Wo war Europa?
Endlich vorbei! Der wohl schlimmste US-Wahlkampf aller Zeiten geht zu Ende. Vom Ergebnis dürfte das Schicksal der halben Welt abhängen, auch das Europas. Doch wo war Europa eigentlich im Wahlkampf?
[dropcap]A[/dropcap]ch, Europa. Du warst doch völlig unwichtig. Weder Dein Liebling Clinton noch Dein Angstgegner Trump haben es für nötig befunden, sich mit dem alten Kontinent auseinander zu setzen.
Von Trump wurde eigentlich nur bekannt, dass er Belgien für eine “schöne Stadt” hält und meint, mit Russlands Putin gut zurecht zu kommen – vermutlich weil der auch ein Macho ist.
Außerdem hat sich Trump schon früh als Brexit-Freund, also als Befürworter des britischen EU-Austritts, geoutet. Das nährt in Brüssel die Sorge, dass er der EU schaden könnte.
Demgegenüber gilt Clinton als EU-Anhängerin und treue Nato-Verbündete. Doch in ihrem Wahlkampf war davon nicht viel zu sehen. Nur wenn es gegen Russland ging, war sie zur Stelle.
Doch welche Lehren hat sie aus dem Scheitern in Irak und Libyen gezogen? Wie will sie in Syrien vorgehen, wie die Türkei zur Räson bringen? Diese Schicksalsfragen für Europa bleiben unbeantwortet.
Das liegt nicht nur daran, dass die Amerikaner zu sehr mit sich selbst und ihrer Schlammschlacht beschäftigt sind. Es liegt auch daran, dass Europa in der Außenpolitik immer noch nicht zählt.
Und wirtschaftlich auch nicht mehr. Selbst das TTIP-Abkommen, das die USA und die EU zusammenschweißen und eine “ökonomische Nato” begründen soll, ließ die US-Kandidaten kalt.
Wenn nicht alles täuscht, könnte TTIP sogar das erste Opfer dieser Präsidentschaftswahl werden – und für immer in der Schublade transatlantischer (Alp-)Träume verschwinden…
Siehe auch: “Europa muss sich von USA lösen” und “USA gegen EUropa, again”
Winston
9. November 2016 @ 21:40
Wird nun spannend. Mal schauen ob die USA unter Trump ihre Rolle als globalen “buyer of last ressort” beibehalten werden. Wenn nicht, dann dürfte für Merkantilistische Staaten wie Deutschland, Süd Korea, China, Japan harte Zeiten kommen.
Ob die Euro-Zone in der momentanen Verfassung ein Dollar Abwertung stand hält wage ich zu bezweifeln.
Der Dollar ist massiv überbewertet, z.Z. sogar die überbewerteste Währung überhaupt, dies wird langsam zum Problem für die USA.
Werden sehen.
alex
9. November 2016 @ 14:24
Man kann es in einem Satz zusammenfassen: Clinton hat – mit Wall Street im Rücken und gestützt durch Millionenspendern der Saudies und der Rüstungsindustrie – noch mehr Kriege versprochen. Jene, die in diesen Kriegen hätten kämpfen und sie finanzieren müssen, haben gegen Hillary, aber auch gegen die absolut bis ins Mark korrumpierten amerikanischen Parteien- und Medienlandschaft gestimmt.
Die abgehobenen, in einer Parallelwelt lebenden Politiker der EU, nicht weniger korrupt wie Washingtons Eliten, haben auf ganzer Linie versagt. Und das nicht erst seit Brexit, sondern seit Einführung des Euros an. Nichts, aber rein gar nichts wurde spätestens seit der Finanzkrise 2008 an angestauten Problemen gelöst oder angegangen. Und diese, durch neokonservative Politik gesteuerte und Profitgier verblendete Agenda will man nun in Brüssel selbstzerstörerisch weiter fortsetzten. Die EU fährt “unser Europa” schafwandlerisch gegen die Wand und unsere Eliten – so zeigen es die fassungslosen Reaktionen auf die US-Wahl – haben rein gar nichts verstanden.
Peter Nemschak
8. November 2016 @ 11:45
In der Außenpolitik zählt nur, wer politische Entschlossenheit mit militärischer und wirtschaftlicher Stärke verbinden kann. Wie seit eh und je lassen sich Feinde, aber Freunde durch Stärke beeindrucken. Europa war im amerikanischen Wahlkampf nur durch Putin vertreten.
Reinard
8. November 2016 @ 16:33
@Peter Nemschak: das ist nun mal wieder nur eine Beschreibung der Realität. Was mir bei Ihnen immer fehlt, ist eine Wertung. Nur beschreiben reicht nicht, wie ist der Weg da heraus? Den sollte man wenigstens anreißen.
S.B.
8. November 2016 @ 10:45
“Demgegenüber gilt Clinton als EU-Anhängerin und treue Nato-Verbündete.”
Klar, denn beide Konstrukte dienen der Durchsetzung der Interessen der US-amerikanischen, neoliberalen Globalisten. Und dieser “Elite” ist Clinton, anders als Trump, aufs Engste verpflichtet.
Man sollte in eine solche Aussage also nicht hineindeuten, dass Clinton etwas an einer starken, selbstständigen EU liegen würde. Ganz im Gegenteil.
“Doch welche Lehren hat sie aus dem Scheitern in Irak und Libyen gezogen? Wie will sie in Syrien vorgehen, wie die Türkei zur Räson bringen? Diese Schicksalsfragen für Europa bleiben unbeantwortet.”
Alleine diese Feststellung ist schon eine Offenbarung für die EU (nicht Europa). Müssen die Amis diese Schicksalsfragen für die EU beantworten, da sie selbst dazu nicht in der Lage ist? Dies ist ganz offensichtlich so. Nur das die Amis keine Antwort für die EU finden werden. Warum auch?
“Selbst das TTIP-Abkommen, das die USA und die EU zusammenschweißen und eine “ökonomische Nato” begründen soll,…”
“Ökonomische Nato” – diese Formulierung hört sich nachgerade gefährlich an. Jedenfalls aber nicht nach friedlichem Handel mit der ganzen Welt. Danke, ich verzichte gerne. 😉
kaush
8. November 2016 @ 09:22
“Wo war Europa?”
Da wo sie im Zweifelsfall immer zu finden ist: Im Rectum der USA.
Da kann man sich wunderbar eine scheinheilige Welt zusammenbasteln und neue Feindbilder mit den eingebetteten Journalisten kreieren.
Jetzt hat man also die Türkei als Hort allen Übels ausgemacht.
Was ist eigentlich mit Frankreich? Ausnahmezustand als Dauererscheinung? Kein Problem, alles Dufte…
Spanien? Rajoy hat Gesetze erlassen, die einen Franco erfreut hätten. Wer demonstriert, wird nieder geknüppelt und mit Geldstrafen bis 600.000 Euro bedroht.
Der Menschenrechtsausschuss der UN hat den spanischen Staat aufgefordert, diese Gesetze wieder zu streichen.
Hat das jemand von der EU interessiert?
Wenn Julian Assange als politischer Gefangener in London festgesetzt wird, hat da die EU reagiert?
Gibt es irgendwelche Forderungen nach Sanktionen gegen Frankreich, Großbritannien, oder Spanien?
Die EU sollte sich besser mal über den eigenen Saustall Gedanken machen. Da gibt es sehr viel zu tun! Politisch und auch wirtschaftlich.