“Kein Geld mehr für Polen”, Merkel besucht Erdogan – und Frostige Gespräche in Brüssel

Die Watchlist Europa vom 15. Oktober 2021 –

Im Streit um die Justizreform und das EU-Recht in Polen haben sich die Fronten verhärtet. Kurz vor einem Besuch des polnischen Ministerpräsidenten Mateusz Morawiecki am kommenden Dienstag in Straßburg wird im Europaparlament der Ruf nach drastischen Finanzsanktionen laut. Auch der Druck auf die EU-Kommission in Brüssel steigt.

Kommissionschefin Ursula von der Leyen hatte vor einer Woche angekündigt, „mit allen Mitteln“ gegen ein Urteil des polnischen Verfassungsgerichts vorzugehen, das den Vorrang des EU-Rechts infrage stellt. Doch seither ist nichts geschehen.

Dies sei empörend, sagte der grüne Europaabgeordnete Daniel Freund. Wenn von der Leyen nicht handele, dann werde es zum „Showdown“ kommen. Das Parlament sei bereit, die seit langem angedrohte Untätigkeitsklage gegen die Kommission auf den Weg zu bringen. Damit können die Abgeordneten die EU-Behörde vor den Europäischen Gerichtshof in Luxemburg zerren.

Der Rechtsausschuss des EU-Parlaments wollte diese Klage am Donnerstag beschließen. Die Klageschrift soll dann von Parlamentspräsident David Sassoli eingereicht werden. Es wäre ein Affront für von der Leyen, die 2019 mit Hilfe der polnischen Regierung in ihr Brüsseler Amt gewählt worden war und seither auf Dialog mit Warschau setzt.

„Der Dialog mit Ungarn und Polen hat zu herzlich wenig geführt“, kritisiert Freund. „Die Angriffe sind nur immer dreister geworden.“ Die Kommission müsse nun alle Register ziehen, den seit Januar 2021 gültigen neuen Rechtsstaats-Mechanismus zum Schutz des EU-Budgets in Kraft setzen und den Geldhahn für Polen zudrehen.

„Die EU-Kommission sollte den Mechanismus endlich anwenden, aber auch die Coronahilfen für Polen zurückhalten und die Strukturfonds einfrieren“, fordert Freund. „Nur so können wir genügend Druck aufbauen.“

Polen könnte Beschlüsse blockieren

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Freund steht mit dieser Ansicht nicht allein. Auch die Vizepräsidentin des Europaparlaments, Katarina Barley (SPD) hat sich für Finanzsanktionen ausgesprochen. „Die EU-Kommission sollte ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Polen starten und das Geld aus dem Corona-Aufbaufonds zurückhalten“, so Barley.

„Doch das reicht nicht. Wir brauchen auch Finanzsanktionen – selbst wenn die Gefahr besteht, dass die Regierung in Warschau dann andere EU-Beschlüsse blockiert.“

Es geht um sehr viel Geld. Allein aus dem Corona-Aufbaufonds soll Polen 28 Milliarden Euro als nicht rückzahlbarer Zuschuss erhalten. Das osteuropäische Land ist aber auch größter Nettoempfänger der EU. Wenn die Zahlungen aus dem EU-Budget gestoppt werden, würde dies die polnische Wirtschaft empfindlich treffen.

“Das Parlament ist wütend”

Die EU-Kommission hält bisher nur eine Anzahlung aus dem Coronafonds zurück, alle anderen Finanzhilfen fließen weiter. Morawiecki dürfte bei seinem Besuch in Straßburg versuchen, zu beschwichtigen.

Doch die Europaabgeordneten haben nicht nur die Geduld mit der Regierung in Warschau verloren, sondern auch mit der EU-Behörde in Brüssel. „Das Parlament ist wütend“, warnt Freund.

„Ursula von der Leyen muss Rückgrat zeigen“, fordert Barley. Das Urteil des polnischen Verfassungsgerichts ziele darauf ab, das Verständnis vom Rechtsstaat in der EU gravierend zu verändern. Deshalb müsse von der Leyen nun endlich durchgreifen, sagte die ehemalige Bundesjustizministerin.

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Die Watchlist

Einigen sich London und Brüssel doch noch im Nordirland-Streit? Am Freitag besucht Brexit-Minister Frost die EU-Kommission, um über die jüngsten Vorschläge von Kommissar Sefkovics zu reden. Sie sehen weitgehende Lockerungen biem Handel zwischen der britischen Insel und Nordirland vor – aber keine Änderungen am Nordirland-Protokoll, wie es Frost fordert.

Was fehlt

Der Abschiedsbesuch von Kanzlerin Merkel bei Sultan Erdogan. Nach einem Kurzbesuch beim König in Belgien reist Merkel am Freitagabend nach Ankara, um dem türkischen Alleinherrscher ihre Aufwartung zu machen. Kurz vor dem EU-Gipfel in der kommenden Woche dürfte es auch um neue Milliardenhilfen gehen – die Türkei soll weiter syrische Flüchtlinge zurückhalten…