegen eine Transferunion”, so Letta…” . Übernehmen die Deutschen nicht schon, trotz eindeutiger Gesetze und den arroganten Versprechen von 1999, schon viele Schulden der anderen Länder? Wir befinden uns in einer Transferunion. Wie mit kleinen Kindern, du reichsts ihnen einen Finger und sie reißen dir sofort die ganze Hand ab. Wieder ein Vorschlag, der nur so von Ungerechtigkeit strotz.