Varoufakis’ späte Rache
Es ist Varoufakis’ späte Rache: Drei Jahre nach dem Schuldenstreit in Griechenland, bei dem er an Berlin scheiterte, bewirbt sich der griechische Linkspolitiker um einen Platz im Europaparlament – aus Berlin! Er liefert auch gleich eine Analyse der Merkel-Dämmerung mit.
Dabei geht es um die Lage in der EU und in Deutschland, aber auch um das schwindende Vertrauen der Deutschen in die Volksparteien. Varoufakis beginnt mit einem Paradox, das in der deutschen Presse kaum je erwähnt wird:
Germany is, on paper, flooded by… money. The federal government is in surplus. A tsunami of foreign money is flooding German banks. Families are saving. And even corporations hoard huge amounts of savings.
Stimmt, an Geld ist kein Mangel in Schland, auch nicht in den Staatskassen. Doch warum verlieren die Parteien der “Mitte” dann immer mehr Zustimmung, warum wackelt Merkels GroKo, warum profitiert die AfD?
The answer is: Germany’s habitat, Europe, is in a deepening systemic crisis. The inhuman austerity policies first tried and tested in Greece were, soon after, extended to the rest of Europe, Germany as well. The result is low levels of investment in people and green technologies across Europe. A wall of money is boosting inequality, share prices, house prices here in Berlin. But none of it is being put to good use in support of people or the environment.
Deutschland geht es schlecht, weil es Europa schlecht geht – so die etwas simple These des griechischen Finanzexperten. Man kann Merkel & Co. ja viel vorwerfen, aber eine Austeritätspolitik fährt sie im Bund bestimmt nicht.
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Andererseits stimmt es ja: Geld ist genug da, vor allem bei den Investoren in Berlin. Doch die Geldflut wird nicht richtig eingesetzt – sie treibt Hauspreise und Mieten in die Höhe, statt sozial und umweltverträglich investiert zu werden.
This is why we live in a disintegrating Europe, a depressed Greece, an Italy taken over by racist populists, and a divided German society: Half of the population Germany is finding harder and harder to make ends meet. We should not be surprised. As Hegel might have said: No European people can be prosperous and free when other European countries are condemned to the permanent depression that eternal austerity creates.
Varoufakis zitiert Hegel – wenn das keine Ironie der Geschichte ist! Dennoch bin ich mit ihm nicht einig, was die Lage in Deutschland betrifft. Natürlich bleibt die Misere in anderen EU-Ländern nicht folgenlos.
Doch Merkel und ihre Regierung werden nicht über die EU-Krise stürzen, schon gar nicht über die Austerität in Griechenland oder Italien. Wenn sie stürzen, dann über ihr Unvermögen, die Lage in Deutschland und in der EU richtig zu beurteilen.
Und diese Lage ist, da bin ich dann wieder mit Varoufakis einig, längst nicht so rosig, wie es Politik und Medien ständig malen…
Siehe auch “Dann kann Merkel abdanken”
Pjotr56
27. November 2018 @ 08:01
“Der Abbau von Existenzängsten war von Anfang an das Ziel des deutschen Sozialstaats. Erst recht war man bei seiner Neuordnung nach dem Zweiten Weltkrieg genauestens darüber im Bilde, was dem Extremismus Tür und Tor geöffnet hatte, dem diese Menschheitskatastrophe zu verdanken war. Heute ist seine Neuordnung erneut überfällig. Denn die Zeit des Sozialstaats alter Konstruktion ist unwiderruflich abgelaufen. Statt von oben nach unten umzuverteilen, wie die verfassungsrechtlichen Weisungen des Gleichheits-, Sozialstaats- und Rechtstaatsprinzip gebieten, bewirkt sein zentrales Aggregat „Sozialversicherung“ zunehmend das Gegenteil. Die Risiken und Notlagen, vor denen sie schützen soll, produziert die Sozialversicherung zunehmend selbst. Die daraus erwachsenden Existenzängste stellen heute eine tödliche Bedrohung für Demokratie, Frieden und Freiheit dar.”
Quelle:
http://norberthaering.de/de/27-german/news/1073-borchert
Peter Nemschak
26. November 2018 @ 20:18
Deutschland geht es derzeit so gut wie nie zuvor. Es geht um die Frage, was zu tun ist,damit es nicht schlechter wird. Varoufakis wird andere Antworten haben als Merz oder Lindner.
