Der letzte Weckruf

Erst der Brexit, nun Trump. Erst London, nun Washington. Zum zweiten Mal strafen die Wähler des “freien Westens” das Establishment ab. Doch in Brüssel ist die Botschaft immer noch nicht angekommen.


[dropcap]S[/dropcap]ie haben es wieder getan. Genau wie nach dem Brexit haben Kommissionschef Juncker und Ratspräsident Tusk mit einem Schnellschuss reagiert. Trump soll so schnell wie möglich nach Brüssel kommen, fordern sie.

Statt einmal innezuhalten und in Ruhe nachzudenken, was in den USA eigentlich passiert ist, was Europa nun tun könnte und vielleicht sogar ändern müsste, herrscht schon wieder Aktionismus in der EU.

Und zwar nicht nur bei den Chefs in Brüssel. Auch bei den Außenministern ist Hektik ausgebrochen. In panischer Eile haben sie ein Sondertreffen einberufen, um über die Lage in den USA zu beraten.

Aber was haben die Minister und Präsidenten denn anzubieten? “Gemeinsame Werte”, heißt die vage Antwort. Doch damit sind nicht etwa Demokratie und Selbstbestimmung gemeint, sondern TTIP und Russland-Sanktionen.

Es soll alles weitergehen wie bisher – genau wie nach dem Brexit. Trump soll so schnell wie möglich umarmt und eingebunden werden, damit er keinen Unsinn macht und EUropa keinen Schaden leidet. Ein legitimes Interesse.

Das Problem hat in EUropa begonnen

Das Problem ist nur, dass der Schaden längst da ist – und ausgerechnet in EUropa begonnen hat. Von Berlusconi über Orban, Kaczyński und Johnson führt eine direkte Linie zu Trump. Bald könnte noch Le Pen hinzukommen.

Doch gelernt hat man aus all dem nichts in Brüssel. Man hat die Populisten und Nationalisten einfach ausgesessen und so getan, als seien sie ein marginales Phänomen, das man nicht ernst nehmen müsse.

Man hat die neoliberale Politik der grenzenlosen Liberalisierung und Marktöffnung  vorangetrieben, sich über Wahlen und Referenden hinweggesetzt und gewundert, dass die Leute langsam wütend werden.

Trump soll Clintons Politik machen

Erst jetzt, da das marginale Phänomen die Weltmacht USA erfasst hat, wacht Brüssel aus dem Tiefschlaf auf. Doch ändern soll sich immer noch nichts. Trump soll möglichst die Politik machen, die Clinton geplant hatte.

Diesen Gefallen wird er der EU aber bestimmt nicht tun. Die Europäer müssen deshalb endlich anfangen, sich ihren eigenen, vielen kleinen Trumps zu stellen und zu fragen, was sie anders und besser machen könnten.

Sonst wird der zweite Weckruf auch der letzte gewesen sein, fürchte ich…