“Deutschland”
Deutschland, Deutschland, Deutschland. Am Tag nach dem harschen Nein aus Berlin zum griechischen Hilfsantrag dreht sich alles um die “deutsche Führung in der EU”, so die FT.
Wie immer ist diese Führung gespalten. Hier der Bad cop Schäuble, da der Good cop Merkel. 50 Minuten hat sie gestern mit dem griechischen Premier Tsipras telefoniert, um Scherben zu kitten.
Nur die Chefs können jetzt noch eine Lösung finden. Dabei sollten sie allerdings eins bedenken: Griechenland kann zwar pleite gehen – aber Deutschland hat am meisten zu verlieren.
Berlin verbürgt Kredite von 53 Mrd Euro und haftet anteilig auch für Darlehen des IWF und für die Staatsanleihen im Bestand der EZB. Bei einer Staatspleite würde wohl ein Großteil dieser Garantien fällig.
So gesehen, hat Berlin auch das größte Interesse an einer gütlichen Einigung – so mein Fazit in einem Beitrag für “Zeit online”. Der Text steht hier, mehr zur deutschen Doktrin hier
Tim
20. Februar 2015 @ 10:51
Die entscheidende Frage ist doch, ob man Griechenland unter dieser Regierung eine bessere Zukunft durch ein attraktives Investitionsklima zutraut. Die griechische Unternehmerschaft sagt sehr entschieden “Nein”, dem Urteil muß man sich wohl anschließen.
Wenn das PROGRAMM verlängert wird, stehen wir in ein paar Monaten also vor derselben Situation. Das Ende mit Schrecken hätte schon 2010 kommen sollen und sollte jetzt endlich realisiert werden.
Die Griechen wären mit einer eigenen Währung trotz aller Umstellungsfolgen langfristig wohl besser aufgestellt. Allerdings gäbe es für sie natürlich das nicht unerhebliche Risiko, daß ihre Regierung eine venezolanische Wirtschaftsstrategie fährt, d.h. die wahre Katastrophe käme dann noch. Aber das wäre dann Sache des griechischen Wählers.
Holly01
20. Februar 2015 @ 11:26
Hallo Tim,
“Die entscheidende Frage ist doch, ob man Griechenland unter dieser Regierung eine bessere Zukunft durch ein attraktives Investitionsklima zutraut. Die griechische Unternehmerschaft sagt sehr entschieden “Nein”, dem Urteil muß man sich wohl anschließen.”
Die Frage lautet, was ein attraktiveres Investitionsklima denn bewirken soll.
Bulgarien und Rumänien haben ein ähnliches Bildungspotential und sehr niedrige Standarts in Bezug auch Umwelt und Arbeitnehmerrechte.
Ich höre da nichts vom großen Boom.
Es gibt aber eine andere Storyline. Da geht es um Staaten, die in die EU kommen und per Kredit aufgeblasen werden.
Fremdkredite in Fremdwährungen natürlich. Es gibt aber einen stagnierenden Massenmarkt und überversorgte hoch spezialisierte Nischenmärkte.
Griechenland steht nicht alleine. Die gesamte EU ab Österreiche ostwärts steht so da.
Auch alte Industrieländer wie Italien und Frankreich stehen nicht besser da.
Österreich hat auf der öffentlichen Hand so hohe Garantien für Kredite liegen, dass man dort von einer Handlungsunfähigkeit sprechen könnte oder von Bankrott in Wartestellung.
In Griechenland, Deutschland, Spanien und überall anders auch stehen überflüssige Infrastrukturprojekte.
In Deutschland gibt es zigtausend Industrieparks mit erschlossenen Flächen, aber ohne Nutzung.
Wo ist denn bitte schön das Argument pro, wie haben Sie das beschrieben, “attraktives Investitionsklima”.
Die USA investieren Milliarden und können ihre industrielle Basis nicht einmal erhalten.
Die deutschen global player zahlen alle nicht in die Gesellschaft ein. Die wurden von Steuern und regeln befreit und in das rechtliche Niemandsland der Gloablisierung entlassen. Bekommen aber massive finanzielle Unterstützung durch die Gesellschaft durch Infrastruktur, Energiedumping uä.
Soll Griechenland da konkurrieren?