Pjotr56
26. November 2018 @ 18:35
„So verglich Oskar Lafontaine 2002 die Politik der Regierung Schröder* mit der Brünings,[27] der Wirtschaftswissenschaftler Hans-Heinrich Bass bezeichnete 2011 die Wirtschaftspolitik Bremens als „lokal-brüningsch“,[28] 2012 verglich eine Spiegel-Online-Kolumne von Wolfgang Münchau die Sparpolitik Angela Merkels in der Eurokrise mit der brüningschen Sparpolitik.[29]“ (Quelle: Wikipedia) *Anm. … ,die von Merkel fortgesetzt wurde, …
ebo, wo lebst du? „Man kann Merkel & Co. ja viel vorwerfen, aber eine Austeritätspolitik fährt sie im Bund bestimmt nicht.“
Das Dogma der schwarzen 0, wird doch von Merkel gefahren. Die Lohnentwicklung in D ist katastrophal. Die gesamte Infrastruktur verrottet. Der private Sektor und die Wirtschaft sparen. Einzig die Militärausgaben boomen.
ebo
26. November 2018 @ 19:09
2002 war vor Merkel, oder?
Pjotr56
27. November 2018 @ 07:57
“So verglich Oskar Lafontaine 2002 die Politik der Regierung Schröder* mit der Brünings”
*Anm. Pjotr56 … ,die von Merkel fortgesetzt wurde, …
Das zur Kenntnis zu nehmen wäre jetzt deine Sache.
„Man kann Merkel & Co. ja viel vorwerfen, aber eine Austeritätspolitik fährt sie im Bund bestimmt nicht.“ Dafür hätte ich gerne Belege.
ebo
27. November 2018 @ 08:52
Ich habe vom Bund geredet, nicht von den Ländern und Kommunen, wo teilweise immer noch hart gekürzt wird. Während der Finanzkrise hat der Bund richtig viel Geld in die Hand genommen. Merkel tat genau das Gegenteil von dem, was sie Griechenland und der EU vorschrieb. Die schwarze Null heute ist wegen der Nullzinsen widersinnig, Austerität ist es aber nicht.
Pjotr56
27. November 2018 @ 12:32
ebo, meinst du die mit dem Lobbyisten Wissmann gedealte, in ökologischer Hinsicht wahnsinnige Abwrackprämie im Dienste der Automobilindustrie oder war da sonst noch was?
ebo
27. November 2018 @ 12:40
Haha, guter Seitenhieb. Da waren noch 100e Milliarden DM-Euros für die deutschen Banken (Hypo Real Estate etc.) und natürlich die großzügige, auch nicht ganz billige Kurzarbeiter-Regelung, die Entlassungen verhindert hat. Budget-Kürzungen hat es auf Bundesebene nicht gegeben – oder hast Du Gegenbeispiele?
Pjotr56
27. November 2018 @ 14:37
Richtig! Merkel hat sehr viel Geld in die Hand genommen, um Partikularinteressen zu bedienen.
Ein schlüssiges Konzept für das Wie? bei “Wir schaffen das!” legte sie zudem niemals vor = Wahlkampfunterstützung für die AfD.
Die Kürzungspolitik in den Ländern und Kommunen hängt auch mit der Bundespolitik zusammen, oder etwa nicht?
“For the many, not the few!” wäre auch für D ein Konzept, um den Rechtsruck zu stoppen.
ebo
27. November 2018 @ 15:10
Einverstanden!
Solveig Weise
4. Dezember 2018 @ 23:51
Budgetkürzungen (nominal) hat es in Deutschland nicht gegeben. Genausowenig wie in Frankreich, Italien und Spanien. Auch dort ist der Haushalt nominal nie gekürzt worden. Dennoch ist das was die Kanzlerdarstellerin und ihre Lakaien (aktuell vor allem O. Scholz) machen ein Treppenwitz. @ebo: Schauen Sie sich die Schäuble-Haushalte einmal REAL an…..das öffnet die Augen! Und wo genau gab es in Frankreich “Austerität”??? Fast zehn Jahre am Stück weit über 3% Neuverschuldung aufs BIP sprechen eine klar andere Sprache.