Zweierlei Maß bei Kashoggi – Maulkorb für Scholz

Es hat lange gedauert, bis sich die EU zum Mord am saudischen Journalisten Kashoggi äußerte – beim EU-Gipfel letzte Woche kam er nicht einmal zur Sprache. Nun fordern die Außenminister aus Deutschland, Frankreich und Großbritannien „größere Bemühungen“ um die Wahrheit. Wie bitte? Geht es noch diplomatischer? – Im Fall Skripal waren sie nicht so zaghaft.

Als es um die Vergiftung – nicht: Ermordung – des ehemaligen russischen Doppelagenten ging, da haben die „großen Drei“ der EU keine Ermittlungen abgewartet. Sie gaben UK ohne Prüfung recht – und wiesen dutzende russische Diplomaten aus.

Dafür wurden alle normalen politischen Sicherungen ausgeschaltet. Man hat sich nicht einmal um Mehrheiten im Ministerrat bemüht. Es war ein Präzendenzfall im neuen Kalten Krieg gegen Russland.

Diesmal hingegen, beim saudischen Mord im Nato-Land Türkei, hat es Wochen gedauert, bis die EU überhaupt reagiert. Doch selbst jetzt, da sich das staatlich angeordnete Verbrechen nicht mehr leugnen lässt, droht sie nicht mit Konsequenzen.

„Wir unterstreichen daher, dass größere Bemühungen darum, die Wahrheit in umfassender, transparenter und glaubwürdiger Weise ans Licht zu bringen erforderlich sind und erwartet werden“, heißt es in dem Brief der drei Außenminister.

Davon hänge die Glaubwürdigkeit Saudi-Arabiens ab – „und inwieweit wir darauf vertrauen können, dass ein so schändlicher Vorfall sich nie wieder ereignen wird und kann.“ Will man Riad etwa eine zweite Chance geben?

Das ist nicht nur zweierlei Maß – es ist auch eine Anmaßung des deutschen Außenministers Maas, der sich erst vor kurzem bei den Saudis für „Missverständnisse“ entschuldigt hatte – denn sein Amtsvorgänger Gabriel hatte Tacheles geredet.

Gabriel hatte der Führung des islamistischen Wüstenstaats vor knapp einem Jahr „Abenteurertum“ im Nahen Osten vorgeworfen, woraufhin Riad empört seinen Botschafter aus Berlin abzog. Das hat Maas diplomatisch „ausgebügelt“.

Nun stellt derselbe Maas plötzlich weitere Waffenlieferungen infrage – doch nur vorübergehend, bis zur so genannten „Aufklärung“ im Fall Kashoggi. Danach will Berlin offenbar munter weiter Rüstungsgeschäfte mit dem Regime machen.

Die EU ist leider auch nicht viel glaubwürdiger: Sie hat bisher nicht einmal vernehmlich den grausamen Krieg verurteilt, den die Saudis im Jemen führen, und der die größte humanitäre Krise unserer Zeit verursacht…

Zum Krieg im Jemen siehe auch die aufrüttelnde Reportage der „New York Times“, sie steht hier

WATCHLIST:

  • Wie wird die EU auf die große proeuropäische Demonstration in London reagieren? Die Bewegung „People’s Vote“ fordert ein zweites Referendum über den Austrittsvertrag. Damit setzt sie nicht nur Premierministerin May unter Druck, sondern auch EU-Verhandlungsführer Barnier. Denn bisher hat der Franzose den Briten keinerlei Zugeständnisse gemacht. Überhaupt hat sich die EU noch nie von Massendemonstrationen beeindrucken lassen – in Brüssel regiert TINA …

Siehe auch „Brexit, CETA, Oxi: Historische Momente“

WAS FEHLT:

  • Ein Aufbruchs-Signal aus Berlin. Statt nun endlich den Koalitionsvertrag umzusetzen und die EU voranzubringen, will Kanzlerin Merkel ihrem Finanzminister Scholz das Nachdenken über eine europäische Arbeitslosen-Rückversicherung verbieten. Er soll seine Ideen nicht einmal auf EU-Ebene einspeisen dürfen – lässt sich die SPD diesen Maulkorb bieten?

Siehe auch „Wortbruch statt Aufbruch“