Wo Esken und Walter-Borjans Recht haben
Wer die deutsche Presse liest, könnte meinen, dass in der SPD ein massiver Linksruck stattgefunden hat – und dass dies auch die EU-Partner nervös macht. Dabei haben Esken und Walter-Borjan in einigen Punkten durchaus Recht, jedenfalls aus europäischer Sicht.
Dies gilt vor allem für die Wirtschaftspolitik. Die EU-Kommission hat sich gerade erst wieder für höhere Investitionen in Deutschland ausgesprochen – die neue SPD-Doppelspitze sagt nichts Anderes.
Zugunsten von mehr Investitionen wollen Esken und Walter-Borjans das Dogma der schwarzen Null kippen. Für Brüssel kein Problem – dieses Dogma gibt es auf EU-Ebene nämlich gar nicht.
Tatsächlich finden sich die beiden designierten SPD-Chefs sogar in bester Gesellschaft, wie SPON anmerkt. Viele Ökonomen plädieren ebenfalls dafür, dass der Staat die niedrigen Zinsen nutzt, um neue Schulden für Investitionen machen. Dies ist sogar europaweit Konsens – von der EU-Kommission bis zur EZB.
Auch beim Mindestlohn gibt es keinen Widerspruch zu Brüssel. Mit 12 Euro läge Deutschland immer noch im oberen Mittelfeld, aber nicht an der Spitze. Die neue EU-Kommission steht dem wohlwollend gegenüber.
Und beim Klimaschutz laufen die neuen Spitzengenossen in Brüssel ohnehin offene Türen ein. Aus EU-Sicht kann Deutschland da gar nicht genug tun; ein höherer CO2-Basispreis wäre kein Problem.
Und warum hört und liest man dann, dass sich unsere Partner in der EU Sorgen machen? Nun, das kommt vor allem daher, dass Esken und Walter-Borjan im Ausland völlig unbekannt sind.
In Brüssel oder Paris hätte man es natürlich lieber gesehen, wenn Finanzminister Scholz die Führung der SPD übernommen hätte – den kennt man, den kann man berechnen.
Es gibt aber noch einen anderen Grund: Viele EU-Politiker setzen immer noch auf Kanzlerin Merkel und ihre GroKo. Sie gelten als Stabilitätsanker – auch wenn sie europapolitisch für Stillstand stehen.
Angesichts der unerfahrenen neuen EU-Führungsriege und des nahenden deutschen Ratsvorsitzes ab Juli 2020 möchte man die “bewährte” Kanzlerin nicht missen.
Dabei wird Merkel bisher doch vor allem von der CSU herausgefordert – neuerdings auch von den Turbulenzen in der CDU. Ihr Problem ist weniger die neue SPD-Führung, als die eigene Führungsschwäche…
Siehe auch “Merz rechnet mit Merkels Europapolitik ab”
Watchlist
Gibt es wieder Streit beim Nato-Gipfel? Nach der „Hirntod“-Diagnose stand zunächst Frankreichs Staatschef Macron in der Kritik. Nun macht aber auch Sultan Erdogan Ärger – mit einem Abkommen mit Libyen, das Griechenland auf den Plan ruft. Und dann wäre da natürlich noch US-Präsident Trump – eine explosive Mischung, die zum Jubiläum in London aufläuft…
Siehe auch “Die Nato ist erschüttert”
Was fehlt
- Brüssel leitet Vorermittlungen gegen Google und Facebook ein – ORF
- Mitgliedsstaaten sollen deutlich mehr für die EU zahlen – Zeit online
- EU will CO2-Ausstoß von Flugzeugen und Lkws stärker belasten – Der Standard
- EU-Staaten wollen Bahnreisende weniger entschädigen – SPON
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Holly01
3. Dezember 2019 @ 16:59
Aber Herr Nemschak, niemand plant irgend etwas auf Pump zu verteilen.
“Wir” planen den Reichen die Mittel wegzunehmen, die die sich undemokratisch durch offensichtliche Bestechung angeeignet haben und dann dieses Geld für soziale Geschenke auszugeben ….
vlg
Peter Nemschak
3. Dezember 2019 @ 12:10
Wer garantiert der CDU/CSU, dass die SPD bei Aufgabe der schwarzen Null nicht sozialpolitische Geschenke auf Pump verteilt ? Das Problem besteht darin, dass die AfD auf absehbare Zeit nicht regierungsfähig und die CDU/CSU auf Grund der Schwäche der FDP auf die Mitwirkung von linken und linksliberal sich gebenden Parteien wie den Grünen angewiesen ist.
ebo
3. Dezember 2019 @ 13:01
Solange CDU /CSU und SPD in einer Koalition vereint sind, müssen sie auf die Wünsche ihrer Partner eingehen. Die schwarze Null ist kein Gesetz. Neuverschuldung ist bei Nullzinsen durchaus angeraten, das sagt sogar EZB Chefin Lagarde.
Alexander
2. Dezember 2019 @ 21:34
„Ihr Problem ist weniger die neue SPD-Führung, als die eigene Führungsschwäche…“
Ihr Problem sitzt zwischen den Ohren!
„Die Krone der Konfusion setzte sich aber Angela Merkel selbst auf. Zunächst glänzte sie in der Haushaltsdebatte mit der Erkenntnis, man könne „Investitionen nicht erst dann gut finden, wenn sie Schulden verursachen“, um dann – in einem dreifachen geistigen Salto – zu der nur genial zu nennenden Begründung für diesen Satz zu kommen. „Wenn man schon in Zeiten niedriger Zinsen Schulden mache“, so die Kanzlerin, „wisse man gar nicht, was man in Zeiten normaler Zinsen machen solle, etwa noch mehr Schulden“? Man muss sich diese (nur wenige Sekunden lange) Sequenz einer in voller Inbrunst agierenden Bundeskanzlerin anhören (hier), um wirklich zu verstehen, was in diesem Staat und in Europa im Argen liegt. Auch den Beifall aus dem Plenum sollte man bewusst zur Kenntnis nehmen und würdigen.“
http://www.flassbeck-economics.com/die-politischen-laienspieler-und-die-intelligenz/
Die Kaiserin und ihre Laienspielertruppe sind nackt!
„Wer etwas genauer über Olaf Scholz Bescheid wissen will, sollte die Rede lesen, die er vor einigen Tagen bei der Haushaltsdebatte im Bundestag gehalten hat (hier zu finden). Das war vermutlich die schlechteste Rede, die bei dieser Gelegenheit jemals von einem Finanzminister vorgetragen wurde. Weder kam vor, dass Deutschland in einer Rezession ist, noch, dass Europa (für das er innerhalb der Regierung unmittelbar verantwortlich ist) sich weiterhin in der schwersten denkbaren Krise befindet. Die zentrale Frage für den Finanzminister, ob die Zinsentwicklung für Bundesanleihen (auch in dieser Woche im negativen Bereich) etwas mit der Schuldenpolitik der Bundesregierung zu tun hat, existiert für Olaf Scholz einfach nicht.“
Einfach nur grotesk!
Peter Nemschak
2. Dezember 2019 @ 16:38
Das digitale Netz mit zusätzlichen Krediten auszubauen und dafür auf die schwarze Null zu verzichten macht auch für liberale Ökonomen des IWF Sinn. Damit allein ist es nicht getan. Die Umsetzungsbürokratie gehört reformiert. Gelder können wegen ihr oft nicht abgerufen werden. Das eigentliche Problem liegt aber bei der SPD, die bei Aufgabe der schwarzen Null umgehend um höheren öffentlichen Konsum (siehe Grundrente auch für Nicht-Bedürftige) drängen wird.