Wo Frankreich besser ist
Kurz vor der Präsidentschaftswahl zeichnen Politik und Medien in Deutschland ein desolates Bild von Frankreich. Unfähiger Präsident, unfähige Wirtschaft, so das Klischee. Stimmt das? Ein Faktencheck.
Fangen wir mit Präsident Hollande an: Auf den ersten Blick sieht die Bilanz in der Tat blamabel aus. Der Sozialist hat sich in den letzten Jahren so schlecht geschlagen, dass er nicht zu Wiederwahl antritt.
In der Europapolitik wurde er von Kanzlerin Merkel an den Rand gedrängt. Dennoch ist Hollande manches gelungen. So verhinderte er den „Grexit“, den Finanzminister Schäuble um fast jeden Preis wollte.
In der entscheidenen Krisensitzung im Juli 2015 verhinderte er den Rauswurf Griechenlands. Zuvor hatte er sich als Vermittler positioniert – Frankreich war die „Macht in der Mitte“, nicht Deutschland.
Außerdem gelang es Hollande, Deutschland aus dem außen -und sicherheitspolitischen Dornröschenschlaf zu wecken. Das neue deutsche Afrika-Engagement geht wesentlich auf seine Initiativen zurück.
Frankreich ist auch heute noch wesentlich weiter als Deutschland, wenn es um die Verteidigung geht. Nach Angaben des SIPRI lagen die Verteidigungsausgaben 2015 bei 2,1 % des BIP, in DE nur bei 1,2%.
Höhere Produktivität
Nun heißt weiter nicht unbedingt besser. Aber es gibt auch andere, sogar ökonomische Bereiche, in denen unser Nachbar eindeutig besser dasteht als der angeblich unschlagbare Exportweltmeister.
Das fängt schon mit der Produktivität an. Nach Angaben der OECD liegt Frankreich hier seit Jahren vor Deutschland; zuletzt ist das größte EU-Land sogar international zurückgefallen.
Auch bei den Auslands-Investitionen schneidet Frankreich besser ab als Deutschland. Der Abstand hat sich nach Angaben der UNCTAD zuletzt zwar verringert. Von einer Flucht der Investoren kann aber keine Rede sein.
Weniger Armut
Bemerkenswert ist auch die Statistik zur Armut. In Frankreich gibt es zwar mehr Arbeitslose, aber weniger Arme, fasste das OFCE schon 2013 zusammen. Daran hat sich nicht viel geändert.
Im Gegenteil: Das Armuts-Problem ist in Deutschland unter der angeblich so erfolgreichen GroKo so groß geworden, dass sich sogar die EU-Kommission darüber empört…
hintermbusch
23. April 2017 @ 20:12
Ich würde mir sehr wünschen, ich hätte in Deutschland eine Auswahl zwischen so „disparaten“ Kandidaten. Stattdessen: ein durch und durch öder Einheitsbrei, der mir durch künstliche Aromen schmackhaft gemacht wird, lausige Debatten mit einer Kanzlerin, der der Widerwille gegen die freie und klare Rede ins Gesicht geschrieben steht. Arghhh!
F.D.
22. April 2017 @ 19:17
„Frankreich ist weiter, wenn es um die Verteidigung geht“ – Na toll… Kurze Frage: Wenn nur die doofen deutschen Medien „ein schlechtes Bild von Frankreich zeichnen“ und mit dieser Suggestion dann das Problem wieder herrlich einfach die Deutschen sind… …warum stehen dann in Frankreich ganz ohne Zutun der deutschen Medien so disparate Kandidaten auf dem Präsidentschaftswahlprogramm? Das erleben die Franzosen doch selbst als Ausdruck einer krisenhaften Verfasstheit ihres Landes…oder nicht? Also kann die Rolle der deutschen Medien doch nur peripher am Krisenmodus beteiligt sein. – Vgl. hierzu das Interview mit Johannes Willms im Standard über die „Lebenslüge“ Frankreichs…
„Standard: Was sind denn die tieferen Wurzeln dieser französischen Orientierungslosigkeit? Willms: Vieles geht auf die Lebenslüge zurück, die Charles de Gaulle nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs gestiftet hat. Er bedeutete den Franzosen, sie hätten den Krieg gewonnen, und zwar nicht dank der Amerikaner, sondern wegen der eigenen Résistance; sie seien also eine Siegermacht und hätten ihre „Grandeur“ bewahrt. Die Franzosen haben das gerne geglaubt und klammern sich noch heute daran.“
Vielleicht ist da doch was dran?
http://derstandard.at/2000056316702/Johannes-WillmsDie-Franzosen-klammern-sich-an-einer-Lebensluege-fest
ebo
22. April 2017 @ 19:36
@F.D. Was heißt „disparate Kandidaten“? Da ist einer, den die deutsche Politik mit Kusshand wählen würde (Macron). Noch einer, der den französischen Seehofer gibt (Fillon). Der dritte ist ein französischer Lafontaine (Mélenchon), die vierte versteht sich blendend mit Petry & Co. (Le Pen). So what? Viele Kandidaten wurden übrigens per Urwahl gewählt – von so viel Demokratie kann man in Deutschland nur träumen…
F.D.