Soll Griechenland da überbeiten?
Was soll das geben, so etwas wie mit NOKIA und den Standort Bochum der gut genug war als Deutschland gezahlt hat und geschlossen wurde, als andere mehr gezahlt haben.
Ist das unsere Zukunft? Ein Subventionsnomadentum der Industrie, die vollautomatisiert da aufbaut wo am meisten gezahlt wird?
Was ist denn Ihre Perspektive, auf die die griechische Politik setzen soll?
DerDicke
20. Februar 2015 @ 12:49
Ich wäre schon glücklicher, wenn der tägliche Weg zur Arbeit weniger verschleißend für meine Stoßdämpfer würde, dachte vor 10 Jahren noch nicht, dass man auch für die Stadt in Zukunft einen Geländewagen kaufen sollte. Was die Infrastruktur in Deutschland (und nicht nur die) anbelangt kann ich nur sagen: weniger “Leuchtturmprojekte” und mehr Investitionen in die bestehende Struktur! Die nächsten Jahre werden reihenweise Brücken geschlossen werden müssen weil die Struktur marode ist. Gilt im übrigen auch für die Bildung mit dieser heuchlerischen “Exzellenzförderung”.
Die Globalisierung ist eine Sackgasse die nur den Großkonzernen und den Reichen nutzt, es wird Zeit, den Freihandel zu beerdigen und wieder Zölle zu erheben, das wäre für alle besser. VW will in Weißrussland produzieren? Gerne, aber dann bitte nur für den dortigen Markt, bei Import nach Deutschland werden 35% Importzoll erhoben.
Tim
20. Februar 2015 @ 14:44
@ Holly01
Ja, das ist eine sehr gute Frage. Die entscheidende, wenn es um die Zukunft und den Wohlstand Europas geht.
Ich stimme Dir vollkommen zu, daß Unternehmenssubventionen (auch die zahlreichen versteckten) keine Lösung sind. Ebenso die zahlreichen gesetzlichen Regulierungen in vielen Bereichen, die Probleme meist nur verschieben, statt die Ursachen zu beseitigen.
Vorzeigebeispiele für gelungene Politik sind in vielen Punkten die Schweiz und Schweden. Ich glaube aber, ein Großteil der Bevölkerung wäre zu den entsprechenden Reformen nicht bereit. Unternehmertum, Wettbewerb, Marktwirtschaft sind im Europa von heute Buhwörter. Man setzt lieber auf den Staat als Problemlöser statt auf den Wettstreit der Ideen.
Die großen Investitionen in wichtigen Zukunftsbranchen werden daher wohl nicht in Europa stattfinden.
Tim
20. Februar 2015 @ 14:47
@ DerDicke
Ja, der altbekannte linke Nationalismus: Ein weissrussischer Arbeiter ist weniger wert als ein deutscher, darum sollen weissrussische Produkte hier benachteiligt werden.
Unmoralische Ansätze wie dieser helfen sicher nicht bei der Bewältigung der Zukunftsprobleme.
Holly01
20. Februar 2015 @ 10:26
Hr, Tsipras beziffert das Kostenrisiko eines GREXIT mit anschliessendem Eurozusammenbruch auf 17 Billionen Dollar weltweit und beruft sich auf externe Quellen.
Selbst ein Bruchteil ist im Vergleich zu den 400 Mrd. Euro Staatsschulden der Griechen ein guter Grund noch einmal einen ganz kurzen Moment inne zu halten und zu überlegen.
Hr. Tsipras:
https://www.youtube.com/watch?feature=player_embedded&v=VXjGJd-aCMg
Ein FAZ Beitrag der wohl durch die Qualitätskontrolle geschlüpft ist, denn er hat nicht nur einen Sinn sondern auch eine vernünftige Fragestellung:
http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/medien/tv-kritik/tv-kritik-maybrit-illner-die-blindheit-der-europaeer-13439193.html
Es wäre gut, wenn die Protagonisten einmal, nur ein einziges mal nicht ihre Clientel bedienen würden und das Scheitern verkünden.
Niemand brauch die “brett harten Deutschen” und das letzte “griechische Dorf das Widerstand leistet”.
Was wir bräuchten wäre eine vernünftige Strategie, die etwas löst, nicht nur vertagt.