Die Zerstörung der Spitzenkandidaten
Nun dämmert es auch Kanzlerin Angela Merkel: Das System der Spitzenkandidaten funktioniert nicht. Beim (zunächst gescheiterten) EU-Gipfel räumte sie dies erstmals ein. Erleben wir eine (hoffentlich kreative) Zerstörung?
Es sei nicht so einfach, zu entscheiden, wer denn nun der „berechtigte Spitzenkandidat“ sei, sagte Merkel, um ihren plötzlichen Schwenk von Manfred Weber zu Frans Timmermans zu erklären.
Solange im Europaparlament nur zwei Parteien – Konservative und Sozialdemokraten – den Ton angegeben haben, sei dies noch „relativ einfach“ gewesen. Doch nun müsse man neue Mehrheiten berücksichtigen.
Tatsächlich hat CSU-Mann Weber keine Mehrheit im EU-Parlament, obwohl er bei der Wahl knapp vorn lag. Die Sozialdemokraten verweigern ihm die Unterstützung – und setzen auf Timmermans.
Doch auch der hat keine (eigene) Mehrheit. Er sucht sie nicht einmal, etwa bei Grünen und Linken. Deshalb sind die Spitzenkandidaten, um zu überleben, auf den Rat angewiesen.
Doch dort, bei den Staats- und Regierungschefs, hält sich die Unterstützung in engen Grenzen. Nur Merkel legt noch explizit Wert darauf, einen Listenführer zum nächsten EU-Kommissionschef zu machen.
Die meisten anderen verhalten sich gleichgültig bis ablehnend. Frankreichs Staatschef Emmanuel Macron ist nicht so allein, wie es in Deutschland gern dargestellt wird. Er repräsentiert den Mainstream.
Neuerdings machen sogar die Visegrad-Staaten gegen die „Spitzen“ mobil. Sie haben sich auf Timmermans eingeschossen, natürlich vor allem aus (partei-)politischen Gründen.
Doch wenn sie an ihrer Blockade festhalten, so könnte nach Weber auch noch Timmermans scheitern. Es bliebe zwar noch Margrethe Vestager. Doch die gilt bisher nicht als „echte“ Spitzenkandidatin.
All dies führt – wenn nicht noch ein Wunder geschieht – zur Zerstörung der Spitzenkandidaten. Als Totengräberin könnte ausgerechnet Merkel in die Annalen eingehen.
Mit ihrem Beharren auf einem – im Kern deutschen – Prinzip und ihrem abrupten Schwenk zu Timmermans hat sie sogar ihre eigene konservative Parteienfamilie gegen sich aufgebracht…
Die hält unbeirrt an Weber fest. Dabei hat er nicht die nötige Kragenweite. Einen Politiker aus der Brüsseler Blase zu nominieren, der keine Exekutiverfahrung hat, musste das gesamte Verfahren diskreditieren.
Letztlich begann schon damit die Zerstörung der Spitzenkandidaten…
Summerhill
1. Juli 2019 @ 22:01
Aber immerhin:
Die Irish Times hat der englischen Sprache dieser Tage ein neues Fremdwort zugefügt. Das lautet „spitzenkandidat“. Kein Witz.
Peter Nemschak
2. Juli 2019 @ 12:21
Den „Spitzenkandidat“ wird der Europäische Rat auswählen und zur Bestätigung dem EU-Parlament vorschlagen. Es wird natürlich Vorabsprachen mit den großen Fraktionen geben, um sicher zu stellen, dass der Kandidat bzw. die Kandidatin mit einer Mehrheit rechnen kann. Viel anders funktioniert es auch in Österreich nicht.
Peter Nemschak
1. Juli 2019 @ 20:22
Wenn bedenkt, dass der Europäische Rat auch in Zukunft das Sagen haben wird, wirkt das Gezänk um den Komissionspräsidenten wie ein Schattenboxen.
Holly01
1. Juli 2019 @ 17:31
Merkel ist auf einem ganz anderen Trip.
Macron hat mit den Visegrad-Staaten eine wichtige Übereinstimmung, die Proporz Regelung.
Der Proporz sagt aber ziemlich deutlich, das Deutschland eine Menge Gewicht in der EU hat.
Da kommen nun die ganzen Rechnungen auf den Tisch, die die arrogante (und ignorante) deutsche Politik aufgehäuft hat.
Das sieht nach einem 4er Set aus.
Ich Tippe auf Italien, Frankreich, Visegrad-Staaten und dann vielleicht noch Spanien.
Da sähe die Merkel ziemlich erfolglos aus, aber sie könnte den Sekretär des Komissionspräsidenten retten Martin Selmayr.
Der läuft z Zt noch ziemlich unter dem Radar.
Dieses mal läuft die Nacht der langen Messer gegen Deutschland und dieses Mal wird das UK nicht helfen…..
vlg