22. April 2017 @ 22:04
„So what? – Alles in Ordnung!“ – Na, wir werden dann ja bald sehen, ob das die Verfasstheit der Franzosen wirklich so gut wiedergibt…
Maximilian Schranner
21. April 2017 @ 12:47
Gerade bei einer solchen Fragestellung, sollte man versuchen, Statistiken etwas reflektiert zu verwenden. Ich möchte hier kein „Ja, aber Deutschland ist doch besser!“ ausrufen, sonder nur Anregung geben, die hier gezeigte Argumentation genauer zu betrachten.
Die Verteidigungsausgaben wurden schon treffend angesprochen.
Produktivität ist ein errechneter Wert, der erst einmal nur aussagt, dass ein bestimmtes GDP erwirtschaftet wird und wie viel die Menschen arbeiten gehen. Die Deutung, dass jemand weniger für das gleiche arbeiten muss, d.h. produktiver wäre, ist nur diesen Kennzahlen nicht unbedingt zu entnehmen.
Auslandsinvestitionen in Deutschland stellen ein ganz eigenes Thema dar, das möglicherweise sogar zur Frage des Wirtschaftsmodells führt. Man denke nur an China und mittelständische Unternehmen.
Armut ist ebenfalls relativ, sie nur an der 60%-Marke festzumachen, ist einseitig. Zählen Studenten, die wahrscheinlich meist in diese nominale Gruppe fallen, zur armen Bevölkerung?
Soweit zum „Faktencheck“…
Pjotr56
20. April 2017 @ 10:05
Was die Hervorhebung der Verdienste Hollandes/Frankreichs als (ehemalige) Kolonialmacht (z. B. Mali) in der Außenpolitik genannten Kriegspolitik betrifft, stimme ich ausdrücklich nicht zu!
“Verteidigungsausgaben 2015 bei 2,1 % des BIP” sind 2,1% zu viel!
“Deutschland aus dem außen -und sicherheitspolitischen Dornröschenschlaf zu wecken” ist angesichts der militärischen Schwerpunktlegung mehr als verwerflich!
Auf mich wirkt Hollande in vielerlei – nicht in jeder – Hinsicht wie im Rückblick Schröder (sPD).
Die dahinter wirkenden Macht- und Kommunikationsstrukturen beschreibt Prof. Rainer Mausfeld, dessen Vortrag “Die Angst der Machteliten vor dem Volk” ich jedem politisch interessierten Menschen dringend empfehle: https://www.youtube.com/watch?time_continue=12&v=Rk6I9gXwack
Peter Nemschak
20. April 2017 @ 09:43
Jeder Staat hat Interessen und verfolgt sie auch, militärisch und zivil. Ich würde mich an Ihrer Stelle vor Leuten hüten, die sich anmaßen, für das und vom Volk zu sprechen. Das sogenannte Volk ist eine heterogene Masse von Menschen mit unterschiedlichen Interessen und Werthaltungen. Das Volk gibt es nicht. Es ist eine Fiktion von Populisten.
hintermbusch
20. April 2017 @ 09:10
Danke. Angesichts des selbstgefälligen deutschen Weltbilds muss das einmal gesagt werden. Was noch fehlt:
Eine unvergleichlich viel bessere Demografie, mit der Frankreich irgendwann in den nächsten 20 Jahren Deutschland bei der (aktiven) Bevölkerung überholen wird. Ein Nationalitätskonzept, das dem deutschen in Zeiten des Geburtenmangels und der Migration weit überlegen ist.
Niemand in Frankreich wird jemanden allein wegen der Hautfarbe aus der Nation ausschließen wollen, noch nicht einmal der Front National. Und niemand in Frankreich käme auf die Idee, von heute auf morgen das Land mit einer Million Migranten zu fluten und jedem mit der „Nazi!“-Keule das Maul stopfen zu wollen, der sich darüber empört, noch nicht einmal der Linksaußen Mélenchon.
Wir sollten uns nicht wundern, wenn uns angesichts einer autoritären politischen Kultur, die solches erlaubt, und angesichts des notorisch guten Gewissens dabei demnächst auch die Franzosen den Rücken zuwenden. Was ist dagegen eine überzüchtete Exportwirtschaft schon wert? Ziemlich wenig! Das Erwachen Deutschlands aus seiner extrem kurzfristigen und bürgerfeindlichen Politik könnte sehr, sehr bitter werden.
Peter Nemschak
20. April 2017 @ 09:22
Die freundliche Beurteilung des Front National entspringt Wunschdenken. Dass die deutsche Politik bürgerfeindlich sei, ist nicht nachvollziehbar. Was erwarten Sie sich eigentlich?
Peter Nemschak
20. April 2017 @ 08:51
Armut ist relativ. Zu viele sozialstaatliche Leistungen verringern den Anreiz Arbeit zu suchen. Die Leistungen sollten sich darauf konzentrieren, Bildungs- und Schulungsmöglichkeiten anzubieten, um Langzeitarbeitslosigkeit zu vermeiden.Leute in Arbeit bringen ist sinnvoller als Armut zu verwalten. Dazu bedarf es auch der persönlichen Anstrengung und Mitwirkung der Arbeitslosen. Das Hinauszögern des GREXIT könnte man auch als Konkursverschleppung interpretieren. Im übrigen dürfte Hollande von seinen Leistungen weniger überzeugt als ebo sein, sonst wäre er bei den Präsidentschaftswahlen angetreten